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Immer wieder stellt sich die Frage, ob Erfolg im Musikgeschäft planbar ist. Die einen sagen ja, so z. B. die Musiker der britischen Gruppe KLF, die sogar ein Buch veröffentlicht haben in dem sie schreiben, dass Erfolg tatsächlich planbar sei und dass jeder einen Hit in den Charts haben könnte, wenn er denn wollte. Andere behaupten das Gegenteil und sprechen von harter Arbeit, einem langen Atem und viel Energie, um das Ziel zu erreichen. Axel BOSSE hat das Buch von KLF vielleicht nicht gelesen ... Warum auch? Schließlich ist er nicht der Typ, der einen schnellen Hit sucht. BOSSE will Nachhaltigkeit, er steht für Ehrlichkeit in seinem Tun und handgemachte deutsche Musik. Nix von der Stange und immer wieder frisch und anders. Ganze zwei Alben hat er veröffentlicht und der Erfolg ließ auf sich warten. Es lag ganz sicher nicht an der Musik, es war wohl viel mehr Pech und eine schlampig arbeitende Plattenfirma, die es schlicht versäumt hatte, ein vielversprechendes Talent nach oben zu bringen. Eine oder zwei Dekaden vorher hätte man ihm sicher die Zeit eingeräumt, sich durchzusetzen und in der deutschen Musiklandschaft zu etablieren. Aber die Zeit gibt man Musikern heute nicht mehr. Mit dem dritten Album, das unter ganz besonderen Umständen entstanden ist, stellte sich plötzlich der Erfolg ein. Es ist die spannende Geschichte eines Musikers, der ganz klein anfing und der im Frühjahr 2013 Chart-technisch auf Augenhöhe mit Bon Jovi und der erfolgreichen Britpop Gruppe HURTS stand. BOSSE ist immer wieder für musikalische Überraschungen gut, hat aber auch abseits der Bühne gute Ideen. Aber lest selbst ...
 



002 20130919 1409033699Ich habe gelesen, dass Du in Braunschweig geboren, aber in einem Dorf namens Hemkenrode/NDS aufgewachsen bist. Ist das richtig?
Ja, ganz genau.

Knapp 360 Einwohner hat der Ort. Erkläre doch bitte mal einem Stadtkind, wie es sich anfühlt, auf dem Land groß zu werden.
Für ein Kind ist das ganz toll. Wir konnten da überall rumlaufen, ohne dass einer da war, der uns betreuen oder auf uns aufpassen musste. Am Rand von diesem Dorf gibt es ein Waldgebiet, dort haben meine Eltern auch gewohnt und diese Ecke nennt sich Elm. Dort habe ich zwischen Pony-Wiese, Fußballverein, freiwilliger Feuerwehr und Schützenverein eine ziemlich harmonische Kindheit verbracht. Es gab dort auch sehr viele Bauernhöfe, das heißt, ich war sehr viel auf dem Trecker unterwegs. Mit 12 oder 13 Jahren habe ich dann gemerkt, dass der Weg in die Stadt ein extrem langer und die Verbindung, z. B. mit einem Nachtbus, ziemlich schlecht war. Und da wuchs dann die Lust, z. B. nach Braunschweig zu ziehen. Aber bis die Pubertät anfing, war das Leben auf dem Land wirklich toll.

Wie bist Du überhaupt zur Musik gekommen? Ich nehme ja nicht an, dass Hemkenrode einen eigenen Plattenladen hatte, oder?
Nein, überhaupt nicht. Ich glaube, dass Hemkenrode auch der einzige Ort war, der einen einzigen Zigarettenautomaten mit nur vier Fächern hatte (lacht). Das war wirklich wohl auch die einzige Errungenschaft. Ich bin eigentlich durch meine Eltern zur Musik gekommen. Meine Mutter ist sehr musikbegeistert, vor allem was englische Indie-Musik betrifft. Da ist sie auch heute noch ziemlich weit vorne, wie ich finde. Aber auch über meinen Bruder, der 12 Jahre älter ist, als ich und der damals schon immer aufgelegt hat. So habe ich schon sehr früh gute Platten gehört. Ich habe als Kind angefangen, Klavier zu spielen. Danach habe ich eine ganze Weile Schlagzeug gespielt, u. a. auch in verschiedenen Bands. Irgendwann bin ich dann zur Gitarre gekommen, u. a. weil ich Lust hatte, auch zu texten. Und so kam eins zum anderen.

Ich habe bei der Vorbereitung zu diesem Interview auch etwas über die Schülerband HYPERCHILD gelesen. Es ist die erste Band, über die etwas geschrieben steht. Du sprachst aber noch von anderen Bands ...
Meine allererste Station war eine Band, in der ich tatsächlich Schlagzeug gespielt habe. Diese Band wurde ungefähr zeitgleich mit der Gruppe SUCH A SURGE gegründet, die aus meinem Nachbardorf kamen. Die Band hieß ASSHOLE POWER GENERATION und ich muss da so ca. 12 oder 13 Jahre alt gewesen sein. Wir haben damals deutsche Crossover-Musik mit Punk- und Metaleinflüssen gemacht. Ich komme nämlich grundsätzlich auch aus dem Metal-Bereich. Ungefähr zwei Jahre später hatte ich zusammen mit zwei anderen Mitgliedern von ASSHOLE POWER GENERATION eine Band, die hieß DES NACHTS. Wir haben mit dieser Band lyrische deutsche Texte, z. B. von Else Lasker-Schüler, vertont, d. h., wir haben aus diesen Texten Songs gebaut. Mit dieser Band und diesem Programm sind wir auch in Braunschweig und Umgebung sehr oft aufgetreten. Erst danach kam die Band HYPER CHILD. Als das losging, war ich etwa 17 Jahre alt und die Leute, mit denen ich da zusammen gespielt habe, waren schon etwa 30 oder 32 Jahre alt - mit Ausnahme von zwei anderen Jungs aus meiner Schule, die zwar auch schon älter waren, aber eben noch nicht so alt.

Das war jetzt also eine Schülerband und keine Schulband?
Genau. Ich weiß gar nicht, wie man da auf den Begriff Schülerband kam. Ich glaube, ich habe das irgendwann mal selber gesagt. Eine Schülerband war es nicht wirklich, denn einige aus der Band waren schon Referendare.

Du hast gerade schon erzählt, dass Du Klavier, Schlagzeug und Gitarre spielst. Hast Du zum Erlernen eines dieser Instrumente Musikunterricht gehabt oder bist Du Autodidakt?
In ganz frühen Jahren hatte ich Klavierunterricht. Weil ich aber nie Bock hatte, Noten zu lernen, war der dann irgendwann überflüssig. Ansonsten bin ich Autodidakt.001 20130919 1402988659 Ich hatte mal ein Buch von Peter Bursch, einem Gitarrenlehrer aus Duisburg. Er ist so was, wie der Gitarrenlehrer für die Generation, die keinen Bock hat, zum Musikunterricht zu gehen. Aus diesem Buch konnte man zumindest ein paar Akkorde lernen und begleitend dazu auch eine Kassette hören. So habe ich mir das Gitarrespielen beigebracht und hinterher einfach so viel gespielt, dass weiterer Unterricht nicht nötig war. Heute ärgere ich mich manchmal selber, dass ich keinen Unterricht genommen habe, weil ich mich heute immer noch in meinem eigenen kleinen Radius bewege. So geht es sicher vielen anderen Leuten auch. Ich bin jedenfalls kein guter Gitarrist und auch kein guter Klavierspieler. Im Gegenteil. Für's Studio bin ich eher nicht zu gebrauchen.

Um sich selbst zu begleiten, z. B. am Lagerfeuer, reicht es aber, oder? ;-)
Ja (lacht) und zum Schreiben reicht es auch. Alle Melodien sind schon da, aber wenn's dann um die Wurst geht, brauche ich schon meine Leute. Und das ist dann doch eine ganz andere Liga, als die, in der ich spiele.

Kommen wir noch mal auf die Band HYPERCHILD zurück. Mit dieser Schülerband hast Du mit 17 Jahren Deinen ersten Plattenvertrag unterschrieben. Wann genau war das und wie kam es dazu?
Das muss etwa 1999 gewesen sein. Ich glaube, mit 18 Jahren haben wir den Vertrag unterschrieben. Es kann auch sein, dass wir noch 17 waren. Es ging jedenfalls unheimlich schnell, denn uns gab es bis dahin erst ein halbes Jahr. Wir hatten gerade mal sieben Songs. Irgendwann kam dann ein A&R von der Columbia und der fand gut, was wir machten. Der Kontakt kam über die eben schon erwähnte Gruppe SUCH A SURGE zustande, die damals noch bei der SONY/Epic waren - zu diesem Zeitpunkt war die SONY, also Columbia und Epic, noch nicht unter einem Dach.005 20130919 1027390899 Wir haben bei ein paar Wettbewerben mitgespielt, z. B. dem "New Sensation", eine Veranstaltung des Radiosenders FFN aus Niedersachsen, den wir am Ende auch gewannen oder den zweiten Platz belegten - ich weiß das nicht mehr so ganz genau. So sind die Leute dann erst mal auf uns aufmerksam geworden. Jedenfalls wollten die unbedingt was mit uns machen. Dabei war es denen auch egal, wie und was wir da machten, denn das war diese Zeit, in der die Plattenfirmen ganz viele junge Musiker - wenn man es so sagen will - gecastet haben. Und so kamen wir zu diesem Plattenvertrag. Den haben wir dann auch ziemlich schnell und blauäugig unterschrieben. Wir haben uns riesig darüber gefreut, sind anschließend als Band rumgefahren und haben alles gemacht, was man als Band machen kann.

Gleich die erste Single von HYPERCHILD ging sofort in die Charts. Trotz dieses schnellen Erfolgs löste sich die Band kurz danach auf. Woran lag das?
Ich glaube, das lag daran, und das ist heute bei vielen jungen Musikern noch immer ein Problem, dass wir - obwohl es schon Musiker in der Band gab, die so alt waren, wie ich jetzt - alle noch grün hinter den Ohren waren. Wir haben von vornherein erst mal alles mit uns machen lassen. Wir haben z. B. im "Mickey Maus-Club" gespielt, wollten aber bei "Rock am Ring" auftreten. Wir waren ein ziemlicher Poster-Boy-Pop-Act, wollten aber eine ernstzunehmende Band sein, denn unsere Songs - so fanden wir - waren ziemlich gut. Wir hatten alle irgendwann das Gefühl, es läuft alles in eine total falsche Richtung. Dazu kam noch, dass die Verkäufe des Albums ziemlich hinter den Erwartungen der Plattenfirma blieben. Die hatten in unser Projekt damals ziemlich viel Geld rein gepumpt. Ich erinnere mich noch an einen Moment, da saß ich mit 18 Jahren im Kölner Mediapark im dortigen Jolie Hotel. Der Gitarrist unserer Band, der eigentlich einen tollen Job am Theater in Braunschweig hatte, kam nach oben zu mir und fragte, "Ey, hast Du noch Geld?" Ich sagte "Nein, ich hab auch keins mehr." Daraufhin fragte er mich, "Hast Du noch Zigaretten?" - ich sagte, "Nein, ich habe aber noch ein bisschen Tabak" und so saßen wir in diesem 5-Sterne-Hotel und haben uns aus den letzten Krümeln Tabak eine Kippe gedreht und gesagt, "Irgendwas läuft hier gerade total schief!" Wir sind die ganze Zeit durch die Gegend gefahren und haben Sachen gemacht, die wir eigentlich total doof fanden. Es lief nicht richtig, obwohl wir nicht einmal "Nein" zu irgendwas gesagt hatten und trotzdem saßen wir in diesem Hotel und hatten noch nicht einmal Kohle für Zigaretten. Das war das erste Mal, dass wir gemerkt haben, dass wir uns in irgendeiner Nummer befanden, die sich nicht gut anfühlte. Dazu gab es aber noch bandinterne Probleme, mit denen ich aber gar nichts zu tun hatte. Das lief eher unter den Songschreibern in der Band ab. Wir haben uns gesagt, dass dies nicht der richtige Weg ist und haben aufgehört.

Kann man so was für den späteren Verlauf der Karriere als hilfreiche Erfahrung nutzen oder ist sowas einfach nur frustrierend?
Ich fand es gar nicht so frustrierend. Es löste sich auf und es wurde klar, dass die meisten aus der Band gar keine Lust mehr hatten, Musik zu machen. Ich hatte diese Lust aber immer noch. Das, was ich danach gemacht habe, war eigentlich eine logische Konsequenz. Ich habe gesagt, "Ich möchte nie mehr in meinem Leben eine Band haben!" Da war ich 19 oder 20 Jahre alt und für mich war klar, dass ich keine Lust auf Streiten hatte oder Lust, anderen beim Streiten zuzugucken. Ich hatte aber Lust dazu, meine Lieder zu schreiben und mit denen zu spielen, die da Bock drauf haben. Leute, die das vielleicht nicht ganz so ernst nehmen und nicht persönlich beleidigt sind, wenn ihre Meinung mal nicht gefragt ist. An diesem Punkt habe ich angefangen, die ersten Sachen für BOSSE zu schreiben, allerdings noch ohne zu wissen, was es am Ende werden soll. Ich habe es dann eben so genannt, wie mein Nachname ist und Leute angerufen, die ich schon seit Jahren kannte, die aber auch fast alle in Wuppertaler Bands gespielt haben, z. B. bei UNCLE HO, HEYDAY oder MARIANNENPLATZ. Ich hab' gesagt, "Hey Jungs, ich hab' Lust, irgendwas zu starten. Macht Ihr mit?" Wie der Zufall es so wollte, waren alle drei Bands, die ich gerade nannte, zu dem Zeitpunkt im Begriff, sich aufzulösen.006 20130919 1361751610 Ich habe den Leuten auch gleich gesagt, dass ich keine Lust auf eine Band, aber Lust auf eine Liveband hätte, und Lust darauf, mit Leuten öfter was zu machen. Aber alles ganz entspannt und ohne Streit. Und so kam es dazu. Und die drei Musiker, mit denen ich das angefangen habe, sind auch heute noch immer in meiner Live-Band dabei. Inzwischen ist meine Begleitband ein bisschen größer geworden. Es sind noch Leute dazu gekommen.

Du hast danach Deine Solokarriere gestartet. "Kamikazeherz" war 2005 Dein erstes Album. Bleibt die Entstehung des ersten Albums immer etwas Besonderes für Dich? Was waren für Dich die beeindruckenden Momente in der Zeit des Songschreibens, Aufnehmens und der Veröffentlichung der ersten CD?
Es war von daher schon etwas Besonderes, weil ich bei der Band davor ziemlich wenig gemacht habe. Es war das erste Mal, dass ich eine eigene und wirklich wahre Verantwortung hatte. Das hat auch ziemlich viel mit Druck zu tun. Der Vorteil, wenn man gerade so anfängt, seine eigene Musik zu machen, ist der, dass man ganz ganz viel zu erzählen hat und auch noch gar nicht so genau weiß, was das am Ende werden soll, trotzdem aber das Glück hat, etwas machen zu können. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern. Ich habe damals in Köln im Maarweg-Studio bei meinem Produzenten Wolfgang Stach fast 2 1/2 Monate auf dem Studiofußboden geschlafen und habe in der ganzen Zeit auch nichts anderes gemacht, als an meinem Album zu arbeiten. Ich habe mich in dem Studio eingenistet, bin zum Duschen in die Fitness-Company gegangen und habe dort Tag und Nacht nur gearbeitet. Dabei habe ich die Mischpulte kennengelernt, Schlagzeuge selbst eingespielt, meine Band kam vorbei und so habe ich da gehaust, bis das Album irgendwann fertig war. In diesem Moment habe ich bemerkt, "Ok, so kann sich ein Musikerleben also auch anfühlen." Ich hatte damals aber auch den Vorteil, dass ich keine Freundin hatte. Ich war ungebunden und frei und habe eben dort im Studio gewohnt.

So was vergisst man dann ja auch nicht ...
Nein, das vergisst man tatsächlich nicht mehr.

007 20130919 1309623802Wenn es stimmt, was ich gelesen habe, dann war die Arbeit an Deinem zweiten Album "Guten Morgen Spinner" eine komplett andere. Stimmt es, dass Du Dein zweites Studioalbum innerhalb von nur einer Woche eingespielt hast?
Ja, das stimmt. Das Album haben wir in sieben Tagen eingespielt. Das zweite Album ist auch ein richtiges Bandalbum geworden. Wir haben damals Moses Schneider kennengelernt, der sonst immer die Beatsteaks aufgenommen hat oder den Sänger und Gitarristen Olli Schulz und Tocotronic. Alles, was der bis dahin gemacht hat, fand ich gut. Moses meinte dann, "Ey, Ihr seid so eine gute Live-Band ..." - obwohl ich ja nie eine Band war - "... Probt das ein bisschen, kommt dann ins Studio, wir laden uns dann vielleicht noch ein oder zwei Leute ein und nehmen das dann auf." Das einzige Overdub, welches dann auf das Album rauf kam, war Sven Regener (Element Of Crime, Anm. d. Red.) mit der Trompete bei "Frankfurt/Oder". Ansonsten ist das komplette Album live eingespielt. Wir haben immer auf den guten Moment gewartet und dann auf "Record" gedrückt. Das war dann wieder - wie Du schon sagtest - eine ganz andere Erfahrung, weil die Aufnahmen sehr schnell gingen, aber auch so schnell sein sollte, damit das Album genug Rotze und frische Momente enthält. So arbeitet Moses Schneider eben.

"Kamikazeherz" und "Guten Morgen Spinner" waren Deine ersten beiden Alben, die bei der EMI erschienen sind. Danach sollst Du Dich von der Plattenfirma getrennt haben. Was waren die Gründe dafür? Wollte man Dir zu sehr in Deine Musik reinreden?
Nein, es war eigentlich eher andersrum. Ich wäre sogar gerne bei der EMI geblieben. Die EMI hat sich von mir getrennt, weil das zweite Album - und das erste eigentlich auch - hinter allen Erwartungen zurück geblieben ist. Die EMI hatte kurz davor diese große Umstrukturierung, denn sie wurde vorher aufgekauft. Sie hieß dann erst mal EMI Capitol, danach Terra Firma. Das war dann schon dieser Investorenkreis, in Häkchen die "Heuschrecke". Das Problem an der Sache war eben, dass alle Bands, die so wenig verkauft haben, wie ich, als erstes direkt rausgeflogen sind. Mein persönliches Problem war aber, dass von den eigentlich 15 Leuten, mit denen ich immer eng zusammengearbeitet habe, am Ende nur noch zwei übrig geblieben sind, die auch sehr unzufrieden waren, aber einfach gute Verträge hatten und deshalb da weitermachten. Der ganze Rest war durch diese Umstrukturierung weg und dann wurde es Zeit für eine solche Firma, mit irgendwas Neuem anzufangen. Man hat auch gemerkt, dass für das Album "Guten Morgen Spinner" gar nicht mehr gearbeitet wurde. In Fachkreisen nennt man das wohl eine "stille Veröffentlichung". Es war aber auch kein Album, das jetzt groß im Radio lief, wo etwas auch hätte von alleine losgehen können und auch die Presse fand das Album eher schlecht. Das war dann die beste Zeit, um mich dort rauszuschmeißen. Das war ziemlich doof, denn damals kam gerade meine Tochter zur Welt und ich hatte den Plattenvertrag verloren. Ich hatte nicht viel Geld und wusste erst mal auch nicht, wie ich weitermachen soll. Ich habe dann Demos gemacht, mich damit beworben und keine andere Plattenfirma wollte mich. Ich war im Prinzip gescheitert. Daraufhin habe ich mir ein bisschen Geld geliehen. Gar nicht so viel, sondern "nur" 5.000 Euro, und die anderen 5.000 Euro kamen von meinem Management. Das sind Leute, die seit dem Ende von HYPERCHILD immer an meiner Seite waren. Wir haben jedenfalls eine eigene kleine Firma aufgemacht, anschließend für sehr wenig Geld das Album "Taxi" produziert und es selbst rausgebracht.

Was auch immer anders, als vorher lief: Das erste Album bei Scoop Music, das ist die Firma, die Du gerade angesprochen hast ...
Genau!

... eben dieses Album kam in der ersten Woche die Album Charts ...
Es ist auf Platz 96 eingestiegen und ich glaube, wir haben davon nur 890 Exemplare verkauft.

Aber immerhin. Top 100 also und eine Chartnotierung. Das ist Dir vorher bei der EMI nicht gelungen ...
Genau. Es war so, dass das ein kleiner Glücksgriff war. Wir hatten von der ganzen Sache damals noch nicht viel Ahnung, aber da war eine tolle Radiopromoterin, die erst mal umsonst für uns gearbeitet hat und dazu zwei oder drei andere Leute, die Pressearbeit gemacht haben. Dazu kam noch das Label Rough Trade, die bei meiner Platte als Vertrieb geholfen haben und Kurt Thielen, der mit seiner Firma "Zebralution" dafür gesorgt hat, dass das Album auch über I-Tunes erhältlich war.009 20130919 2019016316 Am Ende war es das Lied "3 Millionen" und das umsonst gedrehte Video mit der Berliner Schauspielerin Laura Tonke, das dann plötzlich so hohe YouTube-Klicks hatte. Es war der erste BOSSE-Song, der ohne Plattenvertrag immens oft im Radio lief. Und plötzlich ging es los. Es kamen die Nachbestellungen für das Album, so dass wir noch mehr Geld aufnehmen mussten, um weitere 5.000 Exemplare der CD pressen lassen zu können. So ging es immer weiter und das hat sich dahingehend entwickelt, dass wir nach einem Jahr mit der Organisation völlig überlastet waren. Gerade ich, der sehr viel koordiniert und sich selbst Interviews besorgt hat, dachte, dass das alles nicht mehr viel mit Musikmachen zu tun hat. Aber es lief auf jeden Fall.

Dann kam das Jahr 2011. Kann man sagen, dass es mit Deinem Album "Wartesaal", mit dem Du erstmals die Album Top 20 erreicht hast, dem Song "Frankfurt Oder", den Du zusammen mit Anna Loos von SILLY neu aufgenommen hast und Deiner Teilnahme am Bundesvision Song Contest der Brustlöser, sprich der Wendepunkt war, an dem es keinen Weg zurück sondern nur noch nach oben gab?
Ja, auch hier kam eins zum anderen. Wir hatten mit dem Album "Taxi" zwischen 120 und 130 Konzerte gespielt. Da hat man am Ende schon gemerkt, dass wir in jeder Stadt und bei jedem Konzert zwischen 200 und 300 Leute beim Publikum dazugewonnen hatten. Das lag daran, dass wir so oft gespielt und uns dabei immer richtig viel Mühe gegeben haben. Und dann kam das eben mit der Single "Weit weg" und dem Album "Wartesaal" und im Herbst das Duett mit Anna Loos. Allein die Frühjahrstour zum Album "Wartesaal" war ziemlich krass. Wir haben zu der Zeit noch in kleineren Clubs gespielt, die aber alle lange vor dem Konzert schon ausverkauft waren. Das hatte sich irgendwie rumgesprochen. Und am Ende des Jahres hatte ich wirklich das Gefühl, dass das alles sehr viel mehr geworden ist, als ich es mir je erhofft hätte.

Das fühlte sich für Dich also anders an ...
Na ja, so ein Stück weit, dass ich mir gesagt habe, "Irgendwie reicht der kleine Sprinter nicht mehr!" Den hatte ich mir mit 19 mal gekauft, um die Backline rumzufahren. Den Fahrdienst mit meinem Sprinter habe ich, bis ich 30 war, noch gemacht, weil in meiner Band so wenige Leute einen Führerschein haben. Jedenfalls habe ich früher immer alles alleine gemacht. Ich habe selbst die Technik aufgebaut, habe selbst T-Shirts verkauft, habe dann gesungen und hinterher selbst abgerechnet. Irgendwann hatte man das Gefühl, "Ey, das reicht jetzt alles nicht mehr! Wir müssen jetzt auch mal eine eigene Lichtanlage mitnehmen. Dazu brauchen wir einen Lichtmann, der damit umgehen kann." Außerdem wurden die Bühnen immer größer und wir hatten immer noch unsere kleinen Amps. Im Herbst haben wir zur Tour versucht, das Ganze auch ein bisschen zu professionalisieren und hatten dann auch wirklich unsere erste Nightliner-Tour.

Kommen wir doch noch mal auf dieses Lied "Frankfurt Oder" zurück, das letztlich auch als Teilnehmer beim Bundesvision Song Contest dabei war. Wie kommt man als in Braunschweig geborener und in einem niedersächsischen Dorf aufgewachsener junger Mann dazu, einen Song wie "Frankfurt Oder" zu machen?
Es ist so, dass der väterliche Teil meiner Familie aus Frankfurt an der Oder stammt. Mein Vater und auch meine Oma sind in Frankfurt (Oder) geboren. Meine Familie besitzt noch immer einen kleinen Hof etwas außerhalb von Frankfurt (Oder), um den es auch in diesem Lied geht. Das ist zwar alles ein bisschen umgedreht, aber das ist meine Connection zu Frankfurt (Oder).

Du hast 2010 im Vorprogramm von SILLY gespielt, als diese mit ihrem Album "Alles Rot" unterwegs waren. Entstand dabei auch die Idee mit dem gemeinsamen Song mit Anna, über den wir gerade sprachen?
(überlegt lange) Das weiß ich jetzt gar nicht mehr. Die Geschichte ist eigentlich die, dass ich Anna schon sehr lange kenne, weil wir eben die gleiche Booking-Agentur haben. Wir haben uns irgendwann mal bei einem Grillfest dieser Agentur kennengelernt. Manchmal ist es so, dass man auf Leute trifft, die einem in einer bestimmten Art und Weise ähnlich sind und die man super findet. Und genau so war das bei uns. Uns war da schon klar, dass wir Bock hatten, irgendwas miteinander zu machen. Sei es schauspielmäßig, was ihre Idee war und was jetzt nicht gerade mein Bereich ist, oder, was meine Idee war, "Lass uns doch irgendwann mal was gemeinsam singen." Ich weiß jetzt gerade nur nicht, in welchem zeitlichen Rahmen die SILLY-Tour war. Ich glaube aber, dass die Idee dazu schon vorher entstanden ist, denn der Song war da ja schon aufgenommen. Es war so, dass ich für das Album "Wartesaal" noch einen Schuss frei hatte. Wir hatten noch zwei Tage bis zur Abgabe und ich hatte mir für das Album "Wartesaal" den Song "Frankfurt Oder" rauslizensiert. Das heißt, ich habe Geld dafür gezahlt, dass die EMI die Rechte an diesem Lied an mich abgetreten hat. Die Lizenzen für Lieder sind in der Regel erst mal für sieben oder zehn Jahre weg und in dieser Zeit darf man das Lied nicht verändern und kann es höchstens noch mal selbst covern. Ich wollte dieses Lied aber unbedingt mit auf das neue Album nehmen, weil ich es toll fand. Auch wegen Sven Regener, aber hauptsächlich wegen des Liedes. Mein Produzent kam dann auf die Idee, dieses Lied einfach zu remixen. Er meinte, "Wir gucken mal, was man da noch rausholen kann und machen es komplett anders." In dem Moment kam ich auf die Idee und sagt, "Jetzt ruf ich Anna an!" Anna ist auch Brandenburgerin und das lag alles schnell auf der Hand. Darum haben wir es gemeinsam gesungen.

Wie kam es dazu, dass Du mit diesem Song dann auch beim Bundesvision Song Contest aufgetreten bist? Hast Du Dich dafür beworben, hat Dich die Plattenfirma dort angemeldet oder bist Du angesprochen worden?
Die haben mich gefragt. Auch für dieses Jahr wurde ich wieder gefragt. Als die Anfrage kam, haben Anna und ich sofort ja gesagt. Fanden wir beide gut.

012 20130919 1532603795Mit welchem Lied bist Du denn in diesem Jahr dabei?
Ich starte am 26. September für das Bundesland Niedersachsen mit dem Lied "So oder so".

Ein weiterer sehr erfreulicher Moment in Deiner Karriere war wohl der, als Dein aktuelles Album "Kraniche" Platz vier der Album Charts erreicht hat. Wenn man dem Gesetz der Serie folgt, war es nur logisch, dass diese Scheibe noch höher, als sein Vorgänger charten würde. Hast Du das bei der Veröffentlichung geahnt oder war das eher eine Überraschung?
Wenn ich ganz ehrlich bin, muss ich sagen, dass ich immer ganz entspannt bin, was die Charts betrifft. Ich interessiere mich immer mehr dafür, wie viele Leute zu meinen Konzerten kommen oder wie die Vorverkäufe sind, bevor das Album rauskommt. Außerdem interessiert mich brennend, wie die Leute das Album finden. Wie das Album in die Charts einsteigt und was machen die Charts mit einem Künstler, interessiert mich eigentlich gar nicht so ...

Na, komm ... Platz 4. Das ist doch 'ne tolle Sache!
Aber das ist eher für meine Plattenfirma wichtig, als für mich. Auch für die Leute, die um mich herum sind. Für die ist das toll, denn sie arbeiten auch total viel dafür, wie z. B. meine Produktmanagerin, die sechs Tage die Woche nur noch BOSSE im Kopf hat. Für die ist es total wichtig, dass die Platte auf Platz 4 reingeht. Wir haben - und das kann ich jetzt ja sagen - sehr viele Alben in der ersten Woche verkauft, haben das Album aber in der gleichen Woche, wie die von David Bowie, Hurts und Bon Jovi veröffentlicht und das waren auch die, die in den Charts vor uns waren. Mit Ausnahme von David Bowie haben die anderen aber gar nicht so viel mehr Platten verkauft, wie ich. Nur Bowie hat das Dreifache verkauft. Wir wären aber ansonsten, in dem ganzen Jahr und auch bis jetzt noch, die Nummer Eins gewesen mit dem, was wir verkauft haben. Für die Leute um mich herum ist das eben sehr wichtig und das soll auch der Lohn dafür sein, dass sie so toll dafür gearbeitet haben. Ich verstehe auch, dass es für die Leute um mich herum wichtig ist, aber es gibt eben eine große Diskrepanz zwischen künstlerischem und medialen oder kommerziellen Erfolg. Für mich ist dann so was wichtig, wenn jemand sagt, "Ich bin einer von nur 2.300 Leuten, die Dein zweites Album gekauft haben und es bedeutet mir sehr viel." Aber auch in die andere Richtung, wenn einer sagt, "Ich finde die CD voll scheiße." Das ist etwas, was für mich interessant ist und was in den Zeiten, in denen es nicht so gut lief, auch immer der Grund war, warum ich weitergemacht habe.

"Kraniche" ist inzwischen schon ein paar Tage alt. Wie zufrieden bist Du mit dem bisherigen Abschneiden der Platte? Wie kommt sie bei Deinen Fans an?
Das ist bei mir immer ein bisschen schwierig ... Wenn man sich meine Alben in chronologischer Reihenfolge anhört, merkt man schon, dass jedes Album irgendwie anders ist. Ich bin nicht PLACEBO oder METALLICA, bei denen man immer irgendwie weiß, was passiert. Von daher waren es durchweg gute Kritiken, die ich bekommen habe. Es gibt sicher auch Leute, denen das nicht so gut gefällt, was aber durchaus normal ist. Es geht mir manchmal ja genau so. Ich kann von mir nur sagen, dass ich an einem neuen Album immer 1 bis 1 1/2 Jahren arbeite. Dann erscheint es und ich gehe damit auf Tour. Es gibt viele Leute, die damit sehr viel verbinden. Es gibt ein paar, die sagen, "Ich fand das Album vorher besser", es gibt noch ein paar andere, die sagen, "Ich fand 'Guten Morgen Spinner' besser" und so ist das eben. Ich bin für Kritik immer offen, aber ich kann meine Musik nicht für die Leute machen. Ich kann sie nur für mich selbst machen und ich bin immer wieder froh, wenn ich 14 oder 15 gescheite Lieder auf's Blatt Papier kriege. Und das ist in dem Moment dann Erfolg genug für mich selbst.

War bei der Entstehung von "Kraniche" etwas anders in Deiner Arbeitsweise? Wie ist das Album entstanden?
Es ist eigentlich komplett anders gelaufen. Ich war ziemlich viel im Ausland. Meine Frau ist Deutsch-Türkin und Schauspielerin in der Türkei. Sie hatte damals einen Film promotet und meine Tochter war noch nicht in der Schule. Wir sind dann im Januar nach Istanbul gegangen, haben dort eine lange Zeit gelebt und da habe ich angefangen, zu schreiben.017 20130919 1586857780 Ich weiß gar nicht, inwieweit das wichtig für das Album war, aber es war auf jeden Fall gut für mich, weil ich das Handy aus hatte und ich wo anders war, wo alles ganz neu war. Dort habe ich einen Teil der Lieder geschrieben. Den Rest habe ich in Umbrien geschrieben, weil wir dort im Haus der Eltern meines Produzenten den Großteil des Albums aufgenommen haben.

Wie würdest Du einem Musikfreund, der "Kraniche" bisher noch nicht gehört hat, dieses Album beschreiben?
Ich hoffe, dass es für den Hörer ein buntes, unberechenbares und offenes Album ist, mit Geschichten, die einen interessieren und im besten Falle fesseln.

Warum hast Du Dein Album "Kraniche" genannt?
Ich muss vorweg sagen, dass mir das Finden von Albumtiteln immer sehr schwer fällt. Ich habe da immer eine ganz große Menge, die soviel damit zu tun hat, als wenn man im ersten Semester Philosophie studiert. Oder wie ein junger Schriftsteller aus Berlin, der 21 ist ... Solche Titel habe ich immer. Die finde ich dann irgendwann eklig und versuche dann, irgendein Wort oder einen Song zu finden, welches das Ganze für mich irgendwie einschließt. "Kraniche" war immer eine Nummer, die ich als die Mitte des Albums betrachtet habe, deswegen ist das Lied auch der Opener auf der CD geworden. Da kommen alle Instrumente drin vor, das Lied hat ein mittleres Tempo und es geht im Text um eine entspannte Grundhaltung im Leben. Außerdem bin ich ziemlich viel gereist und der Kranich ist ein Zugvogel. Der Kranich ist auch ein guter Tänzer, gerade wenn's an die Balz geht. Und ich war gerade in Tokio und habe dort in einer Bibliothek gedreht, in der es auf der einen Seite um Buddhismus, Nam Myōhō Renge Kyō, ging und auf der anderen Seite um Kraniche. In der Mythologie Japans ist der Kranich ein wichtiges Tier und bedeutet im Prinzip Glück und Langlebigkeit. Das fand ich ganz gut für meine Musik.

Gibt es auf der CD Songs, die Dir besonders am Herzen liegen?
Also irgendwie alle. Natürlich, denn für mich müssen die Songs alle eine Wichtigkeit haben, sonst kann ich sie nicht mit auf mein Album nehmen. Ansonsten gibt es aber auch Lieder, wie z. B. das "Familienfest", was ich irgendwie anders finde. Darum ist es wohl mein Favorit. Oder "Istanbul", weil da türkische Instrumente aber auch viele Erinnerungen drin sind.

Wie entstehen Deine Lieder? Ziehst Du Dich zum Songschreiben an einen bestimmten Ort zurück und verwandelst dort Erlebnisse einer bestimmen Phase in Songtexte und Kompositionen oder fallen Dir Geschichten zu Songs in dem Moment ein, wenn Du ein bestimmtes Erlebnis hast und schreibst sie sofort auf?
Ich bin eher so ein Sammler. Ich sammle und sammle und sammle und wenn ich irgendwann das Gefühl habe, dass da irgendetwas Lohnenswertes ist, was ich mir aufschreiben sollte, dann schreibe ich es auf und ganz oft vermischt sich das dann mit irgendeiner aktuellen Geschichte. Aber es ist superselten, dass ich - sage ich mal - Silvester auf einem Hochhaus sitze, da fliegen die Raketen lang und ich sitze da und schreibe einen Text. Diese Romantik gibt es bei mir einfach nicht. Schön wär's, ist aber nicht so (lacht).

Du hast es gerade schon angesprochen, dass es Fans gibt, die sagen, ihnen gefällt das Album nicht. Mal sachlich, manchmal aber leider auch unsachlich. Die Gruppe SILLY erlebte das mit ihrem aktuellen Album "Kopf an Kopf" zuletzt. Hast Du von dieser Entwicklung etwas mitbekommen?
Wenn ich ehrlich bin, nicht. Was war denn da los?

Es gab speziell auf Facebook laute Kritik, das Album sei zu mainstreamig, es seien zu wenig Gitarren zu hören und die Texte von Anna seien zu seicht. Wie reagiert man als Musiker, der von seiner Musik total überzeugt ist, in so einem Moment richtig?
Ich stehe total auf Meinungsfreiheit. Genau so stehe ich darauf, manche Dinge einfach auch nicht zu erklären. Bei mir ist das ähnlich. Eine schlechte Kritik, mit allem was dazu gehört, kann ich mir nur sehr schlecht reinziehen. Natürlich kann man das bis zu einem gewissen Punkt und sagt sich dann, "Ach schade, dass das nicht so gut ankommt." Aber genau so gut kann ich das mit den guten Sachen. Wenn ich mir immer anhören müsste, wie toll und gut das alles ist, würde ich das irgendwann glauben und mich nur noch damit beschäftigen, was mir andere Leute sagen. Ich merke dann bei mir, dass ich mich ab einem gewissen Punkt abschirme. Nicht, weil ich dabei panisch werde, sondern weil ich in erster Linie Musik erst mal nur für mich selbst mache. Das ist eben die absolute Wahrheit. Sobald ich an jemanden denke oder versuche, darauf hin zu arbeiten, irgendwelche Anforderungen oder Erwartungshaltungen zu erfüllen, dann bin ich bei der Musik an der falschen Adresse. Dann muss ich in die Dienstleistung wechseln. Dann kann ich Animateur werden oder sonst irgendwas. Ich möchte es erst mal gar keinem recht machen, außer vielleicht mir selbst. Ich möchte mich ja selbst überraschen. Dazu kommt, dass Musik doch auch immer eine Geschmackssache ist. Für mich als Hörer ist es so, dass, wenn ich ein Album einer Band, die ich immer gut fand, total kacke finde, ich aber beim Hören trotzdem das Gefühl habe, dass die das total ernst gemeint haben, dass sie hinter ihrem Produkt stehen und dass es eben kein totaler Ausverkauf oder Fanverarsche ist, dass ich das akzeptiere. Jede musikalische Veränderung, auch wenn es mal weniger politisch ist oder zu wenig Gitarren zu hören sind, was ich im Fall von SILLY überhaupt nicht finde - eigentlich sogar das Gegenteil, ist eine Veränderung, eine Entwicklung. Ich finde das auf dem neuen SILLY Album super. Ja, man merkt, dass Werner Karma hier und da weniger getextet hat. Ich verehre diesen Mann, aber ich finde es auch toll, dass mal klare Worte gesprochen werden. Trotz dem kleineren Werner Karma-Anteil sind seine Texte noch ein großer Eckpunkt dieses Albums.

Du meinst also, einfach weitermachen und der inneren Stimme vertrauen?
Ja! Ich glaube, das schlimmste, was Dir als Musiker passieren kann, ist, wenn Du merkst, "Ich habe hier richtig Scheiße gebaut". Die 30 besten schwedischen Songwriter haben für Dich ein Album geschrieben, das jetzt irgendwie doof ankommt. Dann kannst Du Dich gehackt legen und auch gleich aufhören, Musik zu machen. Aber wenn Du weißt, das waren Deine zwei Jahre Arbeit und Du hast für das Album alles gegeben, es liegt Dir am Herzen und alles, was Du da singst, ist Deins, dann hast Du alles richtig gemacht und kannst erst mal nicht so richtig viel verlieren.

Was rätst Du jungen Musikern, die ihr Liebe zur Musik auch zum Beruf machen wollen? Kann man diesen Berufswunsch unter den veränderten Voraussetzungen auf dem Musikmarkt heute überhaupt noch bedenkenlos weiterempfehlen?
Ja, finde ich schon. Ich finde, dass sich grundsätzlich gar nicht viel verändert hat. Wenn man jungen Leuten sagt, "Du wirst mit 40 Taxi fahren und am Hungertuch nagen", könnte das auch auf jeden anderen Musiker zutreffen. Die Gefahr besteht immer, das ist klar. Aber wenn man gerne Musik macht, warum nicht? Ich würde nur raten, so spät es geht, erst einen Plattenvertrag zu unterschreiben und so viel es geht, Musik zu machen und dabei alles auszuprobieren. Das sollte man so lange machen, bis man wirklich das Gefühl hat und weiß, was man tut. Es gibt genug Beispiele. So z. B. von zwei Freundinnen von mir. Die eine kommt aus Hamburg, die andere aus der Schweiz, nämlich die Band BOY. Die beiden haben als BOY erst mal 340 Konzerte gespielt, bevor sie überhaupt angefangen haben, darüber nachzudenken, ein eigenes Album aufzunehmen. Zu dem Zeitpunkt hatten sie schon eine große Fanbasis, haben Erfahrungen gesammelt und sind mit anderen Künstlern gereist. Die haben z. B. bei mir über achtzig Mal im Vorprogramm gespielt. Erst danach haben sie ihr Album veröffentlicht. Man hat nie wieder soviel Zeit, wie bis zum ersten Album, von daher würde ich jungen Musikern raten, "Wenn Du jetzt ein Album machen möchtest, mache es frühestens in drei Jahren!" Das ist mein Tipp.

Ist BOSSE mit seiner Musik am Ziel angekommen und wird er diesen eingeschlagenen Weg weiter ausbauen oder wird er sich im Laufe der Zeit immer wieder neu erfinden und eventuell Ausflüge in andere Richtungen unternehmen?
Ich habe immer gesagt, genauso wie ich auch gesagt habe, dass ich nie wieder in einer Band spielen werde, dass, wenn ich Musik richtig machen werde, dann habe ich keinen Bock, mich zu wiederholen. Ich habe keine Lust, mich vor mir selbst zu langweilen. Und das passiert unheimlich schnell. Ein Album wie z. B. "Kraniche" wird es wahrscheinlich so nicht noch einmal geben. Ich weiß nicht, was als nächstes von mir kommt, das kann ich derzeit noch nicht einschätzen. Es kann irgendwas mit Streichern werden, es kann aber auch sehr gitarrenlastig werden. Es wird aber auf keinen Fall noch mal dasselbe sein.

Da knüpft dann meine nächste Frage an: Was liegt bei Dir in naher Zukunft an? Gibt es schon Pläne über "Kraniche" und das aktuelle Live-Programm von BOSSE hinaus?
Es ist so, dass ich für das nächste Jahr plane, nicht ganz so viel Musik zu machen. Ich werde auf jeden Fall versuchen, ein neues Album zu schreiben. Im nächsten Sommer werden wir aber auf jeden Fall auch wieder Konzerte spielen und im Februar die aktuelle Tour abschließen. Im Moment ist es aber so, dass ich nur von heute auf morgen und nicht darüber hinaus denken kann, um das kräftemäßig auch durchzuhalten.

Du bist ja jetzt schon eine Weile im Musikgeschäft. Welche Frage, auf die Du möglicherweise schon lange wartest, hat man Dir in einem Interview noch nicht gestellt?
Puh ... (überlegt lange) ... außer, dass ich jetzt etwas Witziges sage, gibt es die Frage nicht. Ich glaube, dass überraschender Weise schon so viele Fragen gestellt wurden. Ich hatte speziell in diesem Jahr schon sehr viele gut informierte und gut vorbereitete Journalisten vor mir und eigentlich ist da alles abgedeckt worden.

Du hast es in diesem Interview schon mehrfach betont: BOSSE ist Axel Bosse und keine Band. Manche Leute sehen in BOSSE dennoch eine Band und keinen Solisten. Nimmst Du es diesen Leuten übel, wenn sie von einer BAND, statt von Dir reden?
Wenn es eine Band wäre und ich hätte sie so genannt, wie ich mit Nachnamen heiße, nämlich BOSSE, würde ich das sehr egoistisch finden (lacht). Außer, die anderen wären meine Brüder oder Cousins. Aber eigentlich ist mir das egal, ob man darin nun eine Band sieht oder mich als Sänger. Am Ende soll die Musik sprechen. Alle Menschen, die hier mitmachen, besonders die, die sich schon so lange kennen, sind ein familiäres Gefüge und besser kann dieses Gefüge gar nicht sein. Ich kann das gut beurteilen, denn ich habe ja schon in ein paar Bands mitgespielt. Ohne meinen Gitarristen, ohne meinen Schlagzeuger und ohne alle anderen, die da mitmachen, gäbe es BOSSE so nicht und wir würden jetzt wahrscheinlich nicht zusammen telefonieren und über die Musik sprechen. Deswegen schwappt das auch ein bisschen über. Natürlich sind wir eine Band und ich kann auch nicht auftreten, wenn mein Gitarrist nicht dabei ist. Dafür macht mein Gitarrist auch nicht die Songs oder die Texte und geht auch nicht zu den Radiostationen. Das mache ich und er macht jetzt vielleicht gerade Urlaub. Aber man darf das Ganze gerne als Band sehen.

Das war's schon. Hast Du noch ein paar letzte Worte, die Du an die Leser richten möchtest?
Ich wünsche auf jeden Fall allseits einen schönen Herbst ohne viele Erkältungen!


Interview: Christian Reder
Bearbeitung: mb, cr
Fotos: Universal, Axel Bosse privat




 


   
   
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