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"Also packte ich meine Sachenund zog nach New York"

Interview vom 8. Februar 2016



Seine Karriere begann in den 80ern. Er gehört zur letzten Generation der DDR-Rockmusikszene, spielte in Bands wie KLEINKARIERT und DIE ANDEREN, und startete kurz vor der Wende eine internationale Solokarriere. Jens Müller, der zuerst als J. und dann als Jaye Muller Platten veröffentlichte, war abseits der Musik aber wesentlich erfolgreicher, denn er wurde mit einer Mitte der 90er selbst gegründeten Internetfirma reich. Trotzdem ließ ihn die Musik nicht los. Seit einigen Jahren tritt er gemeinsam mit Ben Patton als MULLER AND PATTON auf, diverse Alben dokumentieren diese Zusammenarbeit bereits, und jetzt hat er nach 14-jähriger Pause mit "Bandages Cover The Looting" wieder ein Solo-Album an den Start gebracht. Über all das hatten wir nun Gelegenheit, mit dem Musiker zu sprechen ...




Wer wissen wollte, was J. alias Jaye Muller alias Jens Müller in den Jahren seit der Wende musikalisch getrieben hat, musste sich schon selbst in die Spur begeben und suchen, denn hier in Deutschland kam davon nicht so viel an. Warum hast Du Deine alte Heimat so vernachlässigt und nur noch im Ausland Musik veröffentlicht?
Das war eigentlich nicht so beabsichtigt. Vielmehr war mein Fokus viele Jahre lang gar nicht mehr auf Deutschland gerichtet. Ich war in Frankreich, dann auch eine Weile in England und sehr lange in den USA. An Deutschland habe ich dabei überhaupt nicht gedacht. Auch habe ich nicht geglaubt, dass in Deutschland irgendjemand an mir interessiert sein könnte. Meine Musik kann man natürlich trotzdem überall herunterladen und kaufen, das hat also mit "Deutschland oder nicht Deutschland" nichts zu tun. Es gab keinen besonderen Grund dafür, dass ich lange nicht mehr hier war.

Wo genau lebst Du jetzt gerade?
Ich bin derzeit sehr viel in Asien. Im Moment lebe ich gerade auf den Philippinen, aber auch viel in Hongkong und Singapur.

Gerade ist Dein neuestes Werk erschienen. Es heißt "Bandages Cover The Looting" (Rezension siehe HIER) und Du hast es unter dem Namen COUNT JAYE AND THE HARD BEATS veröffentlicht. Bleiben wir zuerst mal beim Namen. Warum COUNT JAYE und wer sind die HARD BEATS?
COUNT heiß ja auf Deutsch Graf. In meiner Familie gibt es so einen alten Grafentitel, von dem niemand weiß, ob der echt ist oder nicht. Auf jeden Fall nannten mich Freunde öfter "The Count", oder sie sagten "The count is coming". Einfach so aus Witz und auch, weil es gut klingt. Für die neue Platte wollte ich diesmal einen neuen Namen und der Graf, also COUNT, passte irgendwie zu meiner jetzigen Stimmung. So dachte ich mir, COUNT JAYE werde ich jetzt benutzen. Aber nun brauchte ich ja auch noch eine Band, weil ich nicht alleine als COUNT JAYE dastehen wollte. Also dachte ich mir die Kombination COUNT JAYE & THE HARD BEATS einfach so aus. Ich wollte eine etwas härter klingende Band haben, allerdings muss ich gestehen, die HARD BEATS existieren noch gar nicht. Was man auf der Platte hört, bin alles ich. Die Musiker muss ich also erst noch finden, aber da bin ich gerade dabei.

Die Alben aus den letzten Jahren von MULLER AND PATTON erschienen fast ausschließlich bzw. nur digital. Ist das bei dem neuen Album auch wieder so, als kann man das auch als CD oder LP bestellen?
Ja, auch diesmal wird es hauptsächlich digital erhältlich sein. Obwohl man die MULLER AND PATTON-Sachen bei amazon auch als echte CD bestellen konnte und immer noch kann. Also hin und wieder gab es das früher schon als richtiges Medium. Im Moment halte ich mich ja in Asien auf und stelle fest, dass es hier kaum noch echte Plattenläden gibt, in denen man Musik kaufen kann.002 20160217 1498863442 Überhaupt - wer kauft denn heute wirklich noch Musik? Es wird doch einfach nur noch alles gratis gedownloadet und auf dem Telefon oder dem Computer abgespielt. Außerdem gibt es für unsere neue Platte kein großes Release verbunden mit riesigen Marketingaktionen. Deshalb dachte ich, die digitale Form reicht aus. Die Leute können es downloaden, wenn es ihnen gefällt, egal wo sie sich gerade befinden. Das ist in der heutigen Zeit eben so.

Du wirst lachen, aber in Deutschland hat die gute alte Schallplatte wieder den Weg zurück in die Läden gefunden. Eigentlich gibt alles, was neu erscheint, heutzutage wieder auf Schallplatte.
Davon habe ich gehört (lacht). Vielleicht sollte ich das wirklich machen oder zumindest mal darüber nachdenken.

Wie beschreibst Du die Musik auf der neuen Platte? Was erwartet den Musikfreund, wenn er sich Dein Album zulegt?
Das mit dem Beschreiben der Musik ist ja immer so eine Sache … Als ich mit Musik anfing, war mein Ziel, unbedingt Rockmusik machen zu wollen. Mit MULLER AND PATTON haben wir ja eher mit Rock angehauchten Pop gemacht. Auch die Sachen, die ich in den letzten Jahren für andere Leute geschrieben und produziert habe, waren ja eher balladesk oder poppig. Jetzt wollte ich mal was anderes machen. Ich hatte unglaublich viel Spaß daran, mit verzerrter Gitarre rumzuspielen, dass ich mir sagte, jetzt mache ich ein Rockalbum. Natürlich musste es nicht gleich ein Heavy Metal-Album sein, zumal ich ja auch sehr auf schöne Melodien stehe. Doch es sollte schon etwas härter sein. Das Resultat liegt vor Dir, denn das Album ist bereits draußen.

Ich gebe Dir Recht, auf dem Album wird ordentlich gerockt. Auch der Sound entspricht heutigen Standards. Trotzdem glaube ich öfters die BEATLES herauszuhören, vor allem beim ersten Song. Täuscht mich mein Eindruck, oder habe ich noch gute und brauchbare Ohren?
Ja, das mit den BEATLES kann schon sein. Jeder halbwegs gute Musiker hat die BEATLES schon mal als Inspiration genommen, denn die Songs an sich, das Songwriting, der Sound dienten schon immer als Vorbild. Ich fand das schon immer gut und versuchte es mir anzueignen. Aber es stimmt schon, die BEATLES hört man raus.

Trotz lauter Gitarren und coolen Beats klingt das Album in sich geschlossen und aufgeräumt. Man spürt keine Hektik oder Unentschlossenheit. Es scheint fast so, als hätte das jetzt alles aus Dir raus gemusst. Ist das so, oder überhöre ich da möglicher Weise scharfe Kanten?
Das ist immer relativ. Im Vergleich zu dem, was ich in den letzten Jahren gemacht habe, wo auch durchaus mal richtige Dance-Music ganz ohne Gitarren dabei war, ist das aktuelle Werk schon echt scharfkantig. Vergleicht man es natürlich mit MOTÖRHEAD, klingt es wiederum recht zahm. Für mich ist es jedenfalls absolut eckig und kantig, auch deutlich aggressiver als ich es vorher jemals hatte. Es hängt auch immer davon ab, wer es hört und was derjenige sonst so hört. Ich habe nicht probiert, es jetzt auf die eine oder andere Art besonders extrem klingen zu lassen. Ich wollte einfach nur schön verzerrt klingende Gitarren haben, Rockmusik spielen, einfache Songs machen ohne großes Song-Editing zu benutzen. So wollte ich es haben, so gefällt es mir - fertig.

Hast Du die Platte selbst produziert?
Ja, das Album habe ich selbst produziert. Ein Freund von mir half ein bisschen, aber im Grunde habe ich es allein produziert.

Was war der Auslöser dafür, dass Du nach fünf Jahren und dem letzten MULLER AND PATTEN-Album wieder eine eigene Platte gemacht hast?
Du sagst es, meine letzten Platten waren alles keine Soloalben. Ich habe also lange Zeit nichts mehr alleine gemacht. Das juckte mich aber schon eine ganze Weile. Ich habe mir in den zurückliegenden Monaten viele alte Rockkonzerte auf youtube angesehen, also z.B. Konzerte von DEEP PURPLE, AC/DC und all so was. Da dachte ich mir, das mache ich jetzt auch, habe neue Songs geschrieben, auch ein paar ältere Titel von mir neu aufgenommen. Das musste einfach aus mir raus. Es gab keinen speziellen Grund, warum das nun gerade in diesem Jahr passiert ist, sondern die Zeit war reif dafür, das richtige Gefühl war da, deshalb habe ich es gemacht.

Du hast es zwar gerade schon verraten, dass es die HARD BEATS ja noch gar nicht gibt. Wird man das Programm trotzdem mal irgendwann irgendwo live sehen können? Vor allem auch mal wieder in Deutschland?
Es ist schon mein Ziel, jetzt eine Band zusammenzustellen. Ich habe auch schon ein paar Leute am Haken, die eventuell mitmachen, aber es ist noch zu früh, um konkrete Angaben dazu zu machen. Und wenn es dann soweit ist, muss ich sehen, wie ich die Sachen angehe. Anfangs werde ich wahrscheinlich hier in Asien ein bisschen durch kleine Clubs mit bis zu 500 Leuten touren, um die neuen Sachen zu testen. Wenn es gut läuft und man die Musik hören will, will ich logischerweise auch nach Europa und vor allem Deutschland kommen. Aber wie gesagt, es ist noch zu früh, um da wirklich mehr zu sagen.

004 20160217 1291652822Auf dem Cover der neuen Platte spielst Du eine verdammt geile Gitarre. Was ist das für ein Ding?
Die Gitarre auf dem Cover ist tatsächlich die, die ich auf dem Album zu 90% spiele. Das ist sogar mein eigenes Design. Ich wollte schon immer genau so eine haben, aber die gab es nirgendwo. Also habe ich mir das alles mal aufgezeichnet und selber designt. Und hier in Asien gibt es ja eine Menge Gitarrenbauer, die das alles per Hand nach Deinen Vorgaben und Wünschen bauen, weshalb ich das einfach mal genutzt und in Auftrag gegeben habe.

Nun haben wir über das Aktuelle gesprochen. Aber unsere Leser interessieren sich auch dafür, wo Jaye Muller eigentlich herkommt, wo er seine Wurzeln hat. Diese Wurzeln liegen in Deutschland, genauer gesagt in der DDR, wo Du schon bemerkenswert viel Geschichte geschrieben hast. Eine selbsternannte Internet-Enzyklopädie schreibt, Du seist ein deutscher Musiker und Internet-Unternehmer. Würdest Du Dich selbst auch so beschreiben oder ist das zu kurz geraten?
Ja, wenn es denn ganz kurz gehalten werden muss, kann man das schon so umschreiben. Die Internetgeschichten habe ich ja gemacht, als ich in den USA war. Die Firma gibt es ja auch noch. Um aber Deine Frage zu beantworten, fange ich mal vorne an. Ich komme aus Ostberlin, bin in Weissensee aufgewachsen, habe auch kurzzeitig im Prenzlauer Berg gewohnt. 1990 allerdings war ich dann weg, und zwar noch vor der offiziellen Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. Zuerst bin ich nach Paris gezogen. Danach sind von Musik bis Business verschiedene Sachen passiert, die mich bin in die USA führten.

Deine Anfänge als Musiker liegen ja in der DDR, genauer gesagt im Ostberlin der zu Ende gehenden 80er Jahre des letzten Jahrhunderts. Was brachte Dich zur Musik im Allgemeinen und dann speziell zum Schlagzeug?
Als ich elf Jahre alt war, schickte mich meine Mutter zur Musikschule. Allerdings nicht für Schlagzeugunterricht, sondern um Gitarre spielen zu lernen. Es ging dabei um klassische Gitarre, was ich auch drei Jahre durchgezogen habe. Wenn man dann aber etwas älter wird und so wie ich damals ins Teenager-Alter kommt, will man auch mal andere Musik machen. Ich besorgte mir mit 13 dann eine E-Gitarre und machte darauf schon meine ersten eigenen Songs. Um das richtig auszuleben, brauchte ich aber natürlich eine Band um mich herum. Mein jüngerer Bruder wollte auch mitspielen, wofür ihm meine Mutter ein Drumset kaufte. Er fing also an Schlagzeug zu spielen, hatte dazu aber eigentlich überhaupt keine Lust. Das Ding stand deshalb nur bei uns rum, weshalb ich irgendwann anfing darauf zu spielen. Das machte mir so einen Spaß, dass ich kurz darauf von Gitarre auf Schlagzeug umgestiegen bin.

Also hast Du Dir das Schlagzeug spielen selbst beigebogen?
Bei uns in der Straße gab es damals einen älteren Herren, der ebenfalls ein Schlagzeug hatte. Ich sah den mal in seinem Keller spielen und war echt fasziniert davon. Da habe ich mir ein paar Dinge abgeguckt, aber das meiste habe ich mir wirklich autodidaktisch beigebracht. Später hatte ich dann Kontakt zu zwei Schlagzeugern, bei denen ich ein paar Stunden nahm. Einer von denen war Ingo Politz, der damals wohl gerade bei NEUMIS ROCK CIRCUS war. Der andere hieß Jörg Skaba und spielte bei KEKS. Leider ist der schon gestorben. Die beiden hatten mir, als ich fünfzehn, sechszehn Jahre alt war, ein bisschen was gezeigt, was mich auch wirklich weitergebracht hat.

Welche Musiker und Bands waren für Dich damals Vorbilder und Inspiration?
Als ich in besagtem Teenageralter war, fand ich Bands wie AC/DC und KISS toll. Meine Wand im Kinderzimmer war voll mit Postern und Bildern dieser beiden Gruppen, obwohl ich gar nicht so viel Musik von denen hatte. Danach fand ich dann auch etliche DDR-Bands gut, zu denen ich dann auch in die Konzerte ging. Zum Beispiel KEKS, die ja um 1984 herum gut im Geschäft waren und sehr punkig und rockig klangen. Später stand ich dann auf PANKOW und ROCKHAUS, die fand ich beide sehr gut. Einige Zeit danach gab es ja dann die sogenannten Undergroundbands, von denen ich auch einige kennenlernte.

In der DDR war es üblich, dass man einen Beruf erlernt. Welchen Beruf hast Du erlernt und hast Du diesen nach der Ausbildung überhaupt ausgeübt?
Ich habe BMSR-Techniker gelernt. Sagt Dir das was?

Nicht wirklich ...
Betriebs-, Mess-, Steuerungs- und Regelungstechniker. Dabei ging es darum, große Maschinen zu warten und zu reparieren. Das hatte ich gelernt, weil ich an technischen Dingen schon immer sehr interessiert war und weil man eben, wie Du schon sagtest, einen Beruf erlernen musste. Musik machen alleine reichte nicht. Aber in dem Beruf gearbeitet habe ich nur ganz kurz nach Abschluss der Lehre. Das waren vielleicht sechs Monate, mehr nicht. Danach zählte dann nur noch die Musik für mich.

Wenn man über Dich im Internet recherchiert, ist die Gruppe KLEINKARIERT als Deine erste Bandstation angegeben. Hast Du die Band mitgegründet?
Ich war damals vielleicht vierzehn Jahre, als ich da mitmachte, aber mitgegründet habe ich KLEINKARIERT nicht. Ich wusste nur, die suchten einen Drummer. Irgendwie habe ich die dann kontaktiert und glücklicherweise gefiel denen mein Schlagzeugspiel so gut, dass ich sofort Mitglied der Band wurde. Wir spielten wohl ungefähr zwei Jahre zusammen, bis dann der Bassist Christoph Zimmermann zu FEELING B ging. Dadurch geriet ich dann auch in diese ganze neu entstandene Szene mit FEELIN B, DIE ANDEREN usw.

Du sprichst es an, 1987 bist Du dann zur Gruppe DIE ANDEREN gewechselt. Die wurden in die Schublade der "anderen Bands" gesteckt, zu der u.a. Gruppen wie DIE SKEPTIKER, AG GEIGE oder eben FEELING B gehörten. Wie bist Du zu DIE ANDEREN gekommen und wie würdest Du die Musik beschreiben? Und was noch interessant wäre zu wissen: Wie sah Euer Bandleben aus?
Als Christoph Zimmermann ging, funktionierte es mit KLEINKARIERT nicht mehr richtig, obwohl wir es auch mit anderen Musikern probierten. Irgendwann sah ich dann zufällig mal ein Konzert von DIE ANDEREN. Das muss in Weißensee gewesen sein. Danach stand für mich fest, wenn ich überhaupt mal in einer anderen Band spielen möchte, dann in dieser. Kurz danach, vielleicht zwei Wochen nach diesem Konzert, hörte ich, dass deren bisheriger Drummer nicht mehr dabei war und die unbedingt einen neuen Schlagzeuger brauchten. Also habe ich mir ganz schnell das Programm von DIE ANDEREN beigebracht und einstudiert. Nach einem kurzen Vorspiel nahmen die mich auch sofort. Ich glaube, Christian "Flake" Lorenz von FEELING B und später RAMMSTEIN hatte irgendwie dafür gesorgt. Jedenfalls waren DIE ANDEREN wirklich die einzige Bands, in der ich damals mitspielen wollte. Ich fand die deshalb so interessant, weil die etwas Neues machten, weil die live zwar hart rüber kamen, aber trotzdem melodische Songs hatten. Schöne Melodien fand ich schon immer gut. Genau das hatten DIE ANDEREN. Es gab dort sogar einen Saxofonisten. Unser Bandleben war in Ordnung, das hat sehr viel Spaß gemacht.

Die Musik wird immer wieder dem Punk und dem Alternative-Rock zugeordnet. Wer war bei DIE ANDEREN für das Komponieren und Texten zuständig?
Das war anfangs hauptsächlich unser Sänger Olaf Tost. Der Bassist, Martin Rauer, hatte auch ein bisschen was komponiert, aber das meiste kam von Olaf Tost. Zum Ende meiner Mitgliedschaft in der Band war ich dann auch an ein paar Songs beteiligt.

Gab es denn direkte Verbindung mit oder zwischen den anderen Bands? Welchen Stellenwert hattet Ihr im Vergleich zu den etablierten Kapellen?
Natürlich hatten wir Kontakt zu den anderen Bands dieser Szene. Ich denke da an SANDOW oder DIE VISION. Es gab damals unheimlich viele von dieser Art. Wenn es Konzerte gab, spielten da meistens gleich zwei oder drei Bands hintereinander. Die gingen auch zusammen auf Tour durch die DDR. Dadurch sahen wir uns recht häufig und waren auch sehr gut miteinander befreundet. Manchmal kamen dabei dann auch neue Bands heraus, irgendwelche Kurzprojekte. Manch einer langweilte sich hin und wieder und dann kam es dazu, dass sich Mitglieder verschiedener Bands zu einem neuen Projekt zusammenschlossen. Es war schon eine gute Zeit damals, der Umgang miteinander war freundschaftlich und kameradschaftlich. Feindschaft gab es so gut wie keine. Zu den etablierten Bands gab es hingegen so gut wie gar keinen Kontakt. PUHDYS, KARAT oder SILLY, da gab es untereinander kaum Kommunikation.

Sah man Euch von staatlicher Seite her als Nachwuchs und kommende Generation oder eher als Gefahr für die Jugend, wie es ja öfter mal in den Medien transportiert wird?
Ich denke, wir wurden wirklich als Nachwuchs betrachtet. Als Gefahr eher weniger, obwohl es natürlich auch in unserer Szene ein paar Bands gab, die politische Texte machten und vielleicht doch als gefährlich galten. Aber die Bands, mit denen wir zu tun hatten und unterwegs waren, die wurden meines Wissens nicht als Gefahr gesehen. Ich schließe nicht aus, dass wir auch von der STASI beobachtet wurden, aber im Grunde genommen war es eine lockere und offene Szene.

Bei DIE ANDEREN kam es dann auch zur Begegnung mit dem US-Musikmanager Jack Rieley, der bereits 1980 mit CITY gearbeitet hatte. Wie kam er ausgerechnet auf Euch?
Jack Rieley hatte irgendwie von uns gehört, wie auch immer. Eines Tages stand er vor unserer Tür und kam zu einer unserer Proben in meinem Keller in Weißensee. Er meinte, er findet unsere Band gut und möchte sich das mal anhören, was wir so machen. Was er genau wollte, wussten wir nicht, aber in der Folgezeit freundete ich mich mit Jack an und wir haben gut und viel zusammengearbeitet.

Wie gelang es Jack Rieley, Euch einen Auftritt in Westberlin zu verschaffen?
Jack war oft bei uns und ich spielte ihm immer auch mal ein paar meiner eigenen Songs vor. Wir entschieden uns dann, dass Jack und ich etwas ohne DIE ANDEREN machen wollen, also nur ich als Solokünstler. Einer der Schritte, die Jack dazu angehen musste, war, dass ich auch in den Westen reisen durfte. Er fädelte es dann auch ein, dass ich einen Reisepass bekam und rein und raus durfte, sowie es der Musik wegen notwendig war. Meine erste Reise ging Anfang 1989 nach London, wo wir auch eine Platte aufnahmen. Danach ging ich aber wieder zurück in die DDR. Ich dachte mir bei der Gelegenheit, wenn das mit mir klappt, warum sollte das nicht auch mit unserer gesamten Bands funktionieren? Warum sollten wir nicht auch mal in Westberlin auftreten dürfen? Wir stellten also einen offiziellen Antrag und erhielten von den zuständigen Stellen ziemlich schnell ein "Okay". Ein paar Jahre früher hätte das sicherlich große Probleme bereit, aber Anfang 1989 ging das plötzlich ohne großartige Versprechen ablegen zu müssen. Wir fuhren mit drei Bands rüber und kamen auch alle wieder zurück.

Ich wollte es gerade sagen, es seid ja nicht nur Ihr gewesen, die da nach Westberlin gereist sind, sondern auch FEELING B und eine dritte Band. Kannst Du Dich noch speziell an dieses Konzert in Westberlin erinnern? Was ist Dir davon in Erinnernung geblieben?
Die dritte Band hieß übrigens TINA HAS NEVER HAD A TEDDY BEAR, aber die gibt es nicht mehr. Ich weiß noch, dass wir alle im Bus losfuhren, direkt zu dem Klub. An die eigentliche Show erinnere ich mich nur noch dunkel. Ich weiß aber, dass dort haufenweise Ex-Ossis zu uns kamen, die einen Ausreiseantrag gestellt hatten, abgehauen waren oder sonst wie aus der DDR weg kamen und ziemlich frustiert waren. Es war ein relativ kleiner Klub, es machte Spaß und nach dem Konzert stiegen wir alle wieder in unseren Bus und fuhren zurück.

Jack Rieley wollte aus Dir wohl einen Popstar vom Reißbrett machen. Ich denke, so kann man das ausdrücken. Er wollte, dass Du ein erfolgreicher internationaler Star wirst. Jetzt warst Du aber kein Sänger, sondern der Schlagzeuger der Band DIE ANDEREN. Wie kam Jack auf diese Idee?
Ich sagte ja, dass ich ihm meine eigenen Lieder vorspielte. Die Sachen gefielen ihm, er fand die Nummern viel besser als die Songs von DIE ANDEREN. Er sah regelrechtes Potential in meinen Liedern. Mich überraschte das natürlich, denn das meine Songs plötzlich international konkurrenzfähig sein sollten, war für mich eine völlig neue Situation. Er pushte mich jedoch ordentlich, wollte es mit mir zusammen versuchen und ich konnte dazu natürlich nicht nein sagen. Das war dann eben die vorhin erwähnte erste Reise nach London, wo ich insgesamt zweimal hin musste, weil wir dort meine erste DDR-Platte komplett aufnahmen. Die gesamte Produktion machte mich am Ende zwar nicht hundertprozentig glücklich, aber es war schon eine tolle Erfahrung, eine Platte in London aufzunehmen, das alles mal zu erleben. Leider wurde das Endprodukt dann etwas überschattet von den Geschehnissen in der DDR, dem Umschwung und der späteren Maueröffnung.

Gab es denn einen speziellen Grund dafür, extra nach London zu reisen, um die Platte aufzunehmen? Wäre es nicht beispielsweise auch in Westberlin möglich gewesen?
Das war eine komische Sache damals. Der Pass, den ich bekommen hatte, war zwar gültig für das westliche Ausland, aber nicht für Westberlin. Zumindest galt das für meine erste Reise in den Westen. Na gut, das war mir letztlich völlig egal, denn ich wollte sowieso lieber nach London als in die BRD oder nach Westberlin. London war für mich viel interessanter und reizvoller.

Ich bin einer der Wenigen, der diese Platte im Schrank hat. Sie erschien mitten in der politischen Wendezeit in Deutschland, also im Herbst 1989. Natürlich war das ein äußerst ungünstiger Zeitpunkt. Aber eigentlich war Euer Weg ja auf das internationale Geschäft ausgelegt. Woran scheiterte es letztendlich, mal abgesehen vom fehlenden Interesse im eigenen Land, dass die Platte doch nicht so gezündet hat?
Diese erste Platte war für Jack eher eine Art Training. Allerdings hatte er mir das damals nicht gesagt. Ich sollte halt Erfahrungen sammeln, mal erleben, wie es sich anfühlt, in westlichen Studios zu arbeiten und aufzunehmen. Ich muss auch sagen, was dabei rauskam, war nicht unbedingt internationaler Maßstab oder hitfähig. Na gut, die Songs vielleicht, aber die Aufnahmen davon nicht unbedingt. Das würde ich jedenfalls heute darüber sagen, wenn ich mir die Songs wieder anhöre, was ich aber nicht oft tue. Wir machten ja danach noch andere Sachen, aber diese erste Platte war nicht für den großen Erfolg ausgelegt. In der DDR, das hast Du ja schon angerissen, interessierte sich auf Grund der politischen Situation gerade niemand für diese Musik. Zwar erschien die Platte und an den Litfaßsäulen klebten auch Poster, um die Platte zu bewerben - auch meine Mutter fand das alles sehr schön -, aber die Zeit war nicht dafür geeignet. Wir ließen das dann einfach fallen.

Hast Du dieses Debütalbum eigentlich auch live auf die Bühne gebracht?
Also dieses erste Album haben wir nicht live gespielt. Es war kein Interesse vorhanden. Aber es gab ein Video von einem der Songs, welches das DDR-Fernsehen gemacht hatte. Ich glaube, die Sendung hieß "Elf99". Leider habe ich das Video selber nicht. Das wurde sogar zur Hälfte in Westberlin gedreht, also muss es zu einer Zeit gewesen sein, als die Grenzen schon offen waren.

Knapp zwei Jahre später hast Du das Album "We are majority" aufgenommen, das in Europa, Japan und den USA erschienen ist. Die Aufnahmen fanden in Frankreich statt, richtig?
Das stimmt, aufgenommen haben wir in Paris. Ich bin nämlich Mitte 1990, also noch vor der Wiedervereinigung, nach Paris gezogen, weil ich die Stadt sehr interessant fand. Ich fing dort einfach an, Songs aufzunehmen. Die wurden dann allerdings anders als auf der ersten Platte, wo ich wie schon gesagt noch gelernt und Sachen ausprobiert habe. Diese daraus gewonnenen Erkenntnisse habe ich dann bei "We are majority" versucht anzuwenden. Und ich habe gleichzeitig auch Neues ausprobiert. Jack schickte diese Songs dann an die französische Plattenfirma Polydor, die ja auf internationaler Ebene Polygram hieß. Die waren davon absolut begeistert und haben mir sofort einen Plattenvertrag angeboten. Somit hatte ich mit der Platte eine internationale Veröffentlichung, was ja auch unser Ziel war.

Zwischen der Veröffentlichung dieses Albums und Deinem Umzug in die USA lagen zwei Jahre. Wie lief es für Dich in dieser Zeit? Soviel ich weiß, wurden aus dem Album ja auch diverse Singles ausgekoppelt.
In verschiedenen Ländern sind verschiedene Titel als Single erschienen, das war nicht überall gleich. Vier Songs wurden sogar als Video produziert, diesmal sogar richtig professionell. Es waren ganz erfolgreiche Videoproduzenten am Werk, wie z.B. Jean Baptist Mondino, der vorher schon mit MADONNA, STING oder DAVID BOWIE Videos gemacht hatte. Auf meiner Platte zeichnete er für das Video zum Song "Born on the wrong side of town" verantwortlich. Ich glaube, in Frankreich erschienen zwei Singles, in U.K. eine Single, in Japan gab es wieder eine ganz andere Single zu kaufen, auch in den USA wurde etwas anderes ausgekoppelt als in den anderen Ländern.

Gab es denn diesmal eine Tour zur Platte?
Ja, ich bin damit getourt, aber nicht viel. Hauptsächlich in Großbritannien, ein bisschen in Frankreich und ich war auch für zwei oder drei Konzerte in Deutschland. Es war toll und hat viel Spaß gemacht.

Ich habe von einer College-Tour gelesen ...
Stimmt, das war in Großbritannien. Wir sind da in vielen Colleges aufgetreten und haben vor ca. 18 bis 20-jährigen Schülern gespielt.

Am Anfang hatte ich es schon mal erwähnt: 1995 bist Du Internet-Unternehmer geworden. Du bist in die USA übergesiedelt und hast dort eine Firma gegründet. Warum bist Du ausgewandert? Welche Ideen hast Du mit der Gründung der Firma umgesetzt?
Irgendwann hatte ich die Schnauze voll von Paris. Das kam von einem Tag auf den anderen, dass ich genug hatte von der Stadt. Viereinhalb Jahre reichten mir, um mal wieder Sehnsucht nach etwas anderem, neuen zu bekommen. Jack Rieley meinte zu mir: "New York wäre doch mal was". Ich kannte New York, weil ich schon ein paar Mal dort war. Also packte ich meine Sachen und zog nach New York. Ursprünglich wollte ich dort mit der Musik weitermachen, mir eine Band suchen und eine neue Platte aufnehmen. Das tat ich zunächst auch. Dann kam mir aber während der College-Tour eine andere Idee. Durch die Booking Agentur gab es da manchmal kurzfristige Änderungen. Nun war die E-Mail damals noch nicht so verbreitet, aber Faxe und Faxgeräte waren topaktuell. Ich bekam jedenfalls in meinen Hotels mehrfach keine Faxe mit Terminänderungen unserer Konzerte, was natürlich ein Problem war. Also überlegte ich mir, ich habe ja schon eMail, warum also sollte ich die Faxe nicht auch per Mail bekommen können? Es war zwar damals noch alles sehr langsam, man arbeitete mit einem Modem, aber immerhin war man relativ mobil und unabhängig vom Ort. Als ich dann nach New York ging, hatte ich zwar schnell neue Musiker, neue Songs aufgenommen und mit der Band sogar schon ein paar Mal in New York gespielt. Wir hatten jedoch große Konkurrenz, denn plötzlich war Internet das heiße Ding und in aller Munde. Meine Idee ging in die Richtung, irgendwas mit Internet zu machen. So fing das alles an.

Welche Rolle spielte die Musik ab diesem Zeitpunkt noch für Dich?
Zeit hatte ich natürlich erst mal keine mehr. Klar, ich wollte durchaus noch Musik machen, habe auch viel Musik gehört, aber wirklich Zeit übrig war keine. Das ging über mehrere Jahre so, obwohl ich zwischendurch tatsächlich ein bisschen was gemacht habe. Das waren dann aber immer nur kurze Momente, in denen ich ins Studio ging und ein bisschen was mit der Gitarre, auf dem Keyboard oder mit den Drums spielte. Aber die allermeiste Zeit gehörte der Firma. Das war so ein Knaller, weil sich plötzlich die ganze Welt dafür interessierte. Alles lief super, die Sache läuft sogar heute noch. 1999 gingen wir dann an die Börse. Ab diesem Zeitpunkt begann ich mich dann ganz langsam aus der Geschichte raus zu ziehen. Da ich ein Gründungsmitglied dieser Firma war, konnte ich nicht sofort und schnell aus der Firma aussteigen, denn an der Börse durfte man dies und das nicht als Aktieninhaber, schon gar nicht als Gründungsmitglied. Es dauerte ungefähr vier Jahre, bis ich richtig raus war. Danach fing ich dann wieder mit der Musik an.

Es taucht im Zusammenhang mit der Musik im Netz immer wieder der Name Jorge Oliveira auf. Es heißt, Du würdest dahinter stecken. Stimmt das?
Nee, das stimmt überhaupt nicht. Ich weiß gar nicht, wer das ist!

Dann hätten wir diese Frage jetzt ein für allemal geklärt und machen weiter. Eigentlich spricht man ja nicht über Geld, aber an diesem Thema kommen wir nun nicht mehr vorbei, denn wir sind schon mittendrin. Du bist mit dieser Internetidee reich geworden. Bei den Recherchen zu unserem Interview fand ich Titelblätter von Finanzmagazinen, die über Leute berichtet haben, die mit ihren Finanzgeschäften Millionäre oder gar Milliardäre geworden sind. In diesen Listen taucht auch Jaye Müller auf. Passierte das von heute auf morgen, dass Du Dir über Geld keine Sorgen mehr machen musstest?
Das kam schlicht und einfach durch meine Internet-Firma. Es ging tatsächlich alles recht schnell, denn so um 1996 haben sich alle förmlich überschlagen, wenn es um das Thema Internet ging. Alle wollten ins Internet investieren, zumal die Wall Street gleich um die Ecke war. Ich musste mir auch vorher nie große Gedanken um Geld machen, denn es ging immer irgendwie. Aber plötzlich ging es um Unsummen. Die redeten alle von Millionen und begannen zu investieren und ich hatte von jetzt auf gleich viel mehr Geld als ich vorher je hatte. Das hielt über mehrere Jahre an, es wurde immer mehr, ging immer höher hinaus. Wenn Du dann genug Geld hast, machst Du auch mal ein paar crazy Sachen. Ich kaufte mir zum Beispiel eine Burg in Frankreich. Aber im Grunde genommen machte ich mir nie wirklich einen Kopf darüber, ob ich nun viel Geld habe oder nicht.

Hast Du diese Burg noch?
Nein, die Burg habe ich 2010 verkauft. Ich war übrigens niemals Milliardär, aber eines Tages veröffentlichte die "Wirtschaftswoche" auf dem Cover ein Foto von mir zu der Überschrift "Die neuen deutschen Milliardäre". Meine Eltern sahen das auch und mussten lachen. Ich dachte nur: "Das ist ja der Hammer, jetzt bin ich Milliardär geworden!" Ich fand das jedenfalls lustig. Überhaupt machte ich die Beobachtung, immer wenn über Zahlen, Business oder Millionen gesprochen wurde, wurde immer maßlos übertrieben.

Aber Dein Hang zur Musik war letztlich stärker als der Geschäftsmann in Dir, oder? 2002 erschien nämlich mit "Teenage Tongue" ein neues Album von Dir. Diesmal allerdings nicht mehr unter dem Namen J., sondern als Jaye Muller. Wie kam es dazu, dass Du doch wieder zur Musik gewechselt bist?
Ich hatte plötzlich viel Zeit. Diese Songs waren so eine Art Kollektion der ganzen Lieder, die ich über die Jahre nicht machen konnte. Ein paar hatte ich bereits vorher aufgenommen, also gleich nach der "We are majority"-Platte. Ein paar andere entstanden in New York. Insgesamt sind auf dieser Platte alles Songs, die endlich mal raus mussten, denn für die Schublade waren sie auf Dauer zu schade. Manche waren auch erst halb fertig, die wurden dann aber vollendet. Am Ende hatten wir so viele Titel, dass es sogar eine Doppel-CD wurde.

Ab 2004 bist Du dann gemeinsam mit Ben Patton als MULLER AND PATTON aufgetreten. Bis 2010 habt Ihr insgesamt sechs Platten, darunter ein "Best Of" veröffentlicht. Wie kam es zu Eurer Zusammenarbeit und wie würdest Du den Leuten, die Euch nicht kennen, Eure Musik und das, was Ihr auf der Bühne zusammen gemacht habt, beschreiben?
Ben habe ich 2002 kennengelernt, als ich in den USA lebte. Ich war auf einem Markt, auf dem diese typischen Farmerhüte verkauft wurden. Dort gab es auch eine Menge musikalisches Entertainment mit Violine und anderen schönen Sachen. Unter anderem sah ich dort Ben. Der war damals gerade 19 und er hat gesungen. Ich dachte mir: "Das klingt aber wirklich gut". Ich warf ihm in seinen daneben liegenden Hut 20 Dollar rein, worauf hin er dann meinte: "Für 20 Dollar kannst Du auch eine CD von mir haben".013 20160217 1396232797 Die CD war richtig Klasse, die gefiel mir ausgezeichnet. Ben hatte alles selber komponiert und produziert. Ich bekam dann mit, dass es von ihm noch weitere Platten gab, die ich mir nach und nach besorgte, was dazu führte, dass Ben schrittweise zu meinem Lieblings-Songwriter wurde. Ja, man kann sagen, ich war ein echter Fan von ihm. 2004, ich wohnte bereits in London, kam mir der Gedanke, eigentlich könnte ich doch mit Ben zusammen Musik machen. Wir waren inzwischen gut befreundet, so dass ich ihm davon erzählte. Ben fand die Idee auch gut. So fing es mit uns als Duo an. Unsere erste Platte nahmen wir einfach so aus dem Nichts heraus auf. Ein paar vorhandene Songs von ihm, ein paar von mir, fertig war die erste Platte, die im Januar 2005 erhältlich war. Die darauf enthaltene Musik zu beschreiben, ist natürlich sehr schwierig. Ich würde sagen, es war eine Art Beatles-angehauchte, melodiöse Pop-Rockmusik. Nicht so hart wie vorher, aber genau das, was ich zu dieser Zeit machen wollte.

Welche Regionen habt Ihr beackert? Seid Ihr vorwiegend in den USA aufgetreten, oder wo habt Ihr gespielt?
Ich wohnte ja seinerzeit gerade in London. Wir konzentrierten uns damals mehr auf Studiosachen, haben gar nicht so viel live gemacht. Obwohl wir eigentlich eine Band zusammen hatten, die fast nur aus Deutschen bestand. Unter anderem war Nick Aragua von KNORKATOR am Schlagzeug dabei. Ebenfalls von KNORKATOR Tim Buktu, dazu kamen zwei Vilolinisten, zwei Bläser, und natürlich Ben und ich. Das war eine interessante Zusammenstellung. Georgi Gogow von CITY hatte die Live-Variante für uns arrangiert und produziert. Zwei- oder dreimal spielten wir damit sogar in Berlin. Außerdem nahmen wir davon auch noch eine DVD in London auf.

Genau, aus dieser DVD kenne ich einige Ausschnitte. Deshalb auch meine Frage, wo Ihr überall live aufgetreten seid.
Man kann sich das inzwischen auch auf youtube ansehen. Aber richtig getourt sind wir nicht viel. Schließlich hatten wir die DVD für die Fans und wir brauchten anschließend nicht mehr so oft auf Tour gehen. Ich war damals einfach zu faul, um ständig live zu spielen. Die Band fand das zwar weniger lustig, weil wir dadurch natürlich auch kein Geld verdienten, aber ich hatte keinen Bock auf das herumreisen.

Nachdem 2010 - also fast vor sechs Jahren - die letzte Platte erschien, frage ich Dich, ist MULLER AND PATTON noch existent oder bereits Geschichte?
Im Prinzip haben wir uns nie richtig aufgelöst. Es könnte also durchaus sein, dass wir eines Tages sagen, jetzt machen wir mal wieder etwas Neues. Im Moment gibt es dafür aber keine konkreten Pläne. Wir waren irgendwann sogar mal zusammen in Asien und haben Filmmusik gemacht. Ich fand es dann in Asien super schön und wollte hier bleiben, während Ben zurück nach Amerika wollte. Eines Tages war er dann einfach weg. Verschwunden. Das war der eigentliche Grund, warum wir nichts mehr gemacht haben. Aber das alles könnte sich wirklich von einen Tag auf den anderen wieder ändern. Übrigens sagtest Du vorhin, es gab von uns ein "Best of". Das stimmt nicht. Es gab ein Album, das hieß "The Best Of The Guards". Wir wollten damals eine Art Konzeptalbum machen und hatten dafür eine Band erfunden, die seit den frühen 60er Jahren existieren sollte und durch die Jahrzehnte immer älter wurde. Und von dieser Band, die es ja überhaupt nicht gab, wollten wir eine Art "Best Of" machen. Die Aufnahmen sollten dann auch genauso klingen wie es die Zeit eben hergab. Die ersten Songs sollten Mono klingen und aus dem Jahr 1964 sein. Und so wollten wir durch die Jahrzehnte reisen bis zum Jahr 2008, wo die Band dann als Altherrentruppe wieder zusammen kam.

014 20160217 1120928604Wieder einen Fehler korrigiert! Übrigens kann man im Internet in Eure ganzen Platten auch reinhören. Wo kann man das genau machen?
Auf jeden Fall bei amazon, da gibt es einiges. Ansonsten findet man uns mit den MULLER AND PATTON-Scheiben bei bandcamp.com.

Ich will nochmal auf Deine zu Beginn unseres Gesprächs besprochene neue Platte kommen. Da habe ich auch wieder irgendwo den Namen Jack Rieley gelesen. Ich glaube, bei einem der Songs steht er als Komponist oder Texter vermerkt. Die Zusammenarbeit zwischen Euch beiden hat wohl über die Jahre nie aufgehört, oder?
Das stimmt. Einer der beiden Songs, an denen Jack beteiligt war, stammt übrigens von der alten DDR-Platte. Jack schrieb damals den Text und ich habe die Nummer jetzt noch einmal neu aufgenommen. Dann gibt es ein zweites Lied, das bereits 2002 auf dem Album drauf war. Auch da kam der Text von Jack, auch den nahm ich neu auf. Ein bisschen rockiger und an die heutige Zeit angepasst. Leider ist Jack aber im April letzten Jahres gestorben, so dass es jetzt vorbei ist mit der Zusammenarbeit.

Aber Ihr habt über all die Jahre den Kontakt nie abreißen lassen?
Richtig. Wir waren gut befreundet, haben immer viel zusammen gemacht.

Jaye, ich danke Dir für die Antworten auf meine vielen Fragen. Möchtest Du abschließend noch ein paar Worte an die Leser richten?
Ich hoffe, dass mal einige Leute in meine neue Platte rein hören. Einer der Songs ist übrigens ein Duett mit einem Mädel. Sie ist eine gute Drummerin, aber hier singt sie mal. Das ist der Titelsongs des Albums. Also ich würde mich freuen, wenn Ihr mal rein hört in die Platte. Mir hat die Arbeit daran jedenfalls richtig Spaß gemacht, weil es ohne Zwang, ohne großes Getue ablief. Wir haben die Songs einfach so runter gespielt, wie es gerade kam, das war toll.

Interview: Christian Reder
Bearbeitung: tormey, cr
Fotos: Archive Jaye Muller & Deutsche Mugge