lp1 1 20130106 2044748222 lp2 20130106 1730999958 lp3 20130106 1035727926 lp4 20130106 1499323697


Paul Bartsch



001 20130106 1579513510PAUL BARTSCH ist Liedermacher und Autor. Was das Vorwort betrifft, könnten wir es bei diesem schlichten Satz belassen. Könnten wir - tun wir aber nicht. PAUL BARTSCH nur mit zwei Berufsbezeichnungen zu beschreiben wäre viel zu wenig. Dafür ist er viel zu emsig und fleißig, was sich anhand seines Outputs in Form von Tonträgern und Büchern belegt lässt. Von den Mainstream-Medien ignoriert, weil seine Kunst zu anspruchsvoll für das Deppen-TV der Privaten und wahrscheinlich zu viel "Nische" für das, was einst mal Bildungsfersehen war (Öffentlich-Rechtlich), ist, geht er unbeirrt seinen Weg und schreibt neue Texte und Lieder. Die Gründe dafür sind einfach: Der Hallenser Liedermacher hat noch Träume, die er mit seinen Hörern und Lesern teilen möchte. Auch hat er eine gehörige Portion Wut im Bauch. Er beobachtet Missstände in unserer Gesellschaft und im täglichen Leben und spricht sie offen in seinen Liedern an. Die Wut und auch die Träume müssen raus, und BARTSCH kanalisiert sie musisch. Dabei arbeitet er der Sache, nämlich der Kunst und nicht der Aufmerksamkeit wegen! Dies ist aber sicher nur eine der Antriebsfedern, die den Künstler seit nunmehr fast 30 Jahren in der Musik- und Literaturszene unseres Landes aktiv sein lassen. Mit Fingerspitzengefühl, einer großen Beobachtungsgabe, dem Sinn für feine Melodien und der Kunst, mit Worten hervorragend umgehen zu können, kleidet er für ihn wichtige Themen in Text und Musik. Was dabei herauskommt, kann man sich seit nunmehr 20 Jahren auch auf Tonträgern anhören. Alles fing mit der LP "Leben in einer Stadt" und der Gruppe PAUL BARTSCH & FAM an. Später ging es zunächst im Duo FAHNERT & BARTSCH, anschließend im Trio FAHNERT, BARTSCH & HECHT weiter. Seit 2003 gibt's das Bandprojekt BARTSCH & BAND und davon inzwischen auch diverse Publikationen. Die neueste steht bereits in den Startlöchern, heißt "Wolkenkuckucksheimerbauer" (Rezension: HIER) und wird am 13. Juli mit einem Release-Konzert dem Anlass entsprechend gefeiert und veröffentlicht. Es war also langsam an der Zeit, PAUL BARTSCH für ein Interview zu uns einzuladen. Die neue CD war dafür sicher ein geeigneter Anlass, aber der Künstler und Deutsche Mugge haben auch gemeinsame Bekannte. Und auch sonst passt der Musiker und Mensch PAUL BARTSCH prima zu uns und unseren Lesern, wie man an folgendem Gespräch deutlich erkennen kann....
 



Die Wurzeln von Deutsche Mugge liegen ja bei dem aus Halle stammenden Michael Rösch und seinen Seiten Ostrockforum und Halle-rockt.de. Du kommst auch aus Halle. Halle ist ja nicht so groß und die Musikwelt eh klein: Kanntest Du Micha?
Klar kannte ich Micha, und wenn wir hier in der Region gespielt haben, war er dabei. Ich kenne niemanden, der so profunde und intime Kenntnisse über unsere Musikszene besaß und zugleich so bescheiden und zurückhaltend damit umging. Ich glaube sagen zu dürfen, dass wir uns mochten - was man wirklich verliert, weiß man eigentlich erst, wenn es unumkehrbar ist..

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006g 20130106 1785356728Du bist aber kein waschechter Hallenser, oder? Wie und wann hat es Dich in die Händel Stadt gezogen?
Nein - geboren bin ich in Wernigerode, der "bunten Stadt am Harz" (das Etikett hat ihr Hermann Löns aufgedrückt - man muss also vorsichtig damit umgehen). Aufgewachsen bin ich dann in einem kleinen Dorf im Vorharz, hab in Halberstadt Abi gemacht, dann erst in Weimar studiert, seit 1976 in Halle an der Uni (Pädagogik Deutsch/Musik). Dort habe ich dann meine Frau kennengelernt, die auch keine Hallenserin ist; wir haben 1978 geheiratet, sind nach dem Studium in Halle hängengeblieben (vorübergehend, wie wir damals glaubten), und nun leben wir noch immer dort, unsere Kinder sind dort geboren, und wir sind in Halle echt zu Hause. Ob für immer? Das weiß man nicht...

 

Du bist nicht nur Musiker, sondern betätigst Dich auch noch auf ganz anderen Gebieten. Aber bleiben wir zuerst einmal bei der Musik. Ich habe gelesen, dass Dich die Musik bis zu Deinem 14. Lebensjahr nicht wirklich interessiert hat. Aus welchem Grund hat sich das geändert und wann genau? Oder anders gefragt: Wann und wie hat's Dich erwischt?
Das war 1968. Ich war 14 und kam auf die Erweiterte Oberschule nach Halberstadt in die 9. Klasse. Vorher auf meinem Dorf war Musik nicht wirklich wichtig für mich. Mein Vater war Biologe, Botaniker - ich kannte zu dem Zeitpunkt bereits alle heimischen Orchideenarten beim lateinischen Namen, aber noch keine Note. Dann ein scharfer Cut: Untermiete in einem Pfarrhaus voller Musik und Kultur, dazu die große Zeit der Rolling Stones, der WHO, der KINKS. Eine völlig neue Welt. Jeder von uns 14-Jährigen nahm seinerzeit die Gitarre in die Hand. Die meisten haben sie weggelegt, als es die ersten Blasen auf die Fingerkuppen zauberte. Ich hab durchgehalten, und es hat mich seitdem nicht losgelassen.

002 20130106 1439114502Nach der Schule hast Du Pädagogik, Deutsch und Musik studiert. Was waren Deine Berufsziele damals zur Schulzeit, und haben sich diese während des Studiums geändert?
Na ja, während der Schulzeit wollte ich eigentlich Architekt werden, gemeinsam mit meinem besten Freund, dem Pfarrersohn, bei dem ich wohnte. Der durfte dann nicht studieren, aus politischen Gründen. Da ging meine Motivation flöten, nach drei Semestern brach ich das Studium in Weimar ab. Nach abgebrochenem Studium musste man sich in der DDR erst mal "bewähren", bevor man erneut studieren konnte. Ich hab in der Holzindustrie Halberstadt gearbeitet, einem Wiedereingliederungsbetrieb für Knasties. Das war eine harte Schule! Da wollte ich natürlich wieder raus. Aber Lehrer? Meine Eltern waren beide Pädagogen - eigentlich keine Alternative. Aber da es zum "richtigen" Musikstudium nicht gereicht hat, hab ich die kleine Variante gewählt: Musikpädagogik. Und ich wusste bereits zum Studienbeginn, dass ich nie als Lehrer arbeiten würde - zumindest nicht in der Volksbildhauerei der DDR.

Nach dem Studium hast Du dann als Musiker begonnen. Kannst Du bitte kurz erzählen, wie es für Dich nach dem Studium weiter ging, wo Du gespielt hast und was Du gemacht hast?
Na ja, wie gesagt: Mein Problem war, nicht in die Schule zu müssen als Lehrer. Also hab ich mit meinem Musiklehrerdiplom einen Berufsausweis als Musiker beantragt - und 1981 auch bekommen: als Chanson-Sänger - der Begriff "Liedermacher" war seit der Biermann-Ausbürgerung tabu. Ich hatte all die Jahre schon in Amateurbands gespielt, Rockmusik, von den Stones und CCR über Deep Purple und Led Zeppelin bis zu Bad Company und Wishbone Ash. Aber auch schon eigene Sachen auf deutsch, die ich getextet und komponiert habe. Viele Bluesnummern waren dabei; unser "Blues vom dummen Schwein" war ziemlich legendär. Die Band in den 70ern hieß "anonym" und kam aus Halberstadt. Jetzt wollte ich aber wirklich was Eigenes machen, stieg 1981 bei "anonym" aus und gründete mit dem Pianisten und Sänger Detlef Hörold das Chanson-Duo "HörBar" (von unseren Nachnamen: Hörold und Bartsch abgeleitet). Das hatte einigen Erfolg - und bestand bis 1984.

005g 20130106 1196638657Deinen Berufsausweis hast Du - so steht's auf Deiner Homepage - im Jahre 1981 bekommen. Weißt Du noch, was Du dafür tun musstest, um ihn zu erhalten?
Also - die theoretische Prüfung wurde mir erlassen, schließlich hatte ich mein Diplom als Musiklehrer, also Nachweise im Klavierspiel, in Chorleitung, in Musiktheorie usw.. Ich musste dann ein Programm öffentlich vorstellen. Das war am 16. Januar 1981 - es bestand ausschließlich aus eigenen Liedern, was es der Kommission nicht einfach machte. An etlichen Stücken nahm man Anstoß, vor allem an einem Lied, das die Metapher der Königskinder ins geteilte Berlin versetzte. Als ich vor ein paar Jahren meine Stasi-Akte einsehen konnte, fanden sich mehrere Berichte über dieses Zulassungskonzert von unabhängig agierenden "Beobachtern". Aufschlussreich!

Was war Deine erste Plattenproduktion bzw. wann wurde erstmals ein Song von Dir auf einem Tonträger veröffentlicht?
Seit 1986 habe ich mit einer halleschen Profi-Band zusammengearbeitet, deren Sänger Bernd Marek zuvor in den Westen gegangen war. Das war FAM. Wir haben ein gemeinsames Programm mit meinen Songs erarbeitet: "Kontaktgesuch" hieß es. Das spielten wir 1988/89 ganz erfolgreich, und dann gab es Kontakte zum DDR-Rundfunk, wo Ingo Dietrich, damals Gitarrist bei Gundermann, mit uns 6 Titel produzierte. Dann die Wendezeit - alles ging drunter und drüber. Wir hatten die Titel fertig, plötzlich gab uns die Bezirkskommission für Unterhaltungskunst, die zuvor immer geblockt hatte, Geld, und wir konnten weitere Stücke einspielen und eine LP machen. Das Label SCALA, auf dem die Platte dann erschien, war auch so eine Wende-Gründung, ebenso das Tonstudio METRIX, das heute zu den etablierten Medienproduzenten hier in Mitteldeutschland gehört. So entstand "Leben in der Stadt", die im April 1990 erschien - der ungünstigste Zeitpunkt, den man sich denken kann: Alles wartete auf die D-Mark, niemand interessierte sich für Rock aus der ostdeutschen Provinz. Schade eigentlich, denn es sind einige interessante Songs drauf. Ich hab noch ein knappes Dutzend LPs im Regal stehen, die hüte ich wie meinen Augapfel...

fam 20130106 1933785442Du hast auch Literaturwissenschaften studiert. Wie und wann genau bist du zur Literatur gekommen? 
Oha - also gelesen habe ich schon immer gern. Und mit 12 etwa angefangen selbst zu schreiben. Ab 14 dann Songs... Mit meinem Germanistikstudium hatte ich gute Voraussetzungen, das dann hauptberuflich zu machen. So bin ich 1986 zurück an die Uni Halle, wo ich 1980 mein Diplom gemacht hatte, habe dort 1988 promoviert und bis 1991 als Literaturwissenschaftler gearbeitet (von der Ausbildung von Deutschlehrern). Und natürlich hat mich Literatur bis heute nicht losgelassen.

Gehören Literatur und Musik für Dich zusammen? Sind sie artverwandt oder ein Zweckbündnis?
Ja, für mich gehört das zusammen. Ich glaube auch, dass der Ursprung der menschlichen Vortragskunst eine enge Verbindung von beidem war. Natürlich gibt es Texte, die keine Musik brauchen, ebenso wie umgekehrt. Aber im Lied - also dem, was ich hauptsächlich künstlerisch betreibe - kommt beides unmittelbar und organisch zusammen. Dass dies auch ein Zweckbündnis sein kann, indem es den Wirkungsradius erweitert, finde ich übrigens keineswegs problematisch.

Wie entstehen Deine Songs? Hast Du immer zuerst eine Textidee oder eine Melodie im Kopf?
Es gibt schon ein paar Melodien, die ich vor mich hin klampfe mit irgendeinem Phantasietext, aber in der Regel entsteht erst der Text. Meist gesellt sich relativ rasch eine musikalische Idee hinzu. Richtige Musik macht allerdings erst meine Band daraus, die aus hervorragenden Musikern besteht. Ein Glücksfall. Und ich bin froh, dass die Jungs (die sich jetzt auch der 60 nähern oder gar schon drüber sind) das mit so viel Engagement machen.

band 20130106 1518526917Du arbeitest in Deinen Songs auch viel mit historischen bzw. literarischen Figuren. Das war früher z.B. in der Rockmusik der 70er, wenn man an z.B. die Puhdys mit "Ikarus" denkt, zumindest ab und an ein gern verwendetes Thema. Kommt sowas heute beim Publikum noch an? Ich stelle mir das speziell bei den jüngeren Hörern schwierig vor...
Tja, was soll ich machen? Ich schreibe wirklich zunächst mal für mich. Schreiben ist eine Art Selbstverständigung. Wen man damit erreicht, ist erst die zweite Frage. Stimmt schon: Bei jungen Leuten kann man vieles nicht voraussetzen. Aber ich erzähle bei den Konzerten auch gern eine ganze Menge zwischen den Titeln. Nicht dass ich meine Lieder erkläre (das wäre schlimm) - ich versuche, den Background aufzureißen, auf dem die Songs entstanden sind und vor dem sie funktionieren. Und da hab ich schon den Eindruck, dass es häufig ein Aha-Erlebnis im Publikum auslöst. Dabei will ich gar nicht pädagogisch wirken. Aber ich bin selbst oft fasziniert, wenn ich merke, wie viel solche alten Geschichten, Figuren, Konflikte mit uns heute zu tun haben. Dann nehme ich sie her, klopfe sie ab, bürste sie gegen den Strich, und siehe da: Sie funktionieren! Das ist doch toll, oder?

Ja, stimmt! Ist es nicht ein grundsätzliches Problem in den Schulen, dass den Kindern viel zu viel unnützes Zeug beigebogen wird, während man die Klassiker der Literatur, der Musik und auch das Allgemeinwissen sträflich vernachlässigt?
Ein großes Thema. Und eins, bei dem ich schnell unsachlich werde. Wahrscheinlich weil ich nun seit 20 Jahren im Bildungsbereich tätig bin und mit vielen Dingen selbst so unzufrieden. Ich sehe z.B. in Skandinavien, wie kulturvoll und ästhetisch ausgerichtet Bildung/Schule sein kann. Und erlebe dann hier In Deutschland ganz andere Diskussionen: Bildung als Pragmatik. Kompetenz statt Kultur. Aber was tun? Ich kenne unseren letzten Kultusminister (hier in Sachsen-Anhalt) Jan-Hendrik Olbertz noch aus Studienzeiten sehr gut. Ein kulturvoller Mensch durch und durch. Bewegen konnte er diesbezüglich wenig - die Strukturen sind verhärtet und starr. Zudem wurde ihm dann noch ans Bein gepinkelt von bescheuerten Journalisten. Und was ist nun? Die Minister kommen und gehen, die Misere bleibt. Es ist unbefriedigend, und das Schlimme ist: Ich habe keine Lösung und auch keine Hoffnung mehr, dass eine solche unter den aktuellen Gegebenheiten zu finden ist.

hecht 20130106 2096724092Neben den eben angesprochenen Inhalten bist Du thematisch in Deinen Liedern auch sehr aktuell und sprichst Themen der Zeit an. Was ist das Geheimnis, bei solchen manchmal sehr heiklen Themen und Dingen auf offene und interessierte Ohren zu stoßen und nicht oberlehrerhaft und belehrend zu klingen?
Ich denke, man muss sich selbst als be- und getroffen von den Dingen zeigen. Nicht so tun, als hätte man selbst alles im Griff und würde nun den anderen den richtigen Weg zeigen. Ratlosigkeit, Wut, Trauer - das habe ich alles selber auch. Und manchmal auch die Nase voll und will nur meine Ruhe haben. Wenn man das mitteilt, stellt man sich nicht über sein Publikum, sondern mitten unter die Leute. Anders geht es nicht, wenn man authentisch bleiben will.

Gerade bei Deinem neuen Album hat mich begeistert, dass Du offenbar mit einer sehr sensiblen Beobachtungsgabe ausgestattet bist. Wo kommen die Ideen zu Deinen Texten her? Sind das wirklich eigene Beobachtungen aus dem Leben oder Geschichten, die an Dich herangetragen wurden?
Ich kann das im Einzelnen nicht trennen, wirklich nicht. Leben heißt ja er-leben und er-fahren. Alle Lieder haben mit mir zu tun, sonst hätte ich sie nicht geschrieben. Manche erstaunen mich selbst, wenn sie fertig sind. Das ist übrigens ein tolles Gefühl, wenn du selbst nach dem Schreiben eines Songs klüger bist als vorher. Also Dinge erkennst, die du vorher nicht gesehen oder durchschaut hast.

Womit wir beim Thema wären: "Wolkenkuckucksheimerbauer", Deine neue CD. Wie ist die Platte entstanden und wie lange hast Du von der Idee bis zum letzten Ton im Studio gebraucht?
Die Songs sind innerhalb von drei Jahren geschrieben. Der erste war "Abschied der Matrosen", der eigentlich noch auf die letzte CD sollte, aber dann doch nicht fertig war. Ich bin froh darüber. Manche Dinge müssen reifen. Auch sonst hatte ich keinen Druck. Wir haben ein tolles Live-Programm auch vorher gehabt; die Live-CD von 2010 zeugt davon. Dann war das Dutzend voll, und wir sind im Februar/März an die Aufnahmen gegangen. Bis zum endgültigen Mastering haben wir - mit Pausen - ein Vierteljahr intensiv gearbeitet.

schneider 20130106 1676310661Ich habe sie ja bereits aus meiner Sicht beschrieben, wie würdest Du Dein Werk selbst beschreiben? Was erwartet den Hörer, der sich Deine neue CD kauft?
Nun - der Hörer kann mich kennenlernen! Nicht mehr, nicht weniger. Wenn er sich darauf einlässt, erfährt er, wie ich die Welt anschaue, was ich liebenswert finde, wo ich hasse - und warum. Dass ich auf die 60 zugehe und mich lange noch nicht am Ende meines Weges fühle. Er wird hoffentlich spüren, dass es mir nicht um modernistische Attitüden geht, sondern dass wir unsere Musik ernsthaft und mit ungeheuer viel Spaß ausüben. Wir bedienen uns an vielen Stilistiken und passen dadurch in keine Schublade, was ich als sehr angenehm empfinde.

Da ist u.a. eine Hommage an Cäsar Peter Gläser mit drauf, nämlich der "Traum vom Apfelbaum". Was verbindet Dich mit Cäsar und was hat Dich angetrieben, für ihn einen Song zu machen?
RENFT waren meine musikalische Erweckung sozusagen: 1973 habe ich sie erstmals live gehört, in Weimar. Da wusste ich: So was will ich auch mal machen, so rau, so ehrlich, so poetisch. 30 Jahre später haben wir für unsere erste Band-CD "Bruchpiloten" den Song "Irgendwann" geschrieben, der an den gleichnamigen Renft-Song anknüpft. Ich hab damals Demmler und Kuno angeschrieben und ihnen unser Werk offeriert. Sie haben positiv reagiert; Kuno hat sogar ein paar Konzerte mit uns gespielt, bevor ihn sein Ohrenleiden ganz von der Bühne verbannt hat. Unsere zweite Band-CD "Stechen in See" durfte dann - als erste Fremdproduktion überhaupt - auf Peter Gläsers Label "cäsar-music" erscheinen. Das war so was wie ein Ritterschlag. Natürlich haben mich Cäsars Erkrankung und sein Tod getroffen. Und da wir auf jeder unserer CDs eine Reminiszenz an RENFT drauf haben ("Irgendwer" bei "Bruchpiloten", "Wandersmann" auf "Stechen in See" und "Nach der Schlacht" auf "Wer weiß schon wie") war dieses Mal einfach Cäsar dran. So ist unser "Traum vom Apfelbaum" als Hommage entstanden, die ihn nicht auf einen Sockel stellt, sondern sich ihm (und der Stimmung seines "Apfeltraums") ästhetisch annähert.

lueken 20130106 1076011296Die Platte erscheint jetzt im Juli. Was wünschst Du Dir für diese CD und wie kann sie ein möglichst breites Publikum finden?
Ich wünsche mir die Chance des zweiten Eindrucks. Dass man nicht gleich sagt: "Paul - wer?" Sondern einfach mal reinhört, was wir da machen. Weglegen kann man die CD dann immer noch. Beispiel: Ich habe die CD und mein neues Songbuch ans ARD-Morgenmagazin geschickt, weil die manchmal Künstler vorstellen. Einen netten Brief dazu. Alles kam postwendend zurück - man stelle nur Künstler vor, die in den Charts sind. CD und Buch waren noch eingeschweißt... Solche Arroganz kotzt mich an. Ich hoffe natürlich auf die "Liederbestenliste" - mal sehen, wie dort die Resonanz ist. Und ich habe Signale von der Jury des Preises der deutschen Schallplattenkritik, die ermutigend sind. All das bringt keinen "großen Durchbruch", aber immerhin... Und vor allem hoffe ich auf Veranstalter, die sich trauen, uns damit auf die Bühne zu holen. Es ist eine tolle Band! Die hat es einfach verdient. Wo wir spielen, funktioniert es gut, selbst vor wenigen Leuten. Aber erst mal auf die Bühne zu kommen - du glaubst nicht, was wir da für Verrenkungen machen müssen...

Deine Studioband ist ja gleichzeitig auch Deine Live-Band. Stellst Du sie bitte mal vor? Wer gehört dazu, und wie sind sie zu Dir gestoßen? 
Das mache ich sehr, sehr gern, denn ohne sie wäre das alles viel weniger... Also: Mit Thomas "Tommy" Fahnert, dem Gitarristen, spiele ich seit 25 Jahren zusammen - er war seinerzeit schon bei FAM. Gerd Hecht, der Bassist, kam 1994 hinzu - da waren wir das Trio FAHNERT, BARTSCH & HECHT. Dann 1997 der Schlagzeuger Ralf Schneider - ein Klassiker, der im Staatsorchester Halle spielt (und u.a. lange bei HORCH gespielt hat, Jazz trommelt, viele Studio-Gigs macht). Und 2002 - das Jahr der Band-Gründung - komplettierte dann Keyboarder Sander Lueken (zu DDR-Zeiten mit der M.Jones-Band erfolgreich) die Besetzung. Alle Musiker sind am Arrangement beteiligt - mitunter klingen die Titel am Ende ganz anders, als ich es anfangs gedacht habe - aber immer besser! Schön ist, dass wir uns nicht nur auf der Bühne treffen, sondern - bei aller Individualität und Verschiedenheit - auch so unsern Spaß miteinander haben. Das wird so bleiben, da bin ich sicher, denn zu diesem Projekt kann jeder das Seine beitragen.

fahnert 20130106 1344028469Kommen wir nochmal kurz zu Dir: Du selbst sagst, Du seist ein Liedermacher. Vielleicht haben auch andere Dir diesen Stempel aufgedrückt... Meiner Meinung nach - insbesondere nach dem Hören Deiner CDs - ist diese Schublade für Dich viel zu eng. Bist Du nicht auch der Meinung, dass das viel zu eng bemessen ist?
Das kommt drauf an, wie man selbst den Begriff versteht. Für mich ist er zunächst ganz ehrlich gemeint: Ich mache (also schreibe) Lieder. Die spiele ich dann mit der Band. Wie willst du das englische "Singer/Songwriter" ins Deutsche übersetzen? Klar, das klingt erst mal frischer als "Liedermacher". Aber es meint nichts anderes. Wenn es jemanden stört oder altmodisch anmutet - damit kann ich leben, solange er mir eine Chance gibt und zuhört.

Du bist - wie wir ja jetzt auch hier über das Interview schon feststellen konnten - ein Musiker, der mit seiner Musik auch eine Botschaft mitbringt. Ist diese Musik, die Du machst, im Zeitalter des seelenlosen Mediums MP3 und der immer weniger werdenden Wertschätzung der Menschen im Runterlade-Zeitalter eine aussterbende Art, die es vielleicht schon bald nicht mehr geben wird?
Ich will das nicht glauben, obwohl es dafür Anzeichen gibt. Aber selbst wenn ich an Schulen vor ganz jungen Leuten spiele, sind immer einige dabei, deren Augen leuchten. Was ich mache, ist sicher in einer Nische gut aufgehoben. Aber ich glaube, es wird immer Menschen geben, die ein Bedürfnis nach Unter-Haltung abseits des Mainstreams haben werden. Dabei will und kann ich gar nicht Avantgarde sein (was häufig genug auch bloß Attitüde ist), sondern will einfach nur ICH bleiben dürfen. Ein bisschen altmodisch.

Es gibt genügend Beispiele dafür, dass man heute mit musikalischem Abfall und geistigen Tiefflügen in Sachen Texten immer wieder große Hits landen kann. Bekommt man da als ehrlicher und anspruchsvoller Handwerker nicht die Wutpickel im Gesicht, wenn man sich die Charts und damit auch den Geschmack der Nachkommen unserer "Dichter und Denker" anschaut? 
Ach, weißt du, da bin ich drüber weg. Ich hab ja noch mein Leben außerhalb der Lieder, das ist ganz erfolgreich, ich muss mich also nicht als kurzzeitiges Retortensternchen im Medien-Olymp definieren. Und ehrlich gesagt: Der meiste Schrott geht an mir folgenlos vorbei. Vieles ignoriere ich einfach (manches sicher ungerechtfertigt). Aber auch in Gesprächen: Wenn mir die Leute zu hohl sind, verabschiede ich mich freundlich und drehe mich um. So viel Selbstvertrauen habe ich inzwischen...

Es ist inzwischen ja zu einer Unsitte geworden, von jedem Furz einen Videomitschnitt im Internet zu veröffentlichen. Da landen dann auch viele Konzertmitschnitte im Netz, ohne dass der Künstler davon etwas hat oder etwas darüber weiß. Ich habe über Dich bei wikipedia gelesen, dass Du Video-Mitschnitte von Deinen Konzerten bei Videoportalen konsequent entfernen lässt. Stimmt das?
Das von Wikipedia wusste ich nicht. Ich hab mal ein Handy-Video auf YouTube löschen lassen, das einen wirklich schlechten Mitschnitt - natürlich nicht abgesprochen - eines Konzertes in Tübingen enthielt. Ich finde es einfach eine Zumutung, geistiges Eigentum anderer - ohne deren Zustimmung, die ich gern gebe, wenn ich gefragt werde und das Produkt autorisieren kann! - ins Netz stellen, noch dazu anonym. Das können nur Leute tun, die keinerlei Achtung vor der schöpferischen Leistung anderer haben und davon wohl auch nix verstehen. Natürlich weiß ich, dass es heutzutage fast aussichtslos ist, sich dagegen zu wehren - dennoch nehme ich derartige Dinge nicht hin, und bin mit dieser Einstellung wohl auch nicht ganz allein.

004g 20130106 1157712490Beim weiteren Stöbern im Netz habe ich auch noch über Dich gelesen, dass Du Medienpädagoge bist. Wie sieht Deine Tätigkeit da aus?
Ich arbeite einerseits am Pädagogischen Landesinstitut Sachsen-Anhalt, mache Lehrerfortbildung, entwickle Konzepte für die Förderung von Medienkompetenz - ein weites Feld. Dann habe ich noch die Professur für "Erziehungswissenschaft: Kindheit und Medien" an der Hochschule Merseburg, wo Kultur- und Medienpädagogen ausgebildet werden. Ich bin sicher ein ziemlich unorthodoxer Professor. Und ich genieße den anregenden Kontakt mit phantasievollen, kreativen und keineswegs verblödeten jungen Menschen, ohne mich ihnen anbiedern zu müssen. Das ist schon eine glückliche Fügung, wie ich finde.

Wenn man über und mit Dir spricht, kann man bei der Fülle an Tätigkeiten und bereits veröffentlichten Publikationen nicht alles erwähnen. Was liegt Dir denn noch besonders am Herzen, was man in diesem Interview nicht verschweigen sollte?
Also, ganz ehrlich: Meine Familie! Ohne die wäre das alles weder möglich noch überhaupt zustande gekommen! Ich bin jetzt 33 Jahre verheiratet, was - aus Sicht meiner Frau - wohl keineswegs immer toll war, aber wir haben uns nicht verloren (manches findet man versteckt in Liedern...). Eine aufregende Partnerschaft - im besten Sinne des Wortes. Ohne meine Frau würde ich manche Dinge gar nicht sehen und manches Gefühl wohl auch kaum zulassen. Und ich hab zwei wunderbare Kinder, die nun erwachsen sind, ihren eigenen Weg gehen und dennoch die Bindung zu uns nicht verlieren. Auch sie haben mir oft (zumeist unwissentlich) Anregungen zum Schreiben gegeben. Wie soll ich sagen: Ich liebe - und werde geliebt! Das darf man nicht verschweigen, denke ich...

Damit sind wir am Ende des Interviews. Möchtest Du noch ein paar abschließende Worte an unsere Leser richten?
O je - das klingt wie ein Vermächtnis... Also - ich will mich bedanken für dieses ausführliche und niveauvolle Gespräch (keine Selbstverständlichkeit in heutigen Zeiten). Auf persönliche Begegnungen freue ich mich, denn ich glaube, dass man mit Liedern Brücken bauen kann. Wenn wir sie betreten, kommen wir einander näher!

 

Interview: Christian Reder
Bearbeitung: kf, cr
Fotos: Gundolf Zimmermann, Heiko Fiedler
 
 
 

   
   
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