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Jürgen Ehle (Pankow)
 
wenige Tage vor dem Start der Tour,
im Interview mit Deutsche Mugge
 
 
Nach einer inzwischen schon traditionellen zweijährigen Konzertpause startet am 3. November 2011 in Stralsund die neue PANKOW-Tour - mit mindestens fünfzehn Auftritten. Am nächsten Tag erscheint das neue Album, und schon seit dem 7. Oktober steht eine neue Best-Of-Doppel-CD in den Läden - mit einigen bisher noch nicht auf PANKOW-Alben erschienenen Songs. Reichlich Stoff für ein Interview mit Jürgen Ehle, der als Gitarrist, Sänger und Komponist von Anfang an dabei ist. Wir treffen Jürgen am Montagabend in einem Café mitten im Berliner Stadtteil Pankow - passend zum Titel des neuen Albums.
 
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Hallo Jürgen, zunächst unseren herzlichen Glückwunsch zum neuen Album! Waren denn alle an der Produktion beteiligten Bandmitglieder sofort davon überzeugt, nicht nur auf eine Jubiläumstour zu gehen, sondern auch gleich ein neues Album aufzunehmen?
Es war uns klar, dass wir das 30jährige nicht ohne Tour verstreichen lassen werden. Ein neues Album war selbstverständlich nur möglich, wenn es ausreichend neues Material geben würde. André hatte im Juli 2010 bereits einige Songs mitgebracht, wir haben mit der Sichtung begonnen und bis zum Ende des Jahres ein paar spontane Demos aufgenommen. Zu dem Zeitpunkt hatte ich selbst aber noch gar nichts geschrieben. Erst Anfang 2011 konnte ich mich dann voll und ganz auf PANKOW und damit auf das Schreiben neuer Songs konzentrieren.

 

Wie lange hast Du in etwa für Deine Songs gebraucht?
Ungefähr ein Vierteljahr. Ja, von Februar bis April habe ich alle Songs geschrieben, die jetzt auf dem Album sind. Über den einzelnen Song sagt das aber nichts aus, das kann eine Viertelstunde oder mehrere Monate in Anspruch nehmen.

 

NEUER TAG IN PANKOW - welches waren Deine wichtigsten Gedanken und Gefühle, die Dich beim Schreiben des Titelsongs bewegt haben?
Dieser Song beschreibt, wie ich mich manchmal fühle, wenn ich hier durch die Gegend laufe. Ich bin gern und oft zu Fuß unterwegs, auch auf längeren Strecken. Und in rund fünfundzwanzig Jahren, die ich jetzt in Pankow lebe, bin ich manche Wege natürlich schon unzählige Male gegangen. Immer wieder meine vertrauten Wege - egal, ob es gerade die kürzesten sind oder nicht. Bei dieser entschleunigten Form der Fortbewegung komme ich oft in's Träumen, Sinnieren - der Körper weiß von allein, was er zu tun hat, der Kopf wird frei.

002 20130202 1377975211 "... am Ende hat das alles
was mit mir zu tun ..."

aus NEUER TAG IN PANKOW,
Kompostion und Text: Jürgen Ehle


Die Bilder und Szenen im Text sind gesammelte Erinnerungen, eine Reihe von Momentaufnahmen, aber es könnte auch alles an einem einzigen Tag sein. An einem ganz gewöhnlichen Tag in Pankow. Darum ging es mir: "Einfach nur ein neuer Tag in Pankow." Mathilde heißt in Wirklichkeit nicht Mathilde, aber es gibt diese Frau tatsächlich und auch die Bushaltestelle. Den Bäcker gibt es auch immer noch und die Flugzeuge fliegen hier direkt über uns. Bis zu den todschicken Häusern sind es keine zehn Minuten zu Fuß.

 

Und auf dem Dach vom S-Bahnsteig hat einmal PANKOW gespielt?
Ja, das stimmt, das war 1982, also noch bevor es unser erstes Album gab. Die DEFA hat damals einen Beitrag über uns für den AUGENZEUGEN gedreht. Es war der Song ILSE BILSE. Der Regisseur hatte die Idee, uns auch auf dem Dach spielen zu lassen. Andere Szenen haben wir in der S-Bahn und unten vor der Eingangshalle gedreht. Die Textautorin Katharina Zschoche war dabei und hat die Ilse Bilse gespielt - und unser Manager den Koch - "und nahm se' doch". Im Film hat er die Ilse in den Kofferraum eines Trabis gesteckt.

 

Man bezeichnet Euch seit vielen Jahren als die "Rolling Stones des Ostens", an anderer Stelle liegt Ihr mit vielen anderen Künstlern in der Schublade "Ostrock", dann hört man wieder den Begriff "Kultband". Was empfindest Du bei solchen Kategorisierungen?
Wenn sich der Vergleich mit den Rolling Stones auf unsere musikalische Qualität bezieht, habe ich selbstverständlich nichts dagegen. Ansonsten kann ich mit solchen Schubladen nicht viel anfangen. Wir nehmen es zur Kenntnis, denn verhindern können wir es sowieso nicht. Am meisten ärgert mich bei solchen Beschreibungen von PANKOW, dass die Zeit nach 1990 oft völlig ausgeblendet wird. Als hätte es PANKOW in den letzten zwanzig Jahren nicht gegeben. Dabei haben wir in dieser Zeit vier Studio- und ein Live-Album veröffentlicht und waren immer und immer wieder auf Tour, haben großartige Konzerte gespielt.
Hin und wieder begegnen wir Leuten, die uns davon erzählen, wie wir zu DDR-Zeiten mit unserer Musik ihr Leben begleitet haben. Wir waren offenbar zur damaligen Zeit für viele Menschen wichtiger, als es Musiker gewöhnlich sind. Das ist gut so - aber es waren wiederum nur die ersten acht Jahre unserer Bandgeschichte. LANGEWEILE ist zum Beispiel ein Song, mit dem wir auch außerhalb des Landes bekannt wurden, weil er direkt zu den damaligen Ereignissen passte - nur immer wieder darauf reduziert zu werden, ist schade. Aber wir jammern nicht, wir schreiben neue Lieder, machen eine neue Platte und gehen damit auf Tour!

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"Wenn wir etwas Neues
machen, dann muss es
auch etwas Frisches werden!
Darin sind sich alle
in der Band einig."

Im Vergleich zum letzten Album NUR AUS SPASS, das innerhalb weniger Tage in einem Landhaus in der Uckermark aufgenommen wurde, sind jetzt verschiedene Aufnahmeorte genannt - wie habt Ihr gearbeitet? 
Es gibt in der Band eine gemeinsame Überzeugung, die sagt, lass uns immer etwas Neues probieren. Deshalb haben wir es dieses Mal genau anders herum gemacht. Bei NUR AUS SPASS hatten die meisten Songs bis kurz vor der Aufnahme eine sehr offene, lockere Form, die erst im letzten Moment ausgearbeitet wurde. Das hat funktioniert, weil wir zwölf Tage lang fast rund um die Uhr zusammen waren, also immer "dranbleiben" konnten. Dieses Mal hingegen wurde sehr genau und ausführlich geprobt und ein Basis-Arrangement erarbeitet, das dann für die beiden Produzenten absolut verbindlich war. Danach lief alles fast nur noch über E-Mail, File-Sharing und Telefon.


"Bei dieser Platte ist tatsächlich der
Großteil der Arbeit per Internet passiert."
 


Tatsächlich ist der Großteil der Arbeit per Internet abgestimmt und ausgetauscht worden - also eine ganz andere Arbeitsweise, als bei NUR AUS SPASS. Das war spannend, bedeutete aber auch, dass alles viel, viel länger dauerte, da ja nichts gleichzeitig, sondern alles nacheinander aufgenommen wurde. Man muss bei all dem auch bedenken, dass es immer schwierig ist, die ganze Band zu einem Termin zusammen zu bekommen. Jeder hat zusätzlich seine eigenen laufenden Projekte und Pläne. Also war der Anspruch, etwas Frisches zu machen, auch eine wichtige Motivation, sich zwischen all den Verpflichtungen die Zeit für PANKOW freizuschaufeln. Mit der Lust auf etwas Neues kommt auch die Lust auf die Arbeit.

 

Gab es spezielle Prämissen für die Themen, den Stil oder den Sound?
Wie gesagt: die einzige Maßgabe war, nicht in verbrauchte Routinen zu verfallen. Das haben wir durch die neue Arbeitsweise geschafft. Für die Songs selbst gab es keine Vorgaben.

 

004 20130202 1393947397Jürgen, auf NUR AUS SPASS ist keiner der Songs von Dir geschrieben worden. Die Stücke auf der jetzigen Platte stammen bis auf zwei Ausnahmen fast zu gleichen Teilen von Dir und André ...
Ich habe tatsächlich vierzehn Jahre lang keinen Song für PANKOW geschrieben. Es hat sich einfach nicht ergeben. Ich kann so etwas auch nicht planen. Ich brauche Zeit und einen freien Kopf, aber das allein erklärt auch nicht, warum und woher die Ideen kommen, aus denen dann ein neuer Song wird.

 

Ja, an Themen scheint es Dir jetzt nicht gemangelt zu haben.
Der Alltag ist immer voller Inspiration, und im Laufe der Zeit sammeln sich Ideen an, einzelne Worte oder ganze Sätze, auch musikalische Skizzen, aber es ist nicht immer möglich, das gleich umzusetzen. ICH WACHTE AUF geht zum Beispiel auf eine musikalische Idee zurück, die ich schon 1991, also vor zwanzig Jahren hatte. Die Grundlage zu AUSWENDIG ist noch wesentlich älter. Auf einmal gab es aber Texte die dazu passen, und die wurden - zumindest was mich betrifft - allesamt erst im Frühjahr geschrieben.

 

Welcher Song ist Dein persönlicher Favorit?
Es ist an jedem Tag ein anderer - und genau so sollte es auch sein. Ich denke, wir haben gute Arbeit geleistet.

 

Was hat es mit dem Song WAS WILLST DU MEHR und THE DAY THEY TOOK THE WALL AWAY auf sich? Als Autoren sind Christian Kunert und Gerulf Pannach vermerkt. Ihr habt den Text verändert und das Original daneben abgedruckt.
Da hat der Zufall eine große Rolle gespielt. Ich bin Stammhörer von BBC World Radio. Anfang des Jahres brachten sie da ein Interview mit dem britischen Regisseur Ken Loach, das ich ungemein symphatisch fand. Ich habe daraufhin in einer Online-Datenbank nachgeschaut, bei welchen Filmen er Regie geführt hat, und bin bei FATHERLAND über die Zeile "Hauptdarsteller: Gerulf Pannach" förmlich gestolpert. Der Film hat viele Analogien zum Leben von Pannach, der sich hier im Grunde genommen selbst spielt. Da gibt es eine Szene, wo er auf der Aussichtsplattform an der Oderberger Straße steht und von Westberlin rüber in den Osten schaut. Dazu wird dieses Lied gespielt, in dem Gerulf Pannach bereits Mitte der 80er Jahre davon erzählt, wie es sein wird, wenn eines Tages die Mauer nicht mehr steht. Und er beschreibt auch noch ziemlich genau, wie diese umwälzende neue Wirklichkeit dann ganz schnell alltäglich und zur Normalität wird: "Die Kellnerin bringt Bier, als ob alles wie früher wär" - genau so ist es doch! Und dann am Schluss dieses einfache, lässige "Was willst du mehr?". Pannach wusste, dass die Umstände sich manchmal wesentlich schneller verändern als die Menschen, die darin zu Hause sind.

 

Das ist ja eine Riesengeschichte, die hinter diesem kurzen Song steckt.
Stimmt, aber genau dieser Hintergrund, diese Zusammenhänge und dazu dieses Lied - das alles hat mich so sehr fasziniert, dass ich das unbedingt auf dem Album haben wollte. Wir haben den Text geringfügig umgeschrieben, so dass es auch heutzutage spielen könnte. Den Leninplatz gibt es schließlich nicht mehr. Und der Bus mit den "Morgenmumien" fährt jetzt vom Osten in den Westen.

 

005 20130202 1495948731Auffällig ist eine gewisse Ähnlichkeit mit YOU GOTTA MOVE von Mississippi Fred McDowell.
Ja, das mag sein, aber das war keinesfalls Absicht. Das hat sich erst durch meine Bearbeitung ergeben. Ich habe die Originalmelodie von Christian Kunert zwar nicht verändert, aber drei kurze Pausen eingefügt und einen anderen Takt gewählt.

 

Zu dem Songfragment TAKE W, dem letzten Track auf dem Album, findet man im Booklet einen Verweis auf den Komponisten und Akkordeonspieler Jean Pacalet, der im Juli 2011 verstorben ist. Auf Eurem Album VIERERPACK von 1993 hat dieser außergewöhnliche Künstler bei drei Titeln mitgewirkt. Wie kam es damals zu der Zusammenarbeit, welche Berührungspunkte gab es darüber hinaus?
Anfang der 1990er Jahre lebte Barbara Thalheim eine Zeit lang in Frankreich. Von dort brachte sie Jean mit, der hier zunächst für eine Weile bei unserem Bassisten unterkam. Es lag also nahe, ihn zu den Aufnahmen zu VIERER PACK einzuladen. Ich habe zu dieser Zeit auch in Barbaras Tourband gespielt und später drei Alben mit Barbara und Jean produziert. 2010 habe ich mit Jean Musik für das Filmprojekt "20 x BRANDENBURG" aufgenommen. Wir brauchten zwanzig Takes plus Vorspann, hatten aber wesentlich mehr eingespielt. Die Takes wurden einfach nach dem Alphabet betitelt, und Take W gehört zu den im Film nicht verwendeten. Jetzt ist daraus unser Abschiedsgruß an Jean Pacalet geworden.

 

Ein Song auf NEUER TAG IN PANKOW ist von Ex- und Wieder-Pankower Ingo York. Hatte er ihn bereits auf Lager oder ist es ein neu entstandenes Stück?
Ingo hat diesen Song speziell für dieses Album geschrieben. Also ist es ein echter neuer PANKOW-Song!

 

Ingo schreibt einen Song für PANKOW, spielt die Platte mit ein und geht mit auf Tour. Warum ist er im Album-Cover als Gast und nicht als Bandmitglied genannt?
Es ist Ingos persönlicher Wunsch, als Gast aufgeführt zu werden. Wir respektieren das und vielleicht ist das am Ende auch gar nicht so wichtig. Ich vergesse das jedenfalls mit schöner Regelmäßigkeit.

 

Wird es auf Tour weitere Gastmusiker geben - etwa für die Bläserparts?
Nein, wir gehen in unserer klassischen Fünfer-Besetzung auf Tour.

 

Gibt es eine Supporter-Band?
Ja. The Baby Universal.

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Euer letztes Live-Album ist 2004 erschienen. Verdammt lange her! Von 2009 gibt es keine offiziellen Live-Dokumente. Läuft dieses Mal ein Recorder oder sogar eine Kamera mit?
Da antworte ich mit einem freundlichen Nein. Nach der Arbeit an der neuen Platte folgt jetzt die Tour bis Mitte Dezember - und dann gleich noch ein Live-Album oder eine DVD? Das ist einfach nicht zu schaffen. Tut mir leid, aber so eine Produktion ist sehr aufwändig, und die erforderlichen Zeitreserven haben wir im nächsten Jahr nicht.

 

Steht die Setliste?
Nein, wir sind noch beim Testen. Bei den älteren Songs sind wir im Großen und Ganzen fertig. Es gibt da Nummern, die muss man einfach spielen, sonst ist das Publikum enttäuscht.

 

Auf Facebook lasst Ihr darüber abstimmen, ob DORIS oder MARILYN ins Programm kommt. Wer hat gewonnen? 
Die Abstimmung läuft ja noch, aber soweit ich weiß, liegt DORIS leicht in Führung.

 

 

Interview: Thorsten Murr & Torsten Meyer
Bearbeitung: kf, cr
Fotos: Torsten Meyer, Thorsten Murr (2009, 2011)
 

Tour 2011
30 Jahre PANKOW
29.10. - Berlin - Showcase
03.11. - Stralsund - Kulturschmiede
04.11. - Schwedt - Theater
05.11. - Potsdam - Lindenpark
06.11. - Erfurt - DasDie Brettl
12.11. - Rostock - Moya
19.11. - Hoyerswerda - KuFa
25.11. - Gotha - The Londoner
26.11. - Dresden - Alter Schlachthof
30.11. - Halle - Steintorvariete
02.12. - Görlitz - Landskron
03.12. - Neubrandenburg - Güterbahnhof
08.12. - Leipzig - Werk II
09.12. - Jena - F-Haus
10.12. - Chemnitz - TU Mensa
15.12. - Berlin - Postbahnhof

weitere Infos unter www.mb-konzerte.de

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