lp1 20130106 1392298536 lp2 20130106 1985310119 lp3 20130106 2088342868 lp4 20130106 2099236823


Günther Fischer



001 20130106 1772618539Allein der Name Günther Fischer lässt bei vielen Musikfreunden schon das Herz höher schlagen. Wenn sich Erfolg (richtig) messen ließe, würde Fischer wohl zu dem kleinen Kreis von Künstlern gehören, die davon in den vergangenen 40 Jahren am meisten hatten. Sein Tätigkeitsbereich war nicht nur der Jazz und sein Arbeitsplatz nicht nur die DDR. Greift man allein mal in das Archiv der DEFA, ist die Wahrscheinlichkeit recht groß, dass man einen Film erwischt, zu dem er die Musik beisteuerte. Hört man sich in der Jazz-Szene um, fällt automatisch der Name Günther Fischer, wenn man nach den einflussreichsten und bekanntesten Vertretern dieses Genres fragt. Aber auch an Theatern und im Schlager- bzw. Pop-Fach hat er seine Spuren nachhaltig hinterlassen. Heute blickt der Musiker auf eine über 40-jährige Karriere zurück und kann auf viele interessante Begebenheiten und Erfolge verweisen. Wer kennt z.B. nicht den Kultsong "Solo Sunny", der weit über die Grenzen der DDR hinaus erfolgreich war? Wer kennt nicht die anspruchsvollen Songs des Manfred Krug aus den 70ern, die nach der Wende durch Krugs Tätigkeit als Tatort-Komissar sogar deutschlandweit Beachtung fanden? An zahlreichen Schallplatten-Produktionen der 60er, 70er und 80er war er ebenfalls aktiv beteiligt. Das bedeutet: Wenn man sich mit deutscher Musik der letzten 40 Jahre beschäftigt, stößt man irgendwann unweigerlich auf Günther Fischer, selbst wenn man versuchen würde, diese Begegnung zu vermeiden. Um jedes Detail dieser bunten und erfolgreichen Zeit anzusprechen und ausführlich zu behandeln, bräuchte man inzwischen den Platz, den nur ein Buch bieten würde, nicht aber ein Interview. Umso schwerer fiel es, uns für die richtigen Momente und Stationen zu entscheiden, zu denen wir den Musiker befragen wollten. Und so ist hier auch nur ein Querschnitt einer erfolgreichen Karriere in Interviewform entstanden...
 



Herr Fischer, Sie leben seit über 10 Jahren in Irland, sind aber immer wieder auch in Deutschland. Wo haben wir Sie denn jetzt erwischt?
Jetzt bin ich in Berlin, weil ich gerade zwei Filmprojekte in Deutschland habe. Ich sitze hier gemütlich in Neu Helgoland am Müggelsee, um mit Ihnen das Interview zu machen. Neben den Filmprojekten habe ich auch ein paar Konzerte. Ich spiele z.B. beim "Jazz Sommer" hier in Berlin-Köpenick wieder mit. Es ist immer wieder schön, nach Berlin zu kommen. Ich wohne ja inzwischen schon fast 14 Jahre in Irland, da tut der Wechsel ab und an ganz gut. Die Umstellung von Deutschland auf Irland bringt einen, ohne dass man selbst allzu viel dafür tun muss, auf andere Gedanken. Man kommt aus diesen eingefahrenen Schienen raus und ist automatisch anders beeinflusst. Schon allein die irische Musikkultur, die ich bis zu meinem Umzug nur oberflächlich kannte, ist eine komplett andere. Ich kannte sie vorher nicht und stellte dann fest, dass es da erhebliche Unterschiede zwischen unseren Kulturen gibt. Die irische Musik und Folklore hat eine sehr frische und vitale Art. Gerade wenn man sich im Jazz oder in der Filmmusik bewegt, stößt man auf diese irischen, ganz einfachen Klänge und Melodien. Das ist schon sehr interessant. Man denkt im ersten Moment, dass es simpel ist. Aber wenn man versucht, dahinter zu steigen, merkt man erst, dass sie einen Charme hat, der nicht so schnell überschaubar ist. Die irische Folklore hat auch eine unheimliche Modernität. Ich will sie um Gottes Willen jetzt nicht mit der deutschen vergleichen, aber ich habe so etwas in Deutschland eigentlich noch nicht erlebt.

 

Sie sind ja immer wieder mal in Berlin. Man kann also sagen, dass Sie mehr als nur "einen Koffer in Berlin" haben...
Naja, das ist eine schwierige Sache, denn ich arbeite überall auf der Welt. Im vergangenen Sommer war ich in Los Angeles. Jetzt habe ich gerade mit Armin Mueller-Stahl ein großes Projekt gemacht, und wir machen das im Herbst auch weiter. Ich weiß nicht, ob Sie das mitbekommen haben...

 

Ja, wir haben die CD bei uns vorgestellt und auch eins der Konzerte besucht...
Im Herbst gibt es eine weitere Tournee mit Konzerten u.a. in Hamburg, Karlsruhe, Düsseldorf, Frankfurt, Köln und bis nach München runter. In Deutschland habe ich auch noch ein paar Fernseh-Projekte und arbeite derzeit an zwei Spielfilmen für's Kino.

 

017 20130106 1334560523Sie haben auch an der Serie "Der letzte Zeuge" mitgewirkt...
Leider ist "Der letzte Zeuge", den ich 10 Jahre für's Fernsehen gemacht habe, durch den Tod von Ulrich Mühe weggebrochen. Das ist sehr schade. Das lief im ZDF und war keine reine Serie, sondern die einzelnen Teile waren abgeschlossene Filme. Diese Filme wurden, wenn die Drehbücher gut waren, von einem kleinen Stab mit immer denselben Leuten umgesetzt. Das war eine sehr schöne Arbeit. Ich habe auch mit Ulrich Mühe persönlich sehr viel gemacht. Wir haben sogar mal ein Konzert zusammen auf die Beine gestellt. Wir wollten eigentlich ein komplettes Live-Programm aufbauen. Ich mache manchmal Konzerte mit großem Symphonie-Orchester. Ulrich wollte dabei lesen und singen, und er hatte auch den Ehrgeiz dazu. Er hatte in seiner Karriere ja schon vieles gemacht, aber gesungen irgendwie noch nicht. Immer wenn ich in Deutschland war, haben wir uns getroffen und ein paar Lieder einstudiert. Wir hatten zusammen sogar einen öffentlichen Auftritt. Das war in Grimma, im Rahmen der Veranstaltung "Liederflut". Ich glaube, das haben sie inzwischen eingestellt. Ulrich Mühe war Schirmherr dieser Veranstaltung, weil er auch in Grimma geboren wurde. Im August 2006 sind wir dort aufgetreten und haben ein Konzert zusammen gemacht. Einen Mitschnitt davon gibt's sogar auf Video.

 

Gibt's während Ihres Aufenthalts hier in Deutschland noch andere Projekte in diesem Sommer?
In diesem Sommer mache ich auch etwas mit meiner Tochter zusammen. Sie ist derzeit in Mexiko und studiert dort. Jetzt kommt sie aber für ein Konzert wieder nach Deutschland.

 

003 20130106 1084292398Was macht Ihre Tochter eigentlich?
Sie weiß noch nicht so richtig, was sie machen soll. Sie hat aber schon für englische Fernsehserien die Titelmelodien geschrieben, selbst gesungen und auch die Texte gemacht. Jetzt studiert sie aber Neurologie und Psychologie (lacht), etwas ganz anderes also. Sie ist wohl so ein bisschen von der Mutter beeinflusst... Sie ist erst 23 und soll machen, was ihr Spaß macht. Sie hat bisher in Irland studiert, wie mein Sohn auch. Der ist aber inzwischen schon fertig. Sie will weiter studieren, wahrscheinlich in Edinborough, Schottland.

 

Damit haben wir das Aktuelle eigentlich schon besprochen. Kommen wir mal zum Biographischen. Ich habe über Sie gelesen, dass Sie als Kind Klavier- und Geigenunterricht bekommen haben. Ging es damit bei Ihnen in Sachen Musik los?
Ja, im Prinzip schon. Es ging bei mir mit Klavier los. Ich habe aber gar nicht so früh angefangen, sondern erst mit 8 Jahren. Nicht nur angefangen, sondern ich habe überhaupt erst mit 8 Jahren ein Instrument bekommen. Mein Vater war Lehrer und er war sehr darauf bedacht, mich so allgemeingebildet wie möglich zu erziehen. Ich musste deshalb mit 8 oder 9 Jahren Klavier lernen, außerdem noch Schreibmaschineschreiben und Stenographie (lacht). Das gehört halt alles dazu. Ich lebte zwischen meinem 9. und 16. Lebensjahr in Plauen und hatte dort damals Glück. Das waren die 50er Jahre und ich hatte einen Klavierlehrer, einen alten Studienrat, der beim Unterricht nicht so streng vorging. Er hat mir schöne Stücke aus den 20er Jahren oder irgendwelche andere Musiken vorgespielt, die mich richtig motiviert haben, da auch dran zu bleiben. Wenn man am Anfang nur mit Etüden und Tonleitern gequält wird, kann es sein, dass man am Ende sagt: "Ach, ich mach lieber doch nicht weiter." Man verliert dann schnell die Lust, das Instrument zu erlernen. Auch wenn es wichtig und richtig ist, dass man am Anfang gerade beim Klavier zuerst die technischen Dinge wie den Fingersatz und den Anschlag richtig erlernt, trainiert und übt, bis man es richtig kann. Dann kann man sich eigentlich erst entfalten und weitergehen. Man kann das Haus schließlich nicht von oben zuerst aufbauen. Trotzdem hatte er eine ganz besondere Art, mich zu motivieren und bei der Sache zu halten. Bei ihm war es aber so, dass er mir Sachen vorgespielt hat, die ich hinterher unbedingt auch selbst spielen können wollte, und das natürlich in ganz kurzer Zeit. Ich hatte diesen Ehrgeiz, habe geübt wie ein Blöder und ihm nach ungefähr 14 Tagen natürlich halb gepfuscht diese Lieder vorgespielt (lacht). Das ging dann so weiter und ich machte auch Fortschritte. Er verstarb nach zwei Jahren, was sehr schade war, und ich musste mich nach einem neuen Klavierlehrer umsehen. Es gab eine Klavierlehrerin, sie hieß Frau Lochbaum und war bekannt dafür, die beste Klavierlehrerin in Plauen zu sein. Sie nahm auch nicht jeden Schüler auf. Diese Lehrerin unterrichtete wirklich nur die talentiertesten Schüler und bildete quasi den Nachwuchs für die Hochschulen und Konservatorien aus. Ich kam also zu ihr und sollte ihr etwas vorspielen. Da hat sie erstmal die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und gesagt: "Um Gottes Willen! Da kann man ja gar nicht hingucken. Das ist doch kein Anschlag!" (lacht) Ich musste bei ihr praktisch nochmal von vorne anfangen. Das, was mein alter Klavierlehrer mit mir nicht gemacht hatte, musste ich bei ihr jetzt also nachholen. Im Grunde war das für mich aber nicht so schlimm, denn ich wusste ja, wo es hinführt und was ich später vielleicht damit anstellen kann.

 

002 20130106 1683543926Wie ging es dann in der Jugend bei Ihnen weiter?
Mit 16 Jahren spielte ich in einem Trio. In diesem Trio spielte auch ein Lehrer und Freund von mir, der ohne mein Wissen für mich Aufnahmeanträge an verschiedene Musikhochschulen, z.B. nach Weimar, Dresden und Zwickau, verschickt hatte. Ich bekam dann eine Einladung zur Aufnahmeprüfung nach Zwickau und bin dort hingefahren. Zwickau war für mich als Plauener natürlich das günstigste. Außerdem hatte das Robert-Schumann-Konservatorium in Zwickau einen sehr guten Ruf. Man kann also sagen, dass ich eigentlich durch einen Zufall, denn ich hätte nie gedacht, dass ich mal Musik studieren würde, an dieses Konservatorium gekommen bin. Ich bin also nach der 10. Klasse Oberschule abgegangen und mit 16 Jahren an diese Musikschule gekommen. Das war ein Internat, auf dem man sein Abitur machen und gleichzeitig Musik studieren konnte. Eigentlich konnte man bei uns das Abitur nach 12 Schuljahren machen, an diesem Konservatorium dauerte die Ausbildung aber drei Jahre, so dass man erst nach der 13. Klasse fertig war, weil es eben mit gleichzeitiger Musikausbildung einherging. Nachdem ich 1963 dort meinen Abschluss gemacht hatte, wurde das Robert-Schumann-Konservatorium geschlossen. In der DDR hatte man immer kalkuliert, dass etwa 100 Absolventen aus dem Musikbereich, die fertig studiert hatten, in den Westen abwanderten. Nachdem 1961 die Mauer gebaut wurde, konnte nach der Ausbildung keiner mehr abwandern. Also musste man nicht mehr so viele Musiker ausbilden. Deshalb hat man zu der Zeit die Musikschulen in Rostock, Schwerin, Halle, Burgstädt und Zwickau geschlossen. Am Ende gab es nur noch Schulen in Berlin, Dresden, Leipzig und Weimar. Die Schüler, die auf den Schulen waren, mussten zusehen, dass sie an den vier verbliebenen Hochschulen unterkommen. Dort gab es eine ganz strenge Auslese. Ich habe mich in Berlin beworben und bin Gott sei Dank gleich angenommen worden. In Berlin habe ich Komposition, Arrangement und Dirigieren studiert. Was ich heute mache, kannte ich bis zu meinem 16. Lebensjahr überhaupt nicht. Ich habe bis dahin nur Klassik gemacht...

 

Wie sind Sie denn dann zum Jazz gekommen?
In Zwickau gab es eine Milchbar. Unser Internat in Zwickau lag an der Paradiesbrücke an der Mulde. Man musste über die Brücke, durch die Stadt und über den Marktplatz, wo das Rathaus und das Theater ist, gehen, und dort war diese Milchbar. Da gab es eine Musikbox. Das war damals etwas ganz seltenes. Und in dieser Musikbox waren Titel, z.B. von Manfred Krug, der damals gerade anfing, Filme und mit den Jazz-Optimisten Musik zu machen. Ich weiß aber nicht mehr, welche Titel das waren. Jedenfalls hörte ich das da zum ersten mal und dachte: "Mensch, das ist ja mal was ganz anderes. Das ist sehr interessant." Ein paar Kommilitonen hatten polnische Jazz-Platten und wir hörten uns die an. Irgendwie interessierte mich das und ich habe angefangen, auch ein bisschen am Klavier in diese Richtung herumzuspielen. Irgendwann hörte ich auf einer Platte ein Saxophon und sagte mir: "Du musst unbedingt jetzt Saxophon lernen." (lacht) An der Hochschule in Berlin habe ich als Nebenfach dann Klarinette belegt. Für die Grundlagen des Saxophonspielens ist die Klarinette sehr gut.

 

Man kann also sagen, dass Sie anders als die Rocker, die über die Beatmusik zu ihrer Musik gefunden haben, über Musik von Manfred Krug zum Jazz gekommen sind?
Ja, das kann man so sagen. Jetzt nicht allein durch Manfred Krug, da gab es schon noch ein paar andere Einflüsse. Was Manfred Krug machte, war die Schiene, die in der DDR möglich war. International war das aber in Sachen Jazz ganz schwer. Da die Polen immer schon ein bisschen offener waren und lockerer, was das anbetraf, gab's ab und an bei uns in der DDR in den polnischen "Häusern der Kultur" polnische Jazz-Platten im Angebot, z.B. von Zbigniew Namyslowski. Kennen Sie den?

 

Ja, das ist ein polnischer Saxophonist...
Das ist lustig, denn mit dem habe ich später auch zusammen gespielt. Am Anfang waren das für mich Entdeckungen, die ein bisschen mit daran schuld sind, dass ich mich daran so festgebissen habe. Ich habe mir gesagt: "Und wenn es nur als Hobby nebenbei ist, das möchte ich machen!" Es ging dann weiter, auch weil ich den Ehrgeiz hatte. Ich habe in einem Quartett gespielt, das hieß SIEGFRIED-GÄRTNER-QUARTETT, und die spielten Jazzkonzerte mit internationalen Standards.

 

Sie haben später bei Klaus Lenz gespielt. Wie kam es denn dazu?
Ich spielte mit dem SIEGFRIED-GÄRTNER-QUARTETT ein Konzert im "Haus der jungen Talente" in der Klosterstraße in Berlin. Zu diesem Konzert kam Klaus Lenz. Er war damals in der DDR so eine kleine Institution. Für seine Band holte er sich immer junge Leute, weil die alten, erfahrenen Musiker es bei ihm nicht ausgehalten haben. Das war manchmal eine reine Nerverei mit ihm. Er war so verbissen, z.B. musste man von früh um 9.00 Uhr bis in den späten Nachmittag hinein proben, wenn am Abend ein Konzert anstand (lacht). Dazu wurden zusätzlich auch noch weitere Proben angesetzt... Das war für mich natürlich nicht schlecht und eine gute Schule, denn ich wurde gezwungen, mich in diese Geschichte hinein zu versetzen. Lenz spielte entweder mit Big Band oder mit seinem Sextett oder Septett. Ich spielte auch eine ganze Weile in seinem Sextett bzw. Septett, je nachdem wieviele Bläser dabei waren, mit. Aber zurück zur Frage: Lenz hat mich bei diesem Konzert gesehen und kam dann auf mich zu. Er war nicht der Typ, der fragte: "Könntest Du dir vorstellen bei mir mitzuspielen?", sondern er kam nach dem Konzert hinter die Bühne und sagte (Günther Fischer macht Lenz nach und spricht den Satz laut und fordernd, Anm. d. Verf.): "Fischer, Du spielst ab morgen bei mir!" (lacht). Und so kam ich zu Lenz...

 

Dann habe ich an mehreren Stellen etwas verwirrende Angaben über Sie gefunden. Im Jahre 1967 gründeten Sie die Günther-Fischer-Band und im gleichen Jahr das Günther-Fischer-Quartett. Ist das so richtig?
Nein, das steht irgendwie falsch da. Das war anders. Am Anfang war es ein Quartett. Das war noch während meiner Zeit an der Hochschule. Mit dabei war der Schlagzeuger Wolfgang Schneider, mit dem ich bis heute noch zusammenarbeite. Außerdem waren neben mir noch Henning Protzmann und Reinhard Lakomy dabei. Ab 1970 waren wir dann das Quintett, nachdem der Gitarrist Fred Baumert dazu kam. Erst ab 1977 oder 1978, als Hans-Joachim Graswurm dazu kam, hieß es GÜNTHER-FISCHER-BAND. Wir hatten vorher immer noch mal einen Trompeter dabei, spielten also immer wieder in anderer Besetzung. Deshalb war ich es leid, ständig zwischen Quintett, Quartett oder Sextett zu wechseln. Die Leute fragten auch: "Warum seid Ihr ein Quintett, wenn Ihr mit sechs Musikern spielt?"

 

Also sind die Quintett-, Sextett- und alle anderen Besetzungen identisch mit der Band. Das Kind bekam also ab '77 oder '78 nur einen anderen, dauerhaften Namen?
Genauso ist es...

 

Das war in verschiedenen Quellen nicht deutlich. Es las sich überall so, als hätte es zwei verschiedene Gruppen gegeben...
Nein, nein! Das war immer die selbe Band. Es war nur die Schwierigkeit, die Sache unter einen Hut zu kriegen bzw. wie man die Gruppe nennt. Wir haben am Anfang auch sehr viele Konzerte in Hochschulen gegeben, und Ende der 60er gab's das "Doppel-Quartett", zusammen mit einem Streichquartett von der Hochschule. Das waren halt so Versuche... Man wollte natürlich avantgardistisch sein (lacht).

 

Die Günther-Fischer-Band war über all die Jahre auch immer Begleitband für andere Künstler, z.B. für Manfred Krug, der Sie - wie wir ja vorhin erfahren haben - an den Jazz herangeführt hat. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Ich spielte Saxofon bei Lenz. Krug und die Klaus-Lenz-Band machten einmal im Jahr eine dreiwöchige Tournee, dabei lernten wir uns kennen. Ich studierte - wie vorhin erwähnt - Komposition an der Hochschule und dachte mir, ich schreibe mal was für Krug und spiele es ihm vor. Ich war überhaupt nicht daran interessiert, in die Schlagerbranche einzusteigen - so was wollte ich nie machen und habe das in dem Sinne ja auch nie gemacht. Die Sachen, die ich dann mit Krug gemacht habe, kann und sollte man nicht einordnen...

 

Ich finde nicht, dass das Schlager ist, was Krug gemacht hat. Das ist zu anspruchsvoll und vom Arrangement her zu verfrickelt...
Jedenfalls hatte ich zwei Lieder geschrieben: "Du gehst" und außerdem noch "Der Tag beginnt". Ich spielte sie Krug vor und sagte: "Wenn Du Lust hast, lass uns doch eine Single zusammen machen." Krug meinte, nachdem er meine Lieder gehört hatte: "Wir machen keine Single! Du schreibst noch 10 andere Titel und wir machen eine ganze Langspielplatte!" (lacht) Das war 1968. Im Herbst 1970 haben wir dann die erste LP zusammen produziert, die Ende 1970 erschien. Wir haben wirklich bis 1970 gebraucht, um unsere Platte veröffentlichen zu können, denn die Leute bei der Schallplatte waren genau solche Spießer, die meinten: "Was? Wer soll eine LP machen? Der Krug? Und dann zusammen mit dem Fischer? Das ist doch ein Jazzer! Die kann man doch nicht alleine eine Platte machen lassen! Wer soll denn sowas hören?" Erschwerend kam hinzu, dass wir auch noch fragten, ob es nicht möglich sei, die ganzen Lieder auf Englisch zu machen (lacht). Da sagten die sofort: "Njet", und wir haben daraufhin gesagt: "Ok, wir produzieren sie dann auf Deutsch." Das war im Nachhinein ein Segen! Wer würde sich denn heute noch irgendwelche belanglosen englischen Texte anhören? Man darf auch nicht vergessen, dass das zu einer Zeit war, wo das Deutsche in einer gehobenen musikalischen Form überhaupt noch nicht salonfähig war. Es gab auch noch keinen Lindenberg...

 

Doch, den gab's schon, allerdings machte er seine ersten Sachen auf Englisch und nicht auf Deutsch...
Ich habe Lindenberg erst 1973 oder 1974 wahrgenommen. Was die deutsche Sprache in der gehobenen Musik betrifft, waren wir 1970 noch weit vor Udo Lindenberg da. Uns war das streckenweise richtig peinlich. Es sind dabei aber Sachen entstanden, die eben aus diesen Zwängen der DDR-Kultur heraus viel besser wurden, als wenn wir sie auf Englisch produziert hätten. Heute sind einige Titel Evergreens - ob sie das auch geworden wären, wenn wir sie auf Englisch aufgenommen hätten, glaube ich nicht.

 

Wie lange ging das mit Krug und Ihnen dann weiter?
Wir haben bis 1977 insgesamt fünf Langspielplatten gemacht, wobei die letzte nicht erschienen ist. In dieser Zeit zwischen 1970 und 1977 habe ich auch neben der Zusammenarbeit mit Manfred Krug richtig losgelegt. Es kamen z.B. die ersten Angebote rein, Musik für Filme zu machen. Außerdem habe ich sehr viel mit Etta Cameron gearbeitet. In den fünf Jahren, in denen sie in der DDR lebte, haben wir sehr viele schöne Sachen zusammen gemacht. Für sie habe ich auch eine ganze Menge geschrieben...

 

...und nicht nur für sie. Sie haben auch für andere Künstler geschrieben, z.B. für Vroni Fischer. Da fallen mir als erstes die Songs ein, die man auf der AMIGA LP "Berlin - Lieder einer großen Stadt" finden kann. Die Platte ist sehr selten und sehr gesucht. Wissen Sie etwas darüber, ob die verboten wurde und wenn ja, was die Gründe dafür waren? 
Doch, die Platte ist erschienen, allerdings nur in kleiner Stückzahl. Es ist komisch, diese Platte hat einen unheimlichen Nachklang. Viele junge Sängerinnen singen jetzt diese Lieder. Aber es kann gut sein, dass die Platte nicht weiter aufgelegt wurde, weil Veronika die DDR später verließ.

 

Mit welchen anderen Künstlern gab es eine Zusammenarbeit?
Mit Uschi Brüning habe ich sehr viel gemacht. Das war auch eine sehr schöne Zeit...

 

Und dann kam im Jahre 1980 der Überhit mit dieser Filmmusik zum Streifen "Solo Sunny", der gleichzeitig für die Sängerin Regine Dobberschütz ihr bis heute größter Erfolg werden sollte. Bitte erzählen Sie doch mal, wie es dazu kam, dass Sie die Musik zu diesem Film gemacht haben...
Im Jahre 1970/71 habe ich zum ersten Mal Musik für einen großen Spielfilm gemacht. Das war der Film "Eolomea", ich weiß nicht, ob der Name Ihnen was sagt...

 

Nein, ich bin bei Filmen aus Deutschland nicht so bewandert...
Das ist auch ein lustiges Ding, ein utopischer Film, der in der DDR gemacht wurde. In dem Film spielen Rolf Hoppe, Cox Habbema und überhaupt sehr gute Darsteller mit. Ein sehr guter Film. Ich bekomme wegen der Musik zu diesem Film heute noch Post aus aller Welt. Es gibt Clubs, die sich mit utopischen Filmen beschäftigen, und der muss bei denen wohl ganz hoch im Kurs stehen (lacht). Wo wir jetzt gerade darüber reden... Als wir im letzten Herbst die CD bei Universal vorstellten, die ich mit Armin Mueller-Stahl gemacht habe, sagte einer der dortigen Chefs zu mir: "Übrigens Herr Fischer, ich kenne Sie sehr gut! Ihre Musik zum Film 'Eolomea' ist meine Lieblings-Filmmusik..." (lacht)

 

011 20130106 1908426205Ja, die Welt ist klein...
Ist ulkig, oder? Ich habe aber vor "Solo Sunny" die Musik für sehr viele andere Filme gemacht, bei denen man so richtig losspinnen konnte, z.B. zu Indianerfilmen ("Tecumseh", "Severino" - Anm.d.Verf.). Ich habe die Musik zu sehr vielen DEFA-Filmen gemacht. Darum bekam ich auch die Anfrage für "Solo Sunny". Regisseur Wolfgang Kohlhaase wollte damals für den Film einen Titel, der funktioniert. Mit Kohlhaase habe ich zu DDR-Zeiten 10 oder 12 Filme gemacht. Auch nach der Wende haben wir noch zusammen gearbeitet, z.B. beim Film "Whisky mit Wodka", Regie: Andreas Dresen, Drehbuch: Wolfgang Kohlhaase. Die Filmemacher meinten damals: "Wir brauchen einen Titel von einer Sängerin, die nach oben kommen möchte, aber noch Amateurin ist. Man soll merken, dass da das gewisse Etwas ist, es soll aber auch nicht zu perfekt sein." Ich habe dann verschiedene Varianten erarbeitet, ich habe noch einige andere neben dem endgültig verwendeten Titel gehabt. In dem Film selbst ist sogar noch eine weitere Variante verwendet worden, nämlich "Come between Delights".

 

Also die B-Seite der Single "Solo Sunny"...
Genau! Das Stück war zuerst als Titelstück vorgesehen, wir haben uns dann aber anders entschieden. Wir wollten ihn trotzdem nicht missen und haben ihn darum zum Abspann gemacht (lacht). Bei meiner Aufzählung vorhin habe ich übrigens noch einen ganz wichtigen Film vergessen. Ich weiß nicht, ob Sie es wissen, aber ich habe 1978 die Musik zum letzten Film von Marlene Dietrich gemacht, "Schöner Gigolo, armer Gigolo". Durch diesen Film habe ich mit David Bowie, Curd Jürgens, Sydne Rome und Kim Novak zusammen arbeiten können. Diese beiden Filme, also "Solo Sunny" und "Schöner Gigolo, armer Gigolo", waren dafür verantwortlich, dass ich das Angebot aus Amerika bekommen habe und so später mit Robert Mitchum, Tony Curtis, Sean Penn und vielen anderen großen Darstellern zusammen arbeiten konnte.

 

010 20130106 1729027049Die Liste der Filme, Serien und TV-Stücke, für die Sie die Musik gemacht haben, ist scheinbar endlos lang. Wie kommt man als Musiker zur Filmmusik? Was hat Sie daran gereizt, dass Sie sich diesem Genre zugewandt haben?
Wir haben ja über vieles, was ich gemacht habe, noch gar nicht gesprochen. Ich habe 1968/69 schon die Musik für große mit sehr guten Schauspielern besetzte Kurt Tucholsky-Stücke am Deutschen Theater geschrieben. Ich habe die Texte von Tucholsky zu Liedern gemacht. Auch für andere große Inszenierungen habe ich gearbeitet, z.B. in Berlin für "Richard III.". Das haben wichtige Leute aus Zürich gesehen, und so bekam ich mein erstes großes Engagement am Schauspielhaus in Zürich zwischen 1973 und 1977. Ich kann Ihnen am Beispiel "Richard III." ja mal erzählen, wie das ging: Der Regisseur in Berlin sagte zu mir: "Ich brauche für das Stück eine Musik. Die müsste altenglisch sein, katholisch, gregorianisch und sehr modern." Ich habe sowas vorher noch nie gemacht und wusste auch nicht, wie es hätte gemacht werden müssen. Ich habe es einfach getan. Von dieser Musik zu "Richard III." mit den Chören reden die Leute heute noch. Ich habe auch nie Skrupel gehabt, irgendwelche Sachen zu machen. Ein anderer hätte vielleicht gesagt: "Theatermusik ist nicht mein Ding! Ich bin für andere Sachen zuständig." Ich habe auch ganz respektlos Dinge einfach vermischt, Elemente aus allen Bereichen. Natürlich kann man das nur mit einer gewissen Disziplin und einem bestimmten Feeling tun, aber man sollte nie Angst vor Dingen haben, die man in der Art bisher nicht kannte. Wenn man immer nur versucht, astrein und lupenrein zu arbeiten, dann wird das irgendwann langweilig und man wiederholt sich nur selbst. So habe ich einfach, ohne darüber nachzudenken, losgelegt. Ich kann auch nicht erklären, wie ich es gemacht habe. Es hat bis heute sehr gut funktioniert und Du bist auch immer nur so gut, wie Deine letzte Arbeit. Wenn Du einmal so hoch gestiegen bist und die Leute von einem erwarten, dass man eine gute Filmmusik abliefert, dann musst Du diese Erwartungen auch erfüllen. Man muss immer wieder etwas Neues finden, das die Leute überzeugt und beweist, dass man mit Recht so hoch gehandelt wird.

 

009 20130106 2008500690Also sich selbst immer wieder auch zu übertreffen...
Ja, man sollte es zumindest versuchen. Aber ganz ehrlich: Wenn Sie mich jetzt fragen, wie ich das mache, kann ich Ihnen das gar nicht erklären. Ich möchte das auch gar nicht. Wenn ich mir da jetzt allzu lange den Kopf darüber zerbreche, fällt mir am Ende womöglich wirklich nichts mehr ein (lacht). Aber es ist so, dass ich über das Theater zum Film kam. Irgendwann kamen die Angebote: "Hätten Sie nicht Interesse, die Musik für den und den Film zu machen?" Im Laufe der Jahre wurden es immer mehr und einige Aufträge waren ziemlich kompliziert, z.B. der "Gigolo"-Film. Das war 1977 und ganz verkorkst. Ich bekam das Angebot, die Musik für den Film zu machen. David Hemmings, den Sie vielleicht als Hauptdarsteller in dem Film 'Blow Up' kennen, war der Regisseur, und die Darsteller waren eine Ansammlung großer Stars. Im September 1977 gab mir der Produzent des Films Texte und meinte, dass die alle vertont werden müssten. Das waren so ca. 10 Stück. Er meinte noch, dass ich sofort anfangen müsste zu arbeiten, denn die Arbeiten sollten bis November/Dezember fertig sein. In dieser Zeit hatte ich zwischen Oktober und Mitte November eine Brecht-Tournee in Schweden. Ich habe mich richtig geärgert. Jetzt hatte ich dieses Angebot und konnte es nicht annehmen, weil ich dafür keine Zeit hatte. Ich konnte die andere Sache ja nicht platzen lassen. Ich sagte dem Produzenten: "Es tut mir leid, aber ich kann nicht. Ich würde das gerne machen, habe aber keine Zeit!" Damit war die Sache erstmal erledigt und beiseite gelegt. Ich kam dann Ende November von der Schweden-Tournee zurück und sprach nochmal mit dem Produzenten des Films. Eigentlich nur, um nochmals mein Bedauern zu bekunden. Ich wollte diesen guten Kontakt, den ich nun hatte, auch nicht kaputt machen. Der Produzent antwortete mir: "Herr Fischer, wir haben hier inzwischen drei Komponisten gehabt, die die Texte vertont haben, das gefällt dem David Hemmings aber alles nicht. Er will keinen Komponisten mehr sehen. Wenn Sie wollen, gebe ich Ihnen die Texte noch einmal." Das passte ganz gut, denn es gab eine Drehpause bis zum Januar, weil einer der Darsteller vorher keine Zeit zum Drehen hatte. Ich bekam also den gesamten Dezember Zeit, mich mit den Texten zu beschäftigen, und sollte Anfang Januar die fertige Arbeit vorspielen. Das habe ich auch gemacht. Ich habe die Texte vertont, und habe sie dem Produzenten vorgespielt. Ihm gefielen meine Stücke sehr gut. Der Produzent musste jetzt nur noch den richtigen Moment abpassen. Hemmings war ein richtiger Star mit entsprechenden Allüren. Er wollte eigentlich keinen Komponisten mehr sehen und auch nichts mehr davon hören. Das Ende vom Lied war aber, dass Hemmings die Stücke gehört hat und ich die Musik zum Film beigesteuert habe.

 

Man konnte es in Ihren Antworten gut heraus hören: Sie sind als Bürger der DDR beruflich in den 70ern und 80ern also fleißig im westlichen Ausland unterwegs gewesen. War das alles so ohne weiteres möglich?
Ja, war es. Sagen wir's mal so: West-Deutschland war ganz schlecht. Ich konnte aber in den sog. neutralen Ländern arbeiten, z.B. in Schweden, Österreich oder der Schweiz. Aber ein wichtiger Punkt war auch der, dass die DDR Devisen brauchte. Etwas später, nach der Biermann-Geschichte, wurde es dann etwas einfacher gehandhabt. Viele Jazz-Musiker hatten dann auch einen Pass und konnten fahren. Natürlich gab's auch Leute, bei denen das nicht geklappt hat. Aber da bin ich auch überfragt, warum das so war. Ich kann nur für mich sprechen und ich habe - gerade auch, als ich in Amerika gearbeitet habe - gesagt: "Ich möchte hier nicht irgendwo als Dorf-August enden. Ich möchte auch die Möglichkeit haben, international zu arbeiten. Die Leistungssportler können das schließlich auch!" Und da war man in der DDR natürlich auch eitel und ließ das dann zu. Neben den Sportlern und den Jazzern gab es auch die ganze Klassik-Strecke.

 

Sie waren aber bis zur Wende DDR-Bürger, oder sind sie vorher ausgereist? In einer Quelle, die ich gefunden habe, liest es sich so, als seien Sie in den 80ern ausgereist und in den Westen gegangen...
Nein! Ich habe zum Schluss im Westen gearbeitet, aber ich war nicht ausgereist. Ich hab ja im Osten auch noch sehr viel gemacht.

 

Wir sprachen gerade schon über die unendlich lange Liste mit Film-, Theater- und TV-Musiken: Hat man da als Komponist eine Arbeit, die einem besonders am Herzen liegt? Gibt es eine Lieblingsmusik, die Sie erschaffen haben?
Das ist sehr schwer und lässt sich nicht so einfach beantworten. Ich glaube, das Geheimnis, dass ich so lange durchgehalten und so viel gemacht habe, ist vielleicht sogar der Punkt, dass ich nicht nur eine Strecke, sondern so viele unterschiedliche Sachen gemacht habe - dass ich auf allen Hochzeiten getanzt und mich in allen Dingen versucht habe. In wie weit mir das gelungen ist, weiß ich jetzt auch nicht. Das müssen andere Leute beurteilen. Ich glaube aber, wenn man z.B. nur Jazz macht, nur Filmmusik oder nur Theatermusik, dann kommt man bestimmt irgendwann an eine Stelle, wo man anfängt zu schmoren. Aber dass ich auch unterschiedlichste Einflüsse erfahren habe, z.B. jetzt in Irland, war für mich ebenfalls ein großer Vorteil. Gerade durch meinen Umzug nach Irland habe ich - glaube ich - nochmal in einer bestimmten Weise eine andere Note bekommen, ohne dass man es wollte oder beabsichtigt hat. Das, was man so hört, nimmt einen in seinen Bann und man verarbeitet es. Es beeinflusst einen.

 

013 20130106 1677606299Dann kam die Wende. Viele Künstler sind musikalisch durch Mangel an Aufträgen und Interesse in ein Loch gefallen - Sie nicht... 
Nein. Ich habe nach der Wende genauso weiter gearbeitet wie davor. Ich hatte da keine Probleme, denn auch nach 1989 wollten viele mit mir zusammenarbeiten. Das ist schon komisch, denn das lief trotzdem weiter, obwohl ich so gut wie nie erreichbar war. Ich hatte auch nie einen Anrufbeantworter! Es war manchmal sehr schwer, an mich ranzukommen. Und trotzdem haben mir die Leute das nicht übel genommen und ich hatte viele Aufträge. Ich habe noch nie jemanden ansprechen und fragen müssen: "Sagen Sie mal, haben Sie nicht einen Job für mich?"

 

Als Live-Musiker haben Sie auch weiter gearbeitet. Ich denke jetzt speziell an die gemeinsamen Konzerte mit Thomas Putensen...
Thomas ist ein Typ, der mich schon ganz früh als junger Mann angesprochen hat. Das muss so um 1985 gewesen sein, da kam er in mein Studio, hat mir einige Titel vorgespielt, die ich mit Manfred Krug zusammen gemacht habe, und sagte zu mir, dass das das Größte für ihn sei. Ich habe immer gedacht: "So gut sind die Lieder nun auch wieder nicht." Auch wenn ein Westmagazin damals 1970 schrieb, die Lieder seien "das Beste, hüben wie drüben". Ich selbst hätte damals wirklich nie gedacht, dass die Jahre später noch immer so einen Reiz auf die Leute haben werden und dass sie so zeitlos sind. Mittlerweile hat sich sogar die Gruppe FETTES BROT dafür interessiert. Es gibt so viele Rockgruppen, die heute etwas von mir im Programm haben, auch junge Leute... Zum Beispiel gibt's in Jena ein Orchester, das im letzten Jahr zwei Konzerte mit den Liedern gegeben hat. Da war ich live bei der Premiere dabei und es gibt davon inzwischen auch eine CD oder DVD. Und es war damals schon Thomas Putensens Traum, diese Lieder auf die Bühne zu bringen. Ich gab ihm die ganzen Noten, auch die für's Orchester, denn die Songs sind ja alle mit Streichern, Chor und zum Teil mit Big Band arrangiert. Das hat auch dieses eben erwähnte Orchester gespielt. Bemerkenswert dabei ist, dass das alles Musiker im Alter von 17 bis 22 Jahren sind. Die haben am Anfang erstmal gestöhnt und sich dann so in die Sache reingefreut und das letztlich so toll gemacht... auch der Sänger, der ist 19 Jahre alt und hat die ganzen Titel sowas von überzeugend gesungen! Dabei ist das überhaupt nicht die Musik ihrer Generation.

 

015 20130106 1951373570Aber zurück zu Putensen: Wie kam es dazu, dass sie im neuen Jahrtausend mit ihm gemeinsam auf die Bühne gegangen sind?
Wir hatten vorher sehr lange keinen Kontakt. Im Februar 2007 bekam ich von ihm einen Anruf und er sagte: "Wir spielen jetzt in der WABE in Berlin ein Konzert mit richtiger Big Band, Streichern und Chor und präsentieren dort Ihre Lieder. Wollen Sie nicht vorbei kommen?" Ich bin daraufhin mit meinem Freund Rainer Oleak dahin gegangen. Wir kamen viel zu früh an, da war noch keine Menschenseele da. Wir wollten vorher noch schauen, und irgendwo etwas essen. Das haben wir dann auch getan und kamen so gegen 21:00 Uhr an der WABE an. Das haben Putensen und seine Musiker beobachtet. Als wir dort ankamen war alles dunkel, die hatten vorher das Licht ausgemacht. Als wir in die WABE kamen dachte ich noch so: "Kein Mensch da?" In dem Moment machten sie das Licht an, der Saal war brechend voll und die Leute haben getobt (lacht). Da haben die uns also richtig auf den Arm genommen. Es war ein sehr schöner Abend mit vielen bekannten Leuten, z. B. war auch Barbara Thalheim da. Es waren alle möglichen Leute vor Ort. Putensen hat ja selbst auch einen sehr großen Freundeskreis. Wenn diese Titel gespielt werden, ist das eben auch ein Stück alte Zeit und Erinnerung. Ich hätte - wie gesagt - nie gedacht, dass diese Lieder live so gut funktionieren.

 

Haben Sie die mit Manfred Krug in den 70ern denn nie live auf der Bühne gespielt?
Eben nicht! Wenn wir mit Krug live gespielt haben, haben wir andere Titel im Programm gehabt. Später wollten wir mit diesen Liedern auf die Bühne gehen, dazu kam es aber nicht mehr, denn dann kam schon diese Biermann-Sache. Danach war Krug ja weg und im Westen.

 

Also haben Sie erst mit 30-jähriger Verspätung im neuen Jahrtausend durch Thomas Putensen erfahren, dass ihre Lieder auch live funktionieren?
Ganz genau! So lange hat das gedauert. Das ist schon verrückt. Mich haben in den 80er und 90er Jahren so viele Menschen gefragt, warum wir diese Lieder nicht mal live spielen, und ich habe immer geantwortet: "Das ist nix für Konzerte. Das funktioniert nur auf Schallplatte!" - Da habe ich mich geirrt.

 

014 20130106 1807315065Es gab dann im letzten Jahr und auch in diesem Jahr eine erneute Zusammenarbeit mit Armin Mueller-Stahl. Da gab es Ende der 60er und Anfang der 70er ja auch schon eine...
Armin ist einer meiner besten Freunde. Wir haben erst gestern abend noch lange telefoniert. Er ist gerade in L.A. Wir hatten auch ein gemeinsames Schiff an der Ostsee, ein 15 Meter-Schiff, das wir uns 1969 gekauft haben. Das war von der Anschaffung her damals total billig, aber in der Unterhaltung extrem teuer. Es gehörte vorher einem VEB-Betrieb, weil sich das kein Privatmann leisten konnte. Wir haben uns das aber zu zweit zugelegt, weil wir vorher auch immer zusammen segeln waren. Wir sind mit dem Schiff dann immer nach Hiddensee oder Rügen gefahren, sind da oben rumgeschippert und haben auf dem Schiff gewohnt. Dieses Schiff hatten wir vier Jahre lang, dann ist es untergegangen (lacht). Wir haben damals auch ein gemeinsames Programm auf die Bühne gebracht...

 

Waren das damals schon diese Lieder, die jetzt auch auf der CD zu finden sind?
Na klar! Wenn Sie sich die bei der Special Edition beigelegte DVD anschauen, dann finden Sie Videos mit Auftritten von uns beiden von vor 40 Jahren. Diese Ausschnitte, wo wir 1971 und 1974 zusammen aufgetreten sind, haben wir zusammen mit den neu aufgenommenen Liedern erstmals veröffentlicht.

 

In dem Pressetext stand zu lesen, dass die Lieder damals verboten wurden...
Ja, die Lieder waren schon sehr zweideutig. Man konnte es zwar immer anders interpretieren... Man hat die Lieder allerdings nicht verboten, sondern man hat Armin nahe gelegt, er solle diese Lieder nicht mehr öffentlich interpretieren.

 

019 20130106 1894877777Ist das jetzt eine Sache, die Sie mit Armin Mueller-Stahl öfter machen werden, oder war das ein einmaliges Projekt?
Ich nehme an, dass wir noch eine CD machen werden. Wir haben bereits sehr schönes Material fertig und ich bin gerade dabei, neues zu erarbeiten.

 

Dann darf man einen Ihrer Auftritte der jüngeren Zeit nicht verschweigen, nämlich den bei Ostrock in Klassik. Wie kam es denn dazu, dass Sie dort mitgewirkt haben?
Man hat mich darauf angesprochen. Es lag wohl nahe, dass, wenn man versucht, die musikalischen Highlights des Ostens so ein bisschen zu bündeln, "Solo Sunny" dazu gehört. Nun ist das zwar kein Rock, aber was ist schon Rock? Jeder definiert das anders und zieht die Grenze woanders. Insofern war es den Machern wohl wichtig, diesen Titel mit dabei zu haben.

 

Sie haben das Stück gemeinsam mit Ihrer Tochter vorgetragen. Warum hat man eigentlich nicht versucht, Regine Dobberschütz, die Original-Sängerin des Stücks, auf die Bühne zu holen?
Es ist nicht unüblich, dass bekannte Songs in unterschiedlichen Arrangements von mehreren Sängern interpretiert werden. Das ist auch der eigentliche Erfolg von "Solo Sunny".

 

018 20130106 1972250309Herr Fischer, wir haben jetzt einige Stationen Ihrer langen Karriere besucht, dabei aber ganz sicher einiges nicht angesprochen, was wichtig wäre. Vielleicht machen wir irgendwann nochmal ein zweites Interview. Gibt es noch etwas ganz Wichtiges, was wir nicht versäumen dürfen zu besprechen? 
Kurze abschließende Bemerkung: Nachdem ich so viele Jahre im Ausland gelebt und gearbeitet habe, kann ich diese andauernde Ost-West-Etikettierung kaum noch lustig finden.

 

Ich danke Ihnen für die Zeit und dieses Gespräch. Haben Sie abschließend noch ein paar Worte, die Sie an die Leser richten möchten?
Das ist gar nicht so einfach... Ich bin es eigentlich gewohnt, dass nur ein bestimmter kleiner Kreis von Menschen aus den alten Bundesländern etwas mit meinem Namen anzufangen weiß. Wir aus dem Osten haben die Szene bei Euch immer sehr gut beobachtet, aber ich glaube, umgekehrt war das - bis auf ein paar Leute, die sich speziell dafür interessiert haben - nicht immer der Fall. Ich würde mich freuen, wenn die Leute durch dieses Interview Appetit bekommen und Interesse für die Kultur aus dem Osten zeigen würden. Es gibt ja auch im Internet viele Quellen, wo man Lieder von Manfred Krug und mir oder Uschi Brüning und mir hören kann. Da kann man ja mal reinhören und sich dann ein Urteil erlauben, und es ist vielleicht auch ganz interessant. Man sieht, wie die andere Seite zu einer bestimmten Zeit ausgesehen oder geklungen hat.

 

Interview: Christian Reder
Bearbeitung: kf, cr
Fotos: Günther Fischer privat, Redaktion
 
 
 

   
   
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