Christian Haase

 

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Was kann man über einen Musiker schreiben, über den schon so viel geschrieben wurde? Christian Haase ist - solo oder mit Band - bei "Deutsche Mugge" ja schon lange kein Unbekannter mehr. Zahlreiche Live-Berichte gibt's über den Mann hier bereits, und viele seiner Konzertbesucher sind sich einig, dass in ihm eine ganze Menge Gundermann steckt. Aber Haase ist Haase, und nicht Gundermann, und das kann man in seinen Konzerten ganz besonders gut hören und auch sehen. Zwar hat er Gundis Lieder selbst interpretiert, hat dabei aber nicht seinen Stil kopiert oder versucht, in Gundis "Teich" zu fischen. Haase hat seinen ganz eigenen Stil und viele eigene Lieder. Der 28-jährige Sänger ist dabei ein Star zum Anfassen, sympathisch und stets gut gelaunt, wenn er auf der Bühne sein Programm zum Vortrag bringt. Dabei sucht er immer wieder die Nähe zum Publikum. Doch was ist Christian Haase eigentlich? Ist er ein Liedermacher? Ein Rocker oder Popper? Man kann sagen, dass Haase vielseitig ist, und dass man das auch in seiner Musik hören kann. Und dass man ihn wirklich nicht in eine Schublade stecken kann, kann man auch in dem folgenden Interview gut herauslesen. Die Zeiten der "bunten Möhren" sind vorbei, denn jetzt haben wir die "Besseren Zeiten". Was wir Euch damit sagen wollen? Lest selbst...
 

 

Fangen wir mal beim Anfang an. Man hat ja schon das Gefühl, dass Du schon als Junger Pionier auf der Bühne gestanden hast. Obwohl ich gar nicht weiß, ob Du überhaupt Junger Pionier warst. Da müsste ich jetzt rechnen.
Man kann schon sagen, dass ich noch Jungpionier war. Leider habe ich das Rote Halstuch um ein Jahr verpasst.
 
 

Das ist ja tragisch.
Ich war auch sauer. Die Mauer fiel. Es kam die Wende.

 

Und Du warst in Leipzig, Du hättest das Rote Halstuch in der Iskra-Gedenkstätte gekriegt (Lenin-Gedenkstätte).
Ich weiß nicht mal mehr, wo ich mein blaues gekriegt habe. Das war in irgendeinem sozialistisch eingerichteten Raum, so schön mit Fahnen hinten in der Ecke. Und dort bekamen wir das erste Mal gezeigt, wie man den berüchtigten Halstuchknoten macht.

 

Den habe ich auch nie gekonnt. Ich habe immer die Mädchen in meiner Klasse um Hilfe gebeten. So habe ich mir meine ersten erotischen Kontakte organisiert.
Wozu so ein Halstuch alles gut sein kann...

 

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Aber das wollte ich doch alles gar nicht wissen von Dir. In welcher Klasse hast Du damit angefangen, Gitarre zu spielen?
Wo ist man denn, wenn man 9 ist?

 

Vermutlich 3. Klasse.
Dann war das in der 3. Klasse. Meine Mutter meinte, ich sollte mir ein Hobby suchen. Ich bin ja in Leipzig-Grünau aufgewachsen und da hatte man dann nach der Wende große Sorgen, dass man in solchen Plattenbauten mal in einen so genannten sozialen Brennpunkt fällt. Denn das hatte man schon mal gehört, dass das entstehen kann in diesen Trabanten-Neu-Städten. Ich hatte damals die Auswahl, entweder Tanzen zu lernen oder Gitarre zu spielen. Damals hatte ich mich fürs Tanzen lernen entschieden. Aber dann stand meine Mutter plötzlich mit meiner angehenden Tanzpartnerin in der Stube - und so hatte ich mich doch lieber fürs Gitarrespielen entschieden. Dafür musste ich immer drei Stationen mit der Straßenbahn zu Roland fahren. Nach zwei bis drei Jahren habe ich dann mal zu ihm gesagt: Das ist ja alles ganz nett mit den ganzen Etüden und so, aber meine Mama will, dass ich ihr "Sag mir, wo die Blumen sind" vorspiele. Da sagte er: Das hättest du gleich mal sagen können, denn du lernst ja gerade klassische Gitarre. Dann hat er mir ein paar Griffe gezeigt. Das ging auch ganz schnell ganz gut und dann habe ich auch gleich aufgehört. Seitdem bin ich auf der Gitarre wirklich besser geworden, aber, ja... ich war also neun.

 

Du hast also Gitarre gelernt, bis Du "Sag mir, wo die Blumen sind" spielen konntest und dann war es das?
Nein. Frag mich nicht warum, aber ich habe dann gleich damit angefangen, eigene Songs zu schreiben.

 

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Wie alt warst Du da?
Zwölf. Mit zwölf hatte ich meinen ersten Titel gemacht. "Heute für morgen", ein Umweltlied. Das habe ich meiner Mama vorgespielt. Die fand das ganz toll. Dann haben wir das auf Kassette aufgenommen und haben das an den Radiosender PSR geschickt. Die hatten gerade so eine Aktion laufen. "Selber singen Hitparadenservice" oder so. Man konnte da also sein Zeug hinschicken. Es wurde auch gesendet. Ich habe aber nicht gewonnen, weil es damals schon dasselbe Problem war wie heute: Es war nicht witzig. Alle, die etwas Witziges gemacht haben, haben irgendetwas gewonnen, aber ich war zumindest schon mal im Radio. Mit zwölf. Und das hat mein damaliger Musiklehrer im Radio gehört und hatte gemeint, ich müsste jetzt damit durch die Klassen ziehen und das vorsingen.

 

Also Agit-Prop für die Schule: Wir haben jetzt ein Wunderkind.
Ungefähr so. Das war meine erste Tournee. Durch die Klassenzimmer. Ja, und in irgendeiner Schulklasse haben wir einen Livemitschnitt gemacht. Klassisch mit Kassettenrecorder. Und mit Applaus. Ich weiß noch, dass ich mich dann zu Hause hingesetzt habe und den Applaus immer wieder umkopiert habe, bis er dann dreimal so lang war. Und dann habe ich von einem Deep-Purple Live-Konzert den Applaus auch mit untergemischt. Ich saß also in meinem Zimmer, habe mein Lied gehört und danach gab es fünf Minuten Mega-Applaus. Das war cool. Und da hatte jemand in meiner Klasse gesagt: Mensch, mach doch mal eine Band auf. Ich wusste ja nicht, was das bedeutet. Die Idee klang ja nicht schlecht. Ich hab dann gefragt, was man dafür braucht. Naja, Schlagzeug, Bass, Gitarre. Da fiel mir einer ein, der Schlagzeug spielen konnte. Den habe ich gefragt. Der wollte auch. Der Bass war schwierig. Da habe ich auf der Hofpause einen angehauen, ob er nicht Bass spielen will. Er sagte, er kann das nicht. Ich meinte, na, so schwer wird das doch nicht sein. Ich bring dir das bei. Und dann haben wir uns getroffen und haben angefangen zu machen. Das war meine erste Kapelle.

 

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Und wie hieß die Band?
Ich gab ihr etwas später den Namen "The Coloured Carrots".

 

Was heißt das denn?
Die bunten Möhren. Auf die Idee bin ich gekommen, weil damals bei "Viva" vor der Werbung immer so buntes Gemüse herumflog. Und danach kam der Werbeblock. Unter anderem waren da auch bunte Möhren dabei. Ich dachte, das passt auch gut zu "Haase". Frag mich nicht, warum. Aber das war dann so. Bis 1997.

 

Das ist jetzt gerade mal zwölf Jahre her...
Ich habe ja nächstes Jahr bereits mein fünfzehnjähriges Bühnenjubiläum. Aber wir springen in der Zeit...

 

Genau. Wir sind jetzt noch bei Haase und seinen bunten Möhren. War die Band dann einfach mit der Schulzeit vorbei oder hat sich das anders erledigt?
Nein, die Schule war 1999 vorbei. Das hatte sich selbst erledigt. Und zwar so: Die von dem Studio, in dem wir unsere Demoaufnahmen gemacht haben, fanden das cool, was wir gemacht haben und hatten uns einen Single-Vertrag angeboten. Wir waren ja alles total junge Hüpfer und vorallem minderjährig. Das heißt, da saßen die Produzenten, unsere Eltern und wir in der Kneipe und haben die Verträge dafür beschlossen. Ja, und dann haben wir dort die ersten Aufnahmen gemacht. Dafür wollten wir noch ein bisschen proben und während dieser Probenzeit ist ein furchtbarer Streit entbrannt. Dabei ging es um die Texte. Die Band wollte immer die Texte von dem Gitarristen machen. Die waren auf Englisch und waren überhaupt nicht meins. Ich wollte lieber meine Texte machen und deutsch singen. Wir haben uns so gestritten, dass ich die Tür zugeknallt und gesagt habe: Ich gehe jetzt. Und damit war das dann auch zu Ende. Ich bin dann ins Studio gegangen und habe denen gesagt: Ist nicht, denn die Band ist nicht mehr. Und dann haben die gesagt: Ist okay, du hast zwei Wochen Zeit, such dir neue Leute. Das hab ich geschafft. So entstanden dann Aufnahmen - und "The Coloured Carrots" gabs nicht mehr. Wie nennt man es dann? Ich bin Haase und hab ne Band: Also Haase und Band. Und so ging es dann los mit "haase&band".

 

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Und das war dann schon die Besetzung, die man später kannte oder eine andere?
Das war Martin Günther an der Gitarre. Der war auch Praktikant damals in dem Studio. Das Schlagzeug hatte Daniel Zehe gespielt. Der war damals sehr jung, aber das war irre, was der gemacht hatte. Er ist heute immer noch der beste Schlagzeuger in Leipzig. Am Keyboard war Andreas Schmolke. Der war schon ein bisschen älter und hatte bei der Leipziger Wohnungsbaugesellschaft gearbeitet. Er hatte mit seiner damaligen Band in dem Studio aufgenommen und so kamen wir zusammen. Und Schröder an der Geige - Stephan Klingner. Da bin ich mal spazieren gegangen und da war so ein Wahlrockklamauk von irgendeiner Partei. Und ich fand diesen Typen witzig, wie er da so mit seiner Geige herumhandwerkte. Daraufhin habe ich ihm meine Visitenkarte nach oben gereicht und hab großkotzig gesagt: Ruf mich mal an, es geht um eine Plattenproduktion. Und bin weitergelaufen. Und der rief dann wirklich irgendwann mal an. Die Plattenproduktion war ja dann nur das Demo, das wir gemacht hatten, aber immerhin. Und am Bass Carsten Hänel. Der war damals, glaube ich, so Mitte zwanzig, hatte lange blonde Haare bis zum Arsch. Dann ist Daniel Zehe irgendwann mal raus, weil ich die Tür vom Probenraum eingetreten habe. Da war er sauer. Andreas hatte zuviel gearbeitet. Da war keine Zeit mehr. Dafür kam dann Roman Petermann ans Klavier. Später kam dann Denise Janus am Saxophon. Das ging also alles dann hin und her, das kann man auch alles nachlesen (www.haase-band.de, Bandgeschichte). Irgendwann waren es nur noch Günni, ich, dann kam der Hristo Hristov als Saxophonist, Rainer Schön war der neue Pianist und am Schlagzeug war dann Schwapp.

 

Wer?
Sebastian Haak. --- Und so haben wir schon eine ganze Weile Musik gemacht.

 

Und die Band ist zum größten Teil längere Zeit dieselbe geblieben?
Wenn Du das so sagen willst, stimmt das schon.

 

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Diese berühmten Besetzungswechsel, sind die wirklich einfach nur so passiert oder lag es vielleicht auch teilweise daran, dass mit der Zeit qualitative Veränderungen andere Mitstreiter brauchten?
Also bei Roman und Denise hatte das berufliche Gründe, dass die raus sind. Und die Band, in der dann Rainer und Hristo mitgespielt haben, die gab es ja dann wirklich sehr lange. Das war bis jetzt die längste. Eine Durchhaltebesetzung.

 

Wie lange gab es diese Konstellation?
Vier Jahre. Genau, vier Jahre. Naja, und dann ging es ja erst los mit diesem stilistischen Mist. Erst gingen Günni raus und Schwapp. Günni konnte mit meiner Musik nichts mehr anfangen, was er mir immer wieder gesagt hat. Vielleicht bereut er das heute auch.

 

Was hat ihn denn gestört?
Günni und ich waren im Prinzip wie ein altes Ehepaar. Das war dann einfach so, dass ich weniger auf ihn hören wollte.

 

Du wurdest beratungsresistenter?
Ja, ein netter Ausdruck dafür. Aber mit so einer Riesen-Wand. Da läuft man dann natürlich dagegen. Also Günni und Schwapp sind raus. Das hat dem Rainer Schön das Herz gebrochen. Der aber trotzdem noch mit dabei blieb. Wir haben uns dann als neuen Schlagzeuger den alten Schlagzeuger geholt, Frank Scheer. Der schon einmal kam, nachdem ich die Tür eingetreten hatte. Und an der Gitarre Ralph Schüller. Das ging aber auch nicht lange gut. Anfang 2006 haben wir so angefangen. Dann haben wir im Sommer als Schnellschuss die "Zwölfeinhalb" gemacht. Und im Sommer 2007 war dann schon wieder alles vorbei. Frank konnte nicht mehr mitspielen, weil er Tinnitus hatte.

 

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Das ist aber auch wirklich eine ganz gemeine Sache.
Absolut. Er hat auch sehr darunter gelitten. Ja, nun hatte es sich so ergeben: Ralph Schüller hatte ja schon immer seine Band und dessen Pianist hatte diese Band verlassen. So hatte er kurzerhand Rainer gefragt, ob er da nicht mitspielen will. Was lag da näher auf der Hand? Und nun hatte diese Band auch noch einen Schlagzeuger. Also haben wir diesen Schlagzeuger bei uns mit integriert. Das ging dann aber so gar nicht. Die Ralph Schüller Band machte alles immer ein wenig ruhiger. Der Schlagzeuger auch. Wir hatten hatten dann einen Open-Air-Auftritt in der Parkbühne Berlin-Biesdorf, 2007, und ich empfand eine Band, bei der ich plötzlich das Schlagzeug nicht mehr hörte.

 

Weil es zu leise war?
Ja, aber nicht weil einer das Mikrofon zu leise gemacht hat oder so, sondern einfach weil da kein Bums war. Jeder guckte in eine andere Richtung, keiner kümmerte sich um irgendetwas. Und ich sang mir da vorne ´nen Aal. Das ärgerte mich. Ich war total wütend über so eine Scheiße. Dann gab es nach also nach dem Konzert auch den Bruch mit dieser Band. Indem ich einen kompletten Schlussstrich gezogen und nur noch Hristo übernommen habe. Dann habe ich mir eine neue Band zusammengesucht.
Kommen wir nun zur Besetzung: Am Schlagzeug spielt Christina Powileit. Der Bassist wechselt immer mal. Gitarre spielt René Schostak und am Saxofon ist ab und an Andy Wieczorek zu hören.

 

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Soweit ich das so mitbekommen habe, waren sehr viele auf die Tina sauer: "Die haut die schönen Lieder kaputt und das geht ja nun gar nicht."
Ja, genau das habe ich auch oft zu hören bekommen. Tina trommelt schon intensiv... die lauteste Snare jenseits des Atlantik. Natürlich waren die sauer. Die schöne Geige weg. Und das schöne Akkordeon weg. Ja, das mag ja alles sein. Aber ich hatte keine Lust mehr auf Geige und Akkordeon. Na, da muss ich aber auch die Konsequenzen tragen. Das ist ja okay. Dann habe ich losgelassen, dass mich das ärgert und hab mir gesagt: Nein, das ist genau das, was ich jetzt machen will. Und da arbeite ich jetzt dran.

 

Ich habe jetzt bei dieser Besetzung mehr und mehr den Eindruck, dass da auch Persönlichkeiten sind in dieser Band, eigenständige Persönlichkeiten, die alle für sich wirken, ohne das Gesamtkonzept zu beschädigen.
Du meinst, darin eine positive Aufwärtsbewegung zu erkennen? Ich denke schon, dass man sich mit einer Band identifiziert. Also wenn man jedes Jahr einen anderen dabei hat, ist das auch doof. Es ist besser, wenn man sagt, man geht heut halt zum Haase, ja dann geht man halt zum Haase und weiß auch, zu wem.

 

Vielleicht wollen die dann aber auch gerne wissen, mit wem Du dann heute mal spielst?
Du kannst definitiv nicht immer wieder mit anderen Leuten spielen. Du kommst dann nicht über 80% von dem, was du bringen könntest. Dann sind 80% plötzlich heute 100%. Das geht einfach nicht. Und das merken die Leute. Dass irgendetwas fehlt. Wenn jeder da oben sitzt und sich nur darauf konzentriert, dass der nächste Ton auch so ist wie er sein soll. Solange keiner den Kopf frei hat dabei und sich sagt: Das kann ich doch im Schlaf, das Ganze und jetzt gebe ich heute noch mal einen drauf. Das ist doch sicher genau das, was die Leute bei so einem Konzert mögen und dass man sich dabei auch mal anschaut und miteinander spielt. Wenn aber jeder denkt, wie war das, kann der nicht mal einfachere Songs schreiben, da kommt natürlich nichts weiter rüber.

 

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Ja, und die Band heißt auch gleich mal anders. Nicht "Haase und Band", nicht "Die Bunten Karotten", sondern "Haase & Die besseren Zeiten".
Es setzt sich schwer durch. Es heißt entweder, wir gehen zu Haase oder wir gehen zu "Haase & Band".

 

Oder wir warten lieber auf bessere Zeiten?
Ja, das sind genau die, die kommen werden. Die besseren Zeiten stehen im Stau. Wir haben gesagt, sie kommen, doch wir wissen nicht, wann genau. Ich weiß, dass es Leute gibt, die sich das Maul darüber zerreißen. Auch über diese Arroganz. Das nervt ja auch vielleicht ein bisschen: Dirk Zöllner und die sieben Sünden, Tino Eisbrenner und die glorreichen Sieben, Haase und die besseren Zeiten...

 

Früher hießen die Bands einfach "Keks" oder so. Kurz, knackig und jeder wusste genau Bescheid.
Dann sagen wir jetzt "Haase & DBZ".

 

Das kann man dann machen, wenn man diesen "GZSZ"-Status hat. Man klatscht den Leuten einfach irgendeine Abkürzung um die Ohren und trotzdem wissen alle genau Bescheid, was los ist.
Ich denke, man kann das auch absichtlich streuen. Man kann ja auch sagen, wir gehen heute mal zu den Zeiten oder so.

 

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Ähnlich wie bei: Wir gehen zu den Stones?
Ja. Oder zu den Scherben. Also die besseren Zeiten nehmen wir uns auch als Motto. Weil wir für uns immer viel Spaß haben damit. Ich denke, das wird. Wenn sich die Leute an den Namen gewöhnt haben, werden wir auch die besseren Zeiten haben vielleicht. Im Moment ist es schwierig, denn man schlägt so ein Programmheft auf in dem Laden, wo man gerade spielt und liest: "Haase & Band", Untertitel: "Die besseren Zeiten". Als wäre das ein neues Programm von uns.

 

Es klingt ja auch wie ein Wahlversprechen. Vielleicht ist es aber auch nur eine Übergangslösung, denn jetzt ist ja auch Andy ab und zu bei Dir - wann spielst Du denn mal als "Haase mit Seilschaft"?
Das habe ich doch letztes Jahr erst gemacht. Wenn Du davon nichts mitbekommen hast, ist das doch Deine eigene Schuld. Es ist total witzig, dass Tina und ich nach der Probe eben noch zusammen saßen und uns genau darüber unterhalten haben. Über die Bandwechsel von Gundermann und dass er mit den Bandwechseln auch immer wieder von vorne angefangen hatte. Und Tina sagte ja auch, dass es wichtig ist, dass wir erst mal keinen Gundermann spielen, um diesen Stempel wegzukriegen.

 

Das hat sie in Ihrem "Rauchzeichen"-Interview bei www.deutsche-mugge.de auch sehr ausführlich erklärt. Auch dass es dabei darum geht, Haase erst einmal Haase sein zu lassen.
Genau. Ja, und dann haben wir uns das erzählt vorhin und Andy saß dabei und nickte und war auch irgendwie damit einverstanden. Da bin ich in ein lautes Prusten ausgebrochen und habe gesagt: Was wirklich witzig ist dabei, dass man irgendwie weggeht von dem Gundermann und guckt mal, wer hier sitzt: die Tina, der Andy und unseren Ton macht Karsten Matschei. Das ist schon witzig. Aber wer weiß, vielleicht musste das so sein. Vielleicht findet sich wirklich, was sich finden muss einfach. Wie kommst Du jetzt eigentlich darauf? Ich hab vor allen Dingen deshalb gefragt, weil Tina, wiederum in diesem Interview nicht ausgeschlossen hat, was vielleicht vor drei Jahren noch unmöglich gewesen wäre. Dass Haase mit der Seilschaft spielt. Aber eben einige von der "Seilschaft" meinten: "Haase - na ja, so ´n Gundermann-Imitator halt". Na, der Andy war ja auch so drauf. Mit ihm hatte ich die erste Berührung halt letztes Jahr, als wir mit der "Seilschaft" fürs Tributkonzert in der Columbiahalle gespielt haben. Man merkt dann, denke ich, schon, dass da keiner kommt, der gar nichts weiß, sondern dass der doch eher seinen eigenen Kopp hat und seine eigene Stilistik.

 

007 20130307 1181238839Und jetzt gibt es in einer wieder etwas neueren Besetzung, wie es klingt, auch ein neues Programm?
Na, ein neues Programm, das klingt immer so blöde.

 

Gut, was kommt also auf uns zu?
Nächstes Jahr habe ich, wie gesagt, mein fünfzehnjähriges Bühnenjubiläum. Dazu möchte ich eine CD machen. Mein großer Wunsch ist es, im Frühjahr die 15 Jahre mit einer Solotournee zu feiern und im Herbst mit einer Band-Tournee. Die neue Scheibe halte ich auch für notwendig, es wird auch wieder Zeit. 2006 war die letzte. Bis 2010 wären das dann vier Jahre. Das ist eine recht lange Zeit. Also ich rede jetzt natürlich von einer CD mit der Band, denn die "Nimmersatt" als Solo-CD gibt es ja auch noch.

 

Du hast Dich ja immer mal in der Schauspielerei ausprobiert? Hast Du so etwas wieder vor?
Ja. Im Moment proben wir für meine Interpretation des "Faust". Die Geschichte ist die: Im Jahr 1999, also vor zehn Jahren, schrieb ich mein Abitur. Unter anderem auch in Deutsch. Und zwar sollten wir zwei Fassungen miteinander vergleichen, die von Goethe und die von Nikolaus Lenau. Dafür habe ich sechs Punkte gekriegt, was mir damals nicht passte und heute ist es mir eigentlich egal. Und im Sommer 2008 kam die Idee wieder hoch, mal einen "Faust" zu inszenieren, für die Schule direkt, 45 Minuten. Dann haben wir damit angefangen, mit dem Regisseur die Texte zu kürzen. Und dann fand ich es wieder schade, sich so viel Arbeit für nur 45 Minuten zu machen und dann fiel mir die Geschichte mit dem Lenau wieder ein und ich meinte zum Regisseur: Wir hauen die Texte einfach in einen Topf, rühren noch mal um und machen unser Ding. Da hielt er die Hand vor den Mund und sagte: Das kannst du doch nicht machen. - Wieso denn nicht? - Das geht nicht. - Doch, wir machen das. Jetzt haben wir das gemacht. Mittlerweile weiß auch ganz Leipzig, dass wir das machen. Also die einschlägige Szene. Und die sitzen alle wie die Geier da, um uns zu verreißen. Das weiß ich jetzt schon. Zumal der große Spaß daran auch ist, dass es sich um ein Zweimannstück mit drei Personen handelt. Wobei ich das Gretchen spiele und Mephisto.

 

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Gretchen ist doch eine schöne Rolle.
Es ist eine schwierige Rolle, vor allem, wenn du innerhalb von zwei Minuten vom Teufel zur Frau werden musst. Das ist schon nicht leicht. Ich hatte auch ein bisschen Angst vor den Proben, mich damit etwas zu übernehmen … Premiere ist am 26. September im Unterrock in Leipzig. Es gibt noch eine Vorpremiere in Dresden, das ist dann am 18. September. Es gibt auch eine Aufführung in Berlin. Am 25. Oktober im "Zimmer 16".

 

Ja, dann bedanke ich mich ganz herzlich bei Dir für dieses Gespräch und...
Wie, das war schon alles?

 

Eigentlich schon...
Ich dachte, da kommen noch paar andere Fragen. Wie zum Beispiel: Was denkst Du über die Krise oder so. Im Grunde haben wir bis jetzt das gemacht, was wir immer machen. "Was hast Du gemacht, was wirst Du tun? Und warum?"

 

Warum... lässt Du es nicht einfach?
Das ist eine gemeine Frage.

 

Du hast ja dieses - wie soll ich es sagen - Sammelprojekt auf myspace.
Erika. Die Erste Richtig Imposante Kriegsarmee. Das ist entstanden aus einem Lied, welches ich schrieb, weil ich mich sorgte. Ich glaube, das war auch ein kleines Highlight in unserem Programm. Ich habe mir darüber gar nicht so viel Gedanken gemacht, bis die Ute Donner einfach diese Idee für das Logo entwickelte, auf dem dann die bunte Fahne aus dem Panzer herausragte und "E.R.I.K.A." auf den Panzerketten geschrieben stand. Darüber habe ich mich sehr gefreut und mir immer noch keine Gedanken gemacht, bis ich im April 2008 ein Nummernschild von Mathias Rauhut (www.seelentaucher.org) geschenkt bekommen habe mit dieser Aufschrift. Und da habe ich mich gefragt: Wie kommt man denn darauf? Das muss doch die Leute beschäftigten. Da muss man doch etwas draus machen. Das ist aber wieder schwierig, denn "Erika" ist ja keine Bewegung. Es ist einfach eine Idee. Die lebt nun auf myspace. Sie lebt auch in den Herzen ganz vieler anderer Menschen. Auch von Menschen, die gar nicht wissen, dass es "Erika" gibt. Und die Motivation wäre die, dass in ganz vielen Städten, wenn die Menschen auf die Arbeit gehen, plötzlich an einem Trafohäuschen, an dem sie jeden Tag vorüber gehen, die Aufschrift "Erika" zu sehen ist und sie sich fragen: "Was kann das denn schon wieder sein?" Vielleicht: "Noch eine Woche bis Erika." Und dann: "Noch zwei Tage bis Erika." Und alle sind gespannt und dann geben wir ein großes Konzert.

 

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Das haben schon viele so gemacht. Sehr erfolgreich...
Ich weiß. Ich mag "Erika" als Idee gegen Stumpfsinn. Ich finde, man kann sich das durchaus auf die Fahne schreiben, dass das Lied "Erika" auch viel gebracht hat. Das Lied "Erika" richtete sich vor allem gegen die damalige USA-Politik und den Präsidenten George Bush. Und ich finde, seit es dieses Lied gibt, hat ein unheimliches Umdenken in den USA stattgefunden. Die haben ja jetzt auch einen neuen Präsidenten und ich glaube schon, dass es an der "Erika" mit gelegen hat. Ich glaube, das liegt wiederum daran, dass man einfach daran glauben muss.

 

Das Thema finde ich auch viel interessanter als die Krise. Die finde ich total langweilig.
Aber ich will trotzdem noch was zur Krise erzählen.

 

Aber nur wenn dann auch die besseren Zeiten kommen.
Klar kommen die. Wir bereiten sie ja schon vor. Ich finde schon, dass man auch Solidarität üben sollte. Guck mal, zum Beispiel all die Rentner. Die gehen fünfzig, sechzig, siebzig Jahre arbeiten, legen ihre Kohle irgendwo an und bekommen jetzt keinen Pfennig. Keinen Cent. Das ist eine Sache, die geht uns etwas an.

 

Na, jetzt wurde doch eine Rentenerhöhung beschlossen.
Nein, ich meine, wenn die zu so einem Bankenheini gehen und die Kohle hinblättern und sagen: Das ist meine Rente, mach die mal sicher. Und der sagt: Klar mach ich die sicher. Das ist gelogen. Aber da kommt dann keiner an mit einem großen Toniwagen und fängt an, die Leute zu verhaften. Und das ist ein Mangel in dieser Gesellschaft, dass wir keine private Haftung dafür haben. Das Wirtschaftswunder, das wir hatten, als wir noch nicht lebten, das ist nur gekommen, weil es damals eine private Haftung gab. Also wenn du jetzt Bänker wärst oder ein Investment-Typ, dann kannst du alles machen. Sollste arbeiten und spekulieren, alles okay. Aber du solltest mit deinem eigenen Kopf haften. Denn dann überlegst du dir so manches. Das macht mich einfach wütend, dass das nicht so ist.

 

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Vielleicht liegt es einfach daran, dass der Kapitalismus davon lebt, dass die Menschen nur dann richtig gut leben können, wenn sie andere ausbeuten und der, der arbeitet, also ausgebeutet wird, nicht davon leben kann, dass er ausgebeutet wird.
Es hat doch gar keiner was gegen den Kapitalismus. Sollen sie doch machen. Aber was fehlt ist eine Bedienungsanleitung. Eine Beschreibung. Das Problem besteht darin, dass sie dir nie jemand vorliest. Es ist ja nicht so, dass du aus der Schule kommst und jemand sagt: Das hast du schön gemacht und hier hast du erst mal die Bedienungsanleitung zum System. Wenn das so wäre, wüsste jeder, dass der Kapitalismus definitiv aller siebzig bis achtzig Jahre zu einem Crash kommen muss. Und wenn man das weiß, dann wäre das auch weniger schlimm. Das crasht doch sowieso wieder in zwei Jahren. Jetzt kaufen sie alle Autos. In zwei Jahren kauft keiner mehr Autos, da gehen die Autobauer alle pleite. Da sollen sie doch gleich sagen: Game Over. Alles Geld geht zur Bank und wird neu verteilt. Das wäre doch logisch.

 

Aber es gibt doch zurzeit paar schöne Geschenke.
Na, weil wir Wahl haben. Es geht um Machterhalt.

 

Die Rentner haben eine Rentenerhöhung bekommen, ALG-II-Bezieher bekommen ganze 7 Euro mehr, pro Monat, nicht pro Jahr. Also das nimmt ja langsam ganz schön überhand.
Die ganze Kohle ist doch da. Es würden ein paar Milliarden, ich glaube sieben Milliarden ausreichen, damit jedes Kind einen Kindergartenplatz umsonst bekommt. Wieso ist das nicht möglich? Aber es ist möglich, hundert Milliarden in eine Bank zu stecken. Warum retten die die Hypo Real Estate? Weil der Bund mit drinhängt. Die waren doch Anteilseigner. Aber es gibt ja noch eine andere Sache neben der Bedienungsanleitung. Es müsste dann noch so ein Zusatz dazu stehen, dass es zurzeit so läuft, dass jeder im Menschen etwas sucht, worin dieser schwach ist, um sich daran zu stärken. Aber es wäre doch viel sinnvoller, eigene Schwächen zu erkennen und die in Stärke umzuwandeln. Denn ich bin fest davon überzeugt, dass unsere Schwächen nichts anderes sind als nicht trainierte Talente. Und wenn man das so angehen würde, dann sähe die Welt ganz anders aus.

 

Das lassen wir mal als Schlusssatz so stehen. Lieber Christian Haase, vielen Dank für diese sehr ausführliche Gespräch!

 

Interview: Andreas Hähle
Bearbeitung: kf, cr
Fotos: Patricia Heidrich, Juliane Schein, Matthias Rauhut

 


   
   
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