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Bernhard Potschka

 

 

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Vom Rock zur Folklore ist es nur ein kleiner Schritt und es bedarf manchmal keines großen Auslösers für einen Wechsel der Musikrichtung. An dieser Stelle (und auch sonst) sollte Folklore bitte nicht mit dieser unsäglichen volkstümlichen Musik verwechselt werden. Vielmehr ist hier die Weltmusik gemeint. Und dass man nicht unbedingt arabischer Herkunft sein muss, um arabische Folklore ansprechend und bis ins Detail ausgefeilt präsentieren zu können, beweist inzwischen der ehemalige SPLIFF-Gitarrist, Bernhard "Potsch" Potschka. Angefangen hat alles im süddeutschen Würzburg, wo "Potsch" geboren wurde und aufwuchs. Klassisch an Klavier und Cello ausgebildet entdeckte er in der Jugend auch die Rockmusik für sich. Er zog Anfang der 70er der Musik wegen nach West-Berlin, in die pulsierende "Insel-Stadt", und schloss sich dort der Politrock-Band "Lokomotive Kreuzberg" an. Anschließend ließ er es bei der Nina Hagen Band und Spliff ordentlich knallen, um nach einem Ausflug in den Pop-Bereich erstmal nach Spanien auszuwandern. Heute ist Potschka wieder in der Nähe von Berlin zu Hause und produziert in seinem eigenen Studio eingangs erwähnte Weltmusik. Inzwischen hat er ein neues Album fertig, das für uns Grund genug war, endlich auch "Potsch" als Stargast einzuladen. In dem Gespräch kam wieder mal deutlich zum Vorschein, wie klein doch die Musikwelt in Deutschland (Ost UND West) ist, und dass Klaus Renft maßgeblichen Anteil daran hatte, dass es SPLIFF überhaupt erst gegeben hat. Über den Musiker Bernhard Potschka, seine Bands und seine aktuellen Projekte hatten wir viele Fragen, die uns allesamt beantwortet wurden...
 

 

Du hast ein neues Album angekündigt. Wie wird es heißen, wann wird es erscheinen und worauf kann sich der Hörer freuen?
Die neue CD heißt "Varieties Of Truth", zu Deutsch "Vielfältigkeit der Wahrheit". Bei diesem Album habe ich mit sechs verschiedenen Sängern aus allen Teilen der Welt gearbeitet. Inhaltlich geht es dabei um sehr alte Texte aus der ganzen Welt. Je älter diese Texte werden, um so eher ist so ein Text dann auch ein Gebet. Da sind z.B. zwei indische Mantren und ein tibetisches, buddhistisches Gebet dabei. Außerdem habe ich einen sehr alten Text aus Spanien, der früher während der Erntearbeit auf dem Feld gesungen wurde, zwei türkische Lieder und zwei koptische Gebete dabei. Die Geschichte zu den koptischen Gebeten ist die, dass die Christen in Rom immer verfolgt wurden und deshalb im dritten Jahrhundert nach Ägypten ausgewandert sind. Sie nennen sich Kopten. Diese Texte sind aus dem fünften oder sechsten Jahrhundert und in arabischer Sprache. Der spanische Text wird übrigens von einem 60-jährigen Zigeuner gesungen. Zwei der anderen Texte werden von Nasser Kilada, einem Sänger und Percussionisten, gesungen. Mit Nasser habe ich vor 10 Jahren schon einmal eine Platte gemacht. Ein weiterer Text kommt aus dem Islam und wird von der ägyptischen Sängerin Aida el Ayoubi gesungen, die in Ägypten ziemlich bekannt ist. Über sie und unsere Zusammenarbeit gab es im Oktober übrigens einen 10-minütigen Beitrag auf "Deutsche Welle TV". Mit ihr mache ich jetzt auch weiter. Wir machen insgesamt zwei Platten zusammen, eine weitere noch mit Weltmusik, also ägyptischer Musik mit Sufi-Einschlag. Sufi ist eine spezielle Musikrichtung, die hauptsächlich in Syrien, Pakistan und Persien vertreten ist. Mir macht das sehr viel Spaß, denn ich habe schon als Jugendlicher solche Musik gehört, von daher ist das für mich auch nicht so weit weg. Durch die Zusammenarbeit mit vielen arabischen Musikern in den letzten Jahren weiß ich jetzt auch einigermaßen Bescheid, worum es da geht. Auf der neuen Platte sind halt sehr viele arabische Einflüsse zu hören.
 
 

Hat das einen bestimmten Grund, warum Du den Schwerpunkt auf arabische Musik gelegt hast?
Wahrscheinlich deshalb, weil ich da sehr drauf abfahre (lacht). Ich habe ja sehr lange in Richtung Flamenco gearbeitet und in Spanien Flamenco- und Fusion-Produktionen mit hervorragenden Leuten gemacht. Die Rhythmik und die Scales beim Flamenco kommen alle aus dem Arabischen. Das hat mich dazu veranlasst, da mal weiter zu forschen und mal zu gucken, wie das alles zusammenhängt. Dabei habe ich gemerkt, dass es mir wahnsinnigen Spaß macht und ich ein großes Faible dafür habe.

 

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Wie lange hast Du an der CD gearbeitet?
Das war diesmal außergewöhnlich lang, nämlich 1 ½ Jahre. Es war auch nicht einfach, sechs Sänger unter einen Hut zu bekommen. Es hat sich so nach und nach entwickelt. Ich habe sie bisher auch noch nicht veröffentlicht, weil ich derzeit auf der Suche nach einem Vertrieb bin. Ich kann das alleine nicht leisten. Deswegen weiß ich derzeit auch noch gar nicht, wann die CD erscheinen wird, aber ich hoffe, dass das bald passiert.

 

Das letzte Album von Dir, das ich mitbekommen habe, ist "Die Geheimnisse der Cleopatra" vor neun Jahren...
Das war aber nicht das letzte Album von mir. Ich habe vor zwei Jahren gleich zwei CDs veröffentlicht. Das war einmal "Mystics Of Arabian Reality", eine Soloplatte mit Instrumentalmusik, die ich ganz alleine gemacht habe und auf der arabische Fusion-Musik drauf ist. Außerdem habe ich im gleichen Jahr die CD "Gitarra Pura" veröffentlicht. Das ist die CD meines gleichnamigen Projekts, einem Duo mit meinem Kollegen Frank Mueller, einem Klassik-Gitarristen, mit dem ich schon sehr lange zusammen arbeite. "Gitarra Pura" ist eine CD mit 14 Stücken und zwei spanischen Gitarren. Die Stücke sind von mir und auch eins von Frank. Es gibt auch drei Stücke, bei denen eine Oboe dabei ist. Stilistisch ist die Platte eine Mischung aus spanischer Musik und Klassik. Es sind sehr verschiedene Songs, aber immer mit zwei spanischen Gitarren gespielt.

 

Ich erinnere mich an einen TV-Auftritt von Dir vor etwa drei Jahren. Da bist Du mit Manne Praeker und dem Projekt "Bockx auf Spliff" in einer Retro-Show aufgetreten. Wie kam es zu diesem Projekt? Wer hatte die Idee und was wolltet Ihr damit erreichen?
Ich wollte gerne mal wieder live spielen und mit dem Duo-Projekt, das ich da habe, wollten sie von mir immer Rock haben, weil ich ja auch als Rockgitarrist bekannt wurde. Daraufhin hab' ich mir gedacht: "Dann mach' ich das mal", und habe begonnen, Stücke zu schreiben. Ich habe gleich an Manne gedacht, dass er dabei Bass spielen könnte. Dann habe ich weitere Leute gesucht und hatte schließlich auch eine Band zusammen. Um einen besseren Aufhänger für die Band zu bekommen, dachte ich mir, wir machen damit zwei CDs. Einmal eine mit den ganz neuen Songs und eine weitere mit 10 Spliff-Songs, die wir mit verschiedenen Sängern neu einspielen. Da war z.B. Jan Plewka von Selig dabei. Dass daraus am Ende nichts wurde, lag an Problemen mit dem Manager, den wir da hatten. Das ging dann leider alles kläglich in die Hose.

 

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Ihr hattet damals eine CD angekündigt. Warum ist die letztlich nicht erschienen?
Die ist deshalb nicht erschienen, weil die rechtliche Seite nicht geklärt war

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Das heißt, es gibt neues Material, das jetzt aber in der Schublade schlummert?
So ist es. Da sind ziemlich gute Dinger dabei. Mal gucken...

 

Manne und Du hatten doch sicher die Ambition, die alte Besetzung von Spliff wieder an den Start zu bringen. Habt Ihr bei Herwig und Reinhold angefragt, ob die mitmachen wollen?
Vor etwa 10 Jahren ging es schon einmal darum, Spliff wieder zu reaktivieren. Das hat leider nicht geklappt. Seitdem ist das Thema gegessen. Reinhold wohnt jetzt in Amerika und ist dort kräftig am Arbeiten. Er schreibt und produziert Filmmusiken und hat für etwas anderes auch gar keine Zeit. Und scharf darauf, live zu spielen, ist er wohl auch nicht, was man ja verstehen kann. Und so kommt dann ein Comeback von Spliff nicht zustande.

 

Was ist aus dem "Bockx auf Spliff"-Projekt geworden?
Wie gesagt: Dadurch, dass die rechtliche Seite noch nicht ganz geklärt ist, konnte ich das Material nicht veröffentlichen, sonst wäre das schon längst passiert.

 

Man kann also sagen, dass das Projekt nicht mehr existiert.
Nein, leider existiert es nicht mehr. Mit dem Gitarristen, der da mitgespielt hat, spiele ich jetzt im November drei Gigs in der Pfalz. Da machen wir so was auch.

 

Gehen wir mal etwas weiter in der Zeit zurück: Deine erste Station als Musiker - zumindest steht es so geschrieben - war Lokomotive Kreuzberg...
Davor habe ich natürlich schon in einer Amateurband gespielt.

 

Das wäre auch meine Frage gewesen: Was hast Du davor gemacht und welche musikalische Ausbildung hast Du?
Ich bin auf ein musisches Gymnasium gegangen, und da war Musik sehr wichtig. Da habe ich auch Notensätze und all sowas gelernt, und sehr lange Cello und Klavier gespielt. Klassisch halt. Ich habe erst mit 16 angefangen, Gitarre zu spielen und habe mit 18 in einer Band gespielt. "Pozzokko" hieß die (lacht). Du musst Dir vorstellen, das war Ende der 60er / Anfang der 70er, und wir haben von Anfang an schon versucht, eigene Stücke zu machen. Wir mussten natürlich auch andere Songs nachspielen, damit wir zum Tanz aufspielen konnten. Wir haben aber hauptsächlich versucht, unser Ding und unseren Weg zu finden. Wir haben insgesamt vier Jahre zusammen gespielt und Rockmusik gemacht. Dann bin ich nach Berlin gegangen. In den letzten beiden Jahren haben wir sehr viel "frei" gespielt. Wir sind auf die Bühne gegangen und haben einfach losgelegt, was man damals noch konnte, und haben dabei viel experimentiert. Heute geht das ja leider nicht mehr. Die Besetzung bestand aus einem Bassisten, einem Schlagzeuger und aus mir, dem Gitarristen. Wir haben immer wieder mal andere Musiker dazubekommen, die immer besser waren als wir, und so konnten wir in diesen vier Jahren wirklich viel lernen. Damit konnte ich dann später in Berlin schon etwas anfangen. Das war eine gute Zeit und für mich sehr wichtig, weil in der damaligen Zeit noch keine kommerziellen Zwänge da waren, auch im Radio nicht. Damals war's einfach noch so, dass der DJ alles quer durch's Gemüsebeet gespielt hat. Die Hauptsache war, es war neu und irgendwie interessant. Auch von daher war es eine sehr interessante Zeit. Davon konnte ich später für mich sehr viel verwenden.

 

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Wie bist Du dann zu Lokomotive Kreuzberg gekommen?
Ich bin damals nach Berlin gegangen, um Cello zu studieren. Ich war dann schon eine ganze Weile in Berlin. Anfangs dachte ich: "Jetzt kommst Du ins große Berlin, da sind die Musiker ganz toll", und wurde dann leider sehr enttäuscht. Ich war in den Proberäumen unterwegs, habe gesucht und gesucht, und irgendwie keine gute Band zusammen bekommen. Nach einem halben oder ¾ Jahr hatte ich dann ein Angebot von der "Lok". Die suchten damals einen Gitarristen. Das hat dann geklappt und ich war plötzlich Berufsmusiker.

 

Nun war Lok nicht gerade die Band, die man sich in den 70ern in die kuscheligen TV-Sendungen der damals üblichen zwei Sender eingeladen hat...
(Potsch lacht) Wir waren öfter im Fernsehen, sind aber oft auch wieder rausgeschnitten worden.

 

Wie habt Ihr auf Euch aufmerksam machen können und wie habt Ihr versucht, deutschlandweit Fans zu gewinnen?
Wir haben das selber organisiert. Was für uns ganz wichtig war, war eine Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft. Die IG Metall hat mit uns zwei Jahre lang zusammen gearbeitet. Die machten im Oktober oder November immer einen Jugendmonat, zu dem sie eine Band eingekauft haben, die dann eine 30 Tage Deutschland Tournee gemacht hat. Die Gewerkschaft hat die Leute herangekarrt und wir haben gespielt. In Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft haben wir Theaterstücke mit Musik gemacht. Es hieß ja auch "Rock'n Roll Theater" und wir waren 1976 und 1977 eine publikumsstarke Band. Wir hatten einen Schnitt von 800 oder 900 Leuten. Die Scorpions waren damals noch nicht so gut besucht (lacht).

 

Du bist - glaube ich - bis zum Schluss dabei geblieben, oder?
Ja, stimmt.

 

Warum hat sich die Band dann aufgelöst?
Weil wir quasi Berufsverbot hatten. Wir durften nicht im Fernsehen und im Radio gespielt werden. Irgendwann hatte auch die Gewerkschaft gesagt: "Wir können nicht immer mit der gleichen Band arbeiten." Wir hatten uns damals überlegt, dass wir um zu überleben drei Bands hätten machen müssen. Eine reine Theatergruppe, eine reine Musikgruppe und das, was wir eigentlich wollten, nämlich Musik-Theater. Und das war nicht machbar. Wir haben dann beschlossen, aufzuhören. Das waren wirtschaftliche Zwänge.

 

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Zwischen dem Ende von Lok und dem ersten Album der Nina Hagen Band lag eine etwas längere Zeit...
Findest Du?

 

Naja, so lang war's nicht, stimmt schon. 1977 war das Ende von "Lok", und 1978 kam schon die Platte der Nina Hagen Band...
Das war ein total fließender Übergang. Wir haben Ende 1977 mit Lokomotive Kreuzberg für 10 Tage hier in Berlin im "Quartier Latin" gespielt und hatten dabei einen absoluten Zuschauerrekord. Da waren 8300 Leute da, auch Nina! Ich hatte im Sommer des gleichen Jahres Nina kennengelernt und wir haben später mit ihr die Nina Hagen Band gegründet. Manne Praeker und Herwig Mitteregger spielten mit mir schon zusammen bei "Lok" und in der Zeit habe ich auch Reinhold kennengelernt. Wir haben dann später zusammen mit Nina die Nina Hagen Band gegründet. Während wir noch die Abschiedskonzerte mit "Lokomotive Kreuzberg" gespielt haben, hatten wir schon die Hälfte der Songs für die erste "Nina Hagen Band"-Platte geschrieben. Von daher war das ein fließender Übergang.

 

Ich habe gehört, und damals auch schon mit Herwig drüber gesprochen, dass Ihr zu dieser Zeit auch Kontakt zu den aus der DDR ausgereisten Musikern hattet, die in Berlin gewohnt haben, z.B. Renft, Christiane Ufholz, etc. Gab es da Ideen, mit denen was zusammen zu machen?
Nachdem Klaus Renft rüber kam, hat er vom SFB quasi einen Filmauftrag bekommen. Es sollte eine Sendung über ihn, mit ihm und von ihm entstehen. Dazu brauchte er Musiker, die ihm Songs schreiben und mit ihm zusammen spielen. So habe ich ihn kennengelernt. Ich war vorher schon sehr viel im Osten unterwegs, weil meine damalige Frau daher kam. Daher kannte ich auch viele von denen schon, die später in Westberlin gelebt haben. Über ihn habe ich Reinhold und Nina kennengelernt. Ich war irgendwann bei Klaus und da saß dann Nina und hat mir "Naturträne" vorgetragen. Da ich ja wusste, dass die "Lok" aufhören würde und ich schon ein halbes Jahr wie ein Wahnsinniger nach Musikern gesucht hatte, damit ich weitermachen kann, war nach diesem Treffen klar, was ich nach "Lok" machen kann, denn sie suchte eine Band und ich hatte eine.

 

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Also habt Ihr praktisch für eine Fernseh-Geschichte mit Klaus Renft zusammen gearbeitet und dann die Nina Hagen Band gegründet?
Das mit Renft hat überhaupt nicht geklappt. Das ging irgendwie kläglich in die Hose, weil der Kollege nicht Bass spielen konnte (lacht). Ich weiß nicht mehr genau, warum es nicht geklappt hat, ich weiß nur, dass Renft, ein Schlagzeuger, Reinhold und ich im Proberaum waren und wir den Schlagzeuger leider dazu verdonnern mussten, dass er mit dem Bassisten ein bisschen übt. In dieser Zeit haben Reinhold und ich in der anderen Ecke vom Proberaum zweistimmige Soli improvisiert, was ja dann später bei der Nina Hagen Band ein ziemlich wichtiges Merkmal war. Da haben wir beschlossen, dass wir unbedingt zusammen arbeiten müssen.

 

Hast Du damals von den andern musikalischen Projekten der Ost-Kollegen mitbekommen, z.B. von der Gruppe Windminister?
Oh, ja! Aber da ist ja leider nicht viel passiert. Christiane Ufholz habe ich damals auch kennengelernt. Die war dufte, eine ganz tolle Sängerin, die aber leider, aus welchen Gründen auch immer, kein Bein auf den Boden bekommen hat.

 

Mit der Nina Hagen Band ging das ja dann recht flott aufwärts. Wie ist die Band damals überhaupt an den Deal mit der CBS gekommen? Punk war zu dem Zeitpunkt in Deutschland noch absolutes Neuland...
Naja, Punk war das nicht wirklich, was wir gemacht haben...

 

Nein, aber die Musik hatte schon ein paar Punk-Einflüsse...
Für Punk war unsere Musik viel zu kompliziert. Nina sah aus wie ein Punk, aber das war schon alles. Den Plattenvertrag mit der CBS hatte Nina damals schon in der Tasche, noch bevor wir dazu kamen. Nachdem wir uns mit ihr zusammen getan haben, haben wir einen separaten Vertrag mit der CBS bekommen, den wir, nachdem Nina abgehau'n war, soweit ändern konnten, dass das für uns in Ordnung war. Das wäre fast in die Hose gegangen. Dadurch, dass CBS damals noch eine Platte von uns, also der Nina Hagen Band, wollte, die damals zwar schon fertig geschrieben aber noch nicht aufgenommen war, hatten wir ein Druckmittel, um die ganzen schlechten Passagen aus dem Vertrag herausstreichen zu lassen. Der damalige A&R-Chef der CBS, Jochen Leuschner, der später Chef der Sony wurde, fuhr damals sehr auf uns ab. Er wusste, was er mit uns hatte, und er hat uns innerhalb der Firma immer sehr gut unterstützt.

 

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Zwischen 1978 und 1985 hast Du mit der Nina Hagen Band und später mit Spliff eine ganze Menge erlebt. Beide Bands waren sehr erfolgreich und mit beiden Bands ging's dann ziemlich schnell zu Ende. Rückblickend auf diese Zeit: Würdest Du heute alles so noch einmal machen oder etwas ändern wollen?
Also, dass es mit Spliff schnell zu Ende ging, würde ich so nicht sagen. Das hat ja immerhin fünf Jahre gehalten.

 

Für den Fan war das aber schon so, denn nach der ´85er LP "Schwarz auf Weiss" war plötzlich Schluss...
Fünf Jahre ist nicht so dolle, aber immerhin. Ich würde heute nichts ändern und alle getroffenen Entscheidungen so noch einmal treffen. Es war eine Superzeit. Sie war zwar auch wahnsinnig stressig, aber trotzdem schön. Irgendwann ging sie zu Ende und dann war's auch zu Ende. Ich habe auch nicht das Gefühl, dass das unbedingt hätte anders sein müssen. Das hat sich halt alles so entwickelt. Wenn man mal überlegt: Herwig, Manne und ich hatten damals schon 12 Jahre zusammen gearbeitet. Das ist ja wie eine Ehe. Irgendwann hat einer oder zwei die Schnauze voll und will etwas anderes machen. Wir hatten damals die Einstellung, dass es, wenn einer von uns die Band verlässt, kein Spliff mehr gibt. Aus heutiger Sicht war das ein bisschen bekloppt, denn wir hatten uns etwas erarbeitet, das man mit einer anderen Besetzung sehr gut hätte weiterführen können. Wir hätten halt nur ein bisschen suchen müssen. Möglich wäre das schon gewesen, aber bei uns war's halt nicht möglich.

 

Nach Spliff hast Du die Hände ja nicht in den Schoß gelegt. Was hast Du zwischen 1985 und 1988, also dem Ende von Spliff und dem Album der Gruppe Froon, gemacht?
Nach Spliff kam direkt Froon, da gab es nichts anderes. Wir haben an dem Album vorher sehr lang' gearbeitet. Wir haben uns 1985 alle, auch mit Herwig, getroffen und mit dem englischen Sänger Lyndon Connah gearbeitet. Herwig hat dann irgendwann beschlossen, dass er nicht mehr weiter mitmacht. Das mussten wir erstmal verarbeiten. Zu dem Zeitpunkt gab es auch erst nur zwei oder drei fertige Songs. Nach Herwigs Ausstieg mussten wir weiter Songs schreiben und die dann auch aufnehmen. Wir waren allein 1 ½ Jahre im Studio, weshalb die Platte auch so überperfektioniert ist.

 

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Du hast ihn gerade schon angesprochen, Lyndon Connah: Wer hatte überhaupt die Idee zu Froon und wie seid Ihr damals auf Lyndon Connah gekommen?
Wie wir genau auf Lyndon aufmerksam wurden, weiß ich gar nicht mehr. Wir hatten quasi mit der Plattenfirma zusammen nach einem Sänger gesucht. So kam das - glaube ich - zustande. Wir wollten etwas ohne Herwig machen und keiner von uns wollte singen. Wir wollten auch mal einen richtig tollen Sänger haben (lacht). Darum haben wir einen gesucht. Über Lyndon kam dann auch noch ein Trommler und Percussionist dazu (Mark F. Pound III, Anm. d. Verf.), der auch ziemlich gut war.

 

Ein Album und mit "Bobby Mugabe" einen kleinen Hit. Warum ging's mit Froon nicht weiter?
Weil's doch irgendwie künstlich war, also es war kein Live-Projekt. Ich wohnte damals ja schon in Spanien und hatte nach Froon überhaupt keinen Bock mehr. Ich hatte die Schnauze voll von der ganzen Karriere-Hechelei. Ich wollte nur noch mit meiner Familie zusammen sein und eigentlich auch mal etwas ganz anderes, also andere Musik machen. Das hab' ich dann ja auch gemacht.

 

Ihr seid irgendwie alle, bis auf Reinhold, nach Südeuropa abgedampft...
Ja, Herwig und ich hat's nach Spanien verschlagen und Manne ist nach Portugal gezogen. Da wohnt er immer noch.

 

Wie kam es dazu, dass Ihr in Länder gezogen seid, wo andere Urlaub machen?
Bei Herwig weiß ich es nicht genau. Ich denke, weil's ihm da unten auch sehr gut gefallen hat und er mal weg wollte. Bei mir war's so, dass ich ein alter Naturfreak bin. Ich war 1981 das erste Mal dort und habe mir in einem Anfall von Wahnsinn ein Grundstück im dortigen Nationalpark gekauft und wusste gar nicht, was ich damit anfangen soll. 1985 stand dann da plötzlich ein Haus und ich bin 1986 dahin in die Einsamkeit gezogen. Die ersten beiden Jahre musste ich noch unheimlich oft nach Berlin fahren, um an Froon und der CD zu arbeiten. Danach blieb ich ganz in Spanien.

 

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Im Jahre 1990 gab es dann nochmal ein "neues" Spliff-Album. Allerdings ohne neue Lieder, lediglich mit Remix-Versionen einiger Spliff-Songs. War die Band daran aktiv beteiligt, oder war das ein Projekt der Plattenfirma?
Das war ein Projekt der Plattenfirma, aber es gibt auch zwei oder drei Remixe auf der Platte, die Reinhold gemacht hat.

 

Wann bist Du wieder zurück nach Deutschland gekommen?
Das war 1990.

 

Warum hat's Dich da unten nicht gehalten?
Das Problem war, dass meine Ehe auseinander geflogen ist, und ich da unten nicht alleine mit zwei Kindern bleiben wollte.

 

Ich habe gelesen, dass Du dann später ins Berliner Umland gezogen bist, Dir dort ein neues Studio aufgebaut und als Produzent gearbeitet hast.
Das war viel später. Das Studio habe ich erst seit vier Jahren. 1990 habe ich angefangen, mich wieder zu ordnen. Mir ging es aufgrund der Situation damals auch ziemlich beschissen. Ich habe angefangen zu suchen, was ich wirklich machen will. Dabei sind auch meine klassischen Wurzeln wieder freigelegt worden. Ich habe dann eine Platte produziert, die heißt "Far from Spain". Das war meine erste Instrumentalplatte, die ich aber nie veröffentlicht habe. Damals stand ich noch ein bisschen neben mir. Instrumentals zu machen, ist nicht leicht, da muss man zuerst ein bisschen forschen. Ich hatte da eine ganz grelle Mischung. Da war von Jazz über Punk bis zu Rock und Pop alles vertreten und am Ende eigentlich nicht verkäuflich (lacht). Deswegen habe ich sie gar nicht erst veröffentlicht, bei der Produktion zu der Platte aber viel gelernt. Ich habe danach eine Zeit gebraucht, um mich zu finden und nach drei Jahren war mir klar, worum es ging und ich habe 1995 bei BSC meine erste Platte "The Journey" veröffentlicht. Ich bin im Instrumentalbereich gelandet und die erste Platte war so eine therapeutische Geschichte. Wie gesagt, mir ging es damals nicht gut, und ich habe deshalb versucht, eine Art Musik zu machen, die einen zur Mitte führt. Das Erstaunliche war, dass das auch funktioniert hat, nicht nur bei anderen Leuten, sondern auch bei mir. Das hat mich zuerst sehr erschreckt. Ich bin bis dahin von diesem Aspekt noch nie ausgegangen, was Musik in dieser Richtung alles kann. Das war für mich erstmal sehr faszinierend und erschreckend zugleich. Ich hatte da ein Stück geschrieben, wo ich anschließend dachte: "Das kann gar nicht von mir sein, das ist viel zu gut." Das hat mich so erschreckt, dass ich erstmal ein ¾-Jahr aufgehört und an anderen Sachen gearbeitet habe. Dabei hatte ich das aber immer im Hinterkopf und merkte, dass ich mich einfach nur hinsetzen und schreiben muss, dann geht das schon. Das war ein ganz wichtiger Punkt und Erkenntnis für die Kreativität, denn seitdem habe ich in dem Bereich nie wieder Probleme gehabt. Ich setze mich an meinen Arbeitsplatz und dann geht's los. Von daher war "The Journey" eine meiner wichtigsten Platten, weil die mich davon befreit hat, irgendwelche Angst zu haben. In die Richtung habe ich dann auch weitergearbeitet. Die erste Platte habe ich ganz alleine gemacht, und bei der zweiten Platte "Vamos" dann auch wieder mit anderen Leuten gearbeitet. "Vamos" ist eine musikalische Reise von Berlin nach Gibraltar. So ging das dann immer weiter. Danach kam das Album "Sahara", anschließend kamen dann die Platten mit Nasser Kilada, die ich mit ihm zusammen komponiert habe, und das Album "Mystics Of Arabian Reality", das ich wieder ganz allein gemacht habe. In der Zwischenzeit habe ich "Gitarra Pura" gemacht und verschiedene andere Sachen produziert und jetzt das ganz neue Album fertig gestellt.

 

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Und wann war das mit Deinem neuen Studio genau?
Also ein eigenes Studio habe ich schon seit 1994. Bereits 1997 oder 1998 hatte ich ein eigenes großes Studio in Berlin-Tempelhof, später eins in Heiligensee. Vor vier Jahren bin ich ein paar Kilometer außerhalb von Berlin in einen Wald gezogen und habe mir dort ein schönes kleines neues Studio aufgebaut, wo ich wunderbar im Grünen arbeiten kann.

 

Als Solist, inkl. Projekte, hast Du inzwischen fünf Alben veröffentlicht, das sechste steht - wie eingangs schon drüber geplaudert - in den Startlöchern...
Ja, ich arbeite inzwischen sogar schon am übernächsten! Ungefähr 2002 habe ich für das Brandenburger Orchester eine Sinfonie geschrieben, die heißt "Sinfonia Iberica". Das ist ein abendfüllendes Programm für eine arabisch/spanische Band mit Orchester. Leider kam es nie zur Aufführung, weil plötzlich im Haus ein 300.000 Euro großes Finanz-Loch entdeckt wurde, und die hauseigenen Produktionen, bei denen auch meine war, gestrichen wurden. Dieses Programm bearbeite ich gerade, um es dann evtl. zu veröffentlichen.

 

Wie entstehen Deine Musiken und Alben eigentlich? Hast Du immer ein bestimmtes Thema, das Du dann aufgreifst, oder sammelst Du unterschiedliche Ideen für ein Album?
Das ist unterschiedlich. Bei der neuen Platte, die noch nicht veröffentlicht ist, bin ich durch einen Sänger, mit dem ich das buddhistische Gebet aufgenommen habe, auf die Idee gekommen, dass ich mal alte Texte vertonen und darum eben mal mit Sängern arbeiten könnte. Da ich vorher fast ausschließlich nur noch instrumental gearbeitet habe, wollte ich mal wieder mit Sängern arbeiten. So kam die Idee und ich begab mich auf die Suche. Es ging dann verhältnismäßig schnell, dass ich fünf weitere, hervorragende Sänger gefunden habe, die auch alle sehr begeistert von meiner Idee waren und davon, dabei mitzumachen. Ich glaube schon, dass das auch das Beste ist, was ich bisher hinbekommen habe, vor allem auch soundtechnisch.

 

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Sind Du und die anderen Spliffer eigentlich noch in regelmäßigem Kontakt? Beobachtest Du, was Deine Kollegen beruflich so treiben?
Ja, so ungefähr.

 

Und wie sieht's mit anderen Kollegen aus der damaligen Berliner Szene aus? Das war ja damals eine große Familie und irgendwie hatte da jeder mit jedem irgendwann mal zu tun. Sind da noch Kontakte, die nach wie vor bestehen?
Ja, ein paar gibt's noch. Je nachdem. Es sind noch einige lose Kontakte da. Manchmal trifft und sieht man sich auch mal. Überwiegend ungeplant, was natürlich dufte ist. Z.B. mit dem Keyboarder von der "Lok" habe ich noch Kontakt. Da sind schon noch so einige vorhanden. Viele sind inzwischen ja auch weg. Manche sind z.B. auch schon verstorben, das kommt dummerweise auch vor.

 

Spliff war in den 80ern an vielen Produktionen beteiligt, denke ich da an Nena oder Die Ärzte. Eine Zusammenarbeit hat aber gefehlt, nämlich die mit Annette Humpe. Hat's da vielleicht sogar mal Überlegungen gegeben, etwas gemeinsam zu machen?
Nein. Obwohl wir Kontakt mit Annette hatten, war diese Überlegung nie da. Das ist jetzt aber eine rein theoretische Überlegung von Dir, oder (lacht)?

 

Ja klar! Das wär's doch gewesen… Ideal und Spliff mal verknüpft zu sehen und zu hören...
Die Idee ist uns allen aus den verschiedensten Gründen irgendwie nicht gekommen.

 

Wir haben ja über Spliff und den Versuch Anfang 2000, die Band wieder an den Start zu bringen, schon gesprochen. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass Potschka, Praeker, Heil und Mitteregger nochmal gemeinsam als Spliff auf einer Bühne stehen werden?
Man soll ja nie "NIE" sagen aber ich würde sagen, die Wahrscheinlichkeit liegt bei 0,1 Prozent. Übrigens wird es 2010 noch eine "30 Jahre Spliff"-Veröffentlichung von SONY geben. Das werden zwei CDs sein, auf denen natürlich die bekannten Songs drauf sind. Auf der zweiten CD sind dann aber auch Sachen drauf, die so bisher noch nicht veröffentlicht wurden, u.a. Filmmusik und Musik aus "Tatort"-Folgen. Das wird für die Fans bestimmt eine interessante Sache.

 

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Du hattest im Verlauf des Gesprächs ja schon gesagt, dass Du gerne mal wieder live spielen möchtest. Trittst Du vielleicht mit dem neuen Programm oder einem der nächsten Programme live auf?
Ja, ich hoffe! Mein Problem zur Zeit ist aber, dass ich für die neue CD einen Vertrieb suche. Die letzten beiden Platten habe ich selbst ohne Werbe-Budget veröffentlicht. Das geht dann natürlich kläglich unter...

 

Deswegen sind diese beiden letzten CDs von Dir auch komplett an mir vorbei gegangen...
Bei Amazon oder I-Tunes steht das alles, aber das muss man dann auch erstmal wissen. Die wird dort verkauft, aber das kann man vergessen. Ohne wirkliche Werbung geht das unter. Deswegen möchte ich das mit der neuen CD ganz anders machen. Es geht dabei natürlich auch darum, dass ich diese Platte sehr gerne live aufführen würde. Das ist ein größeres Projekt, ich habe alleine vier Trommler dabei. Das ist also mindestens eine acht bis neun Mann starke Band plus Sänger. Das ist ein großer Aufwand, und ich muss deshalb jemanden finden, der auf dieser Ebene arbeiten kann. Das ist ziemlich spannend und ich habe im Moment noch keine Ahnung, was dabei heraus kommt.

 

Ich drück' Dir auf alle Fälle die Daumen!
Danke schön!

 

Damit sind wir am Ende unseres Gesprächs angelangt. Möchtest Du abschließend noch ein paar Worte an unsere Leser richten?
Natürlich wäre ich glücklich, wenn Leute meine CD kaufen und sie ihnen gefällt. Was ich heute mache, ist eine sehr spezielle Kiste und die gefällt nicht jedem, weil das stellenweise sehr fremd ist, das weiß ich. Es ist eine moderne Weltmusik und ich würde mich freuen, wenn jemand einen Zugang dazu finden würde. Ich kann sie nur jedem empfehlen.

 

Interviews: Christian Reder
Bearbeitung: kf, cr
Fotos: Bernhard Potschka privat + Pressematerial, Jim Rakete

 

 

 

 


   
   
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