Was macht eigentlich... 

 

WACHOLDER

 

001 1 20121203 1906268861Wacholder – das ist der Baum des Jahres 2002, eine bedrohte Art. 2001 war das Jahr, in dem sich die Gruppe Wacholder aus der Öffentlichkeit zurückzog, womit ihre Musik - deutschsprachiger Folk - auch ein wenig zu etwas Bedrohtem wurde. Dass die Musik ebenso wie die Musiker noch voller Saft und Kraft sind, zeigen sie gerade erneut. Aber weil es für seltene und bedrohte Pflanzen irgendwo ein Herbarium geben sollte, wollen wir versuchen, für die musikalischen Wacholder mit folgendem Interview so etwas wie ein kleines Herbarium zu schaffen. Fred Heiduk im Gespräch mit Scarlett O´:
 


Scarlett, lass uns die Geschichte Eurer Gruppe Stück für Stück aufarbeiten. Ihr seid eine Studentenband. Wie kommen Baustudenten zur Musik?
Oh... Die Wege waren ganz unterschiedlich. Zunächst mal waren wir eine echte Faschingsband (lacht). Es wurde eine Gruppe gesucht und da hat sich eine Riesentruppe gefunden. Das war im Februar 1978. Studenten aus allen Studienjahren kamen zusammen und machten Musik. Zum Fasching eben. Natürlich haben wir uns vorher schon getroffen und geübt, gemacht und getan. Kies hat da schon mal Hannes Wader oder sowas gesungen. Bereits da kristallisierte sich heraus, dass einige Mitstreiter das Ganze etwas ernster nehmen. Die blieben nach der Faschingsfete zusammen. Das war der Stamm von Wacholder. Wir studierten brav weiter Bauwesen und machten nebenher Musik. Das erste Konzert als Wacholder gab es am 27. April 1978. Die Wacholders kamen zum Teil aus recht musikalischen Elternhäusern oder hatten sonst bereits mit Musik zu tun. Ko war, wenn ich mich recht entsinne, mal Thomaner. Kies hatte schon früh mit Jürgen Wolf und dessen Brüdern in Plauen zu tun. Da gab es die Folkländer bereits und Kies hatte in die Szene daher schon ein wenig hineingerochen. Er kannte Lieder von Wader, die irischen Geschichten und die deutschsprachigen Sachen, die in der Szene gesungen wurden. Solche Sachen wie die Lieder der Zupfgeigenhansel-LP von Amiga, die wie ein Lauffeuer rum ging. Er ist also an allem Schuld (lacht). Und ich hab vorher auch schon mal ein paar Lieder gehört, zu Hause mit Mutter, Oma, Geschwistern bei Hausmusik gemacht und im Kirchenchor gesungen - über 12 Jahre, von klein auf – später in Singeklubs und im Chansonstudio. Ich konnte sogar das ein oder andere Instrument spielen - oder wenigstens festhalten - wie die anderen auch. So kam es, dass wir uns auf deutschsprachigen Folk konzentrierten.
 
 

002 20121203 1759078041Das heißt - ihr seid alle keine professionellen Musiker. Wacholder ist ein eine Laiengruppe und ein reines Zufallsprodukt?
Das nun auch wieder nicht. Lass mich das mal an meiner Person erzählen, da weiss ich es am besten. Ich hatte mich während der Lehre auf dem Bau an der Musikhochschule Dresden beworben. Da bin ich, ich geb's zu, schlecht vorbereitet, mit Pauken und Trompeten durch die Aufnahmeprüfung gefallen. Danach hab ich mich sofort noch in Weimar beworben, also im selben Jahr - was unüblich war, aber ich war so frech. Es lagen, glaube ich, zwei Monate dazwischen. Diesmal war ich sehr gut vorbereitet und einige Studenten, die beim Vorsingen dabei waren, gratulierten mir danach schon zur Aufnahme. Wurde aber nix, weil der Vorsitzende der Prüfungskommission derselbe wie in Dresden war. Er könne mich nicht hintereinander in Dresden ablehnen und in Weimar annehmen. Man riet mir, ein Jahr zu warten, aber das wollte ich nicht. Ich glaub, im Osten hat man über sowas gar nicht nachgedacht, mal einfach ein Jahr ohne was rumzuwarten - stand für mich überhaupt nicht zur Debatte. Und außerdem hatte meine Berufsschule, die sowieso stinkig war, dass ich Musik studieren wollte, schon vorsichtshalber einen Studienplatz in Cottbus an der Ingenieurhochschule für mich reserviert, was ich den Leuten in Weimar auch sagte. Komischerweise fanden die das lustiger als ich und sagten mir: "Cottbus klingt prima, weil: da gibt‘s ein Konservatorium, an dem zwei unserer Hochschullehrer unterrichten. Da gibt es eine Berufsklasse. Da kann man bestimmt was machen. Wenn sie wollen, gehen sie da hin." Das hat mich alles aber die ersten zwei Jahre beim Baustudium gar nicht mehr interessiert. Aber als es dann Wacholder gab, wurde das anders. Dazu muss man sagen, dass es früher im Osten ja nicht ganz so einfach war wie heute, auf eine Bühne zu kommen. Ohne Einstufung, also eine offizielle Erlaubnis, ging gar nichts. Eine Einstufung als Volkskunstkollektiv hatten wir mit unserem ersten Konzert erworben. 85 Mark durften wir so am Anfang für einen Abend mit 6 Leuten verlangen. Uns war ziemlich schnell klar, dass wir beruflich Musik machen, also irgendwann damit auch Geld verdienen wollten. Dazu brauchte man 'ne Berufspappe. So bin ich mit zweieinhalbjähriger Verspätung zum Konservatorium getigert, hab mich bei besagten Gesangslehrern gemeldet: "Hier bin ich, möchte in die Profiklasse und meine Wacholder-Kollegen gleich mit!" Ist ein wenig verkürzt erzählt, hat aber geklappt, sie haben uns dankenswerterweise genommen. Kies, Ko und ich, später dann nach und nach auch die "neuen Wacholders", sind parallel zum Baustudium in die Berufsklasse am Konservatorium gekommen. ML - Marxismus-Leninismus für Wessis und Nachgeborene - und so‘n Zeug hat man uns aus dem Baustudium anerkannt, so dass wir nach 2 Jahren neben einem Ingenieurstudium auch ein kleines der Musik abgeschlossen haben. Zumindest ab dem Zeitpunkt waren wir dann also echte Profis (lacht). Wenngleich die Laien alles hatten, was die Profis Wacholder dann umsetzten. Mit beiden Abschlüssen in der Tasche, hatten wir dann auch noch das Glück, dass man uns Musik machen ließ, statt uns in einen Betrieb nach Staatsbedarf als Ingenieur auf 3 Absolventenjahre zu verpflichten, wie es ja üblich war.

 

Wo liegen die musikalischen Wurzeln Wacholders neben der Faschingsband? Hattet ihr mit der Singebewegung und den Hootenannys zu tun?
Nicht wirklich. Wenn, dann peripher. Kies, der, so meine ich, in seiner Lehre auch schon in einer Band Musik gemacht hat, hatte wie gesagt Kontakt zu den Wolf-Brüdern und damit zur Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Dort waren die Folkländer entstanden und hatten schon ein Folkfest veranstaltet, bevor an Wacholder überhaupt zu denken war. Das kannte Kies schon. Kos Vater war Gitarrendozent an der Musikhochschule in Dresden. Ko hat in Bands gespielt und kannte alle möglichen Leute. Aber zu ihrer persönlichen Geschichte müsstest Du die Männer wirklich selbst fragen, ich will nichts Falsches erzählen, hab auch ein miserables Personen- und Namensgedächtnis. Ist schon anstrengend genug, meine eigene Geschichte zusammenzukriegen... Ich hatte an meiner Schule in Buckow - neben Kirchenchor, Flötenquartett und Klavierunterricht - mit Freundinnen einen Singeklub gegründet. Und auch während der Lehre in Frankfurt/Oder war ich in einem Singeklub. Dann gab‘s da noch das Chansonstudio Frankfurt/Oder, wo ich auch war. 1974 hab ich bei den Chansontagen sogar 'nen Anerkennungspreis gewonnen. Klar kannte man da auch die Größen der Szene. Zumindest dem Namen nach (lacht). Karls Enkel, Friedman, Thalheim und so. Einige habe ich auch auf den sogenannten Singe-Werkstätten getroffen. Gundi, das war später. Unsere anderen Mitstreiter aus der ersten Besetzung hatten zum Teil ähnliche wilde Wurzeln, von Kirchen- bis Heimatmusik. Man sieht – das war alles ganz verschieden, warum wer jetzt Musik machte. Aber Spaß hat's gemacht. Immer!

 

Spaßige Instrumente waren bei Wacholder auch immer vor. Wie kamt ihr auf Brummtopf oder Teufelsgeige?
Wir haben uns nach einfachen alten oder alt klingenden Instrumenten umgesehen. Wenn man die noch bezahlen oder nachbauen konnte, dann kamen sie in unser Programm. Übrigens baue ich gerade wieder einen Brummtopf für die Geburtstagstour, da es bei den Wacholders keinen mehr gibt. Es gibt ein Bild, da liegen um uns herum über 30 verschiedene Instrumente. Alles, was irgendwie folkloristisch war und Krach machte, gehörte zu unserer Ausstattung. Gitarren, Mandolinen und Lauten, Kontrabass, Alulöffel, Teufelsgeige bis zu 'ner Art afrikanische Trommel, wo zwei Knöpfe an Strippen auf die Felle schlugen. Wir haben alles ausprobiert, was wir in die Hände bekamen. Und gepiepst und gequietscht hat es auch immer (lacht). Besonders lustig war das am Anfang, als wir noch kein Auto hatten. Da sind wir oft mit dem ganzen Zeug in X Koffern und Taschen per Zug zu Konzerten gefahren. Olaf hatte den Kontrabass und zwei große Reisetaschen, die anderen teilten sich die übrigen der gut 30 Instrumente. Dazu gehörten auch die verschiedenen Quetschen von Kies, die ja höllenschwer waren. Man hätte noch ein paar Arme gebrauchen können. Wenn ich dann mal mit 'ner Tasche ankam, weil Mädchen sich ja auch mal umziehen wollen, gab's schon mal 'nen bösen Blick von den Jungs. Weil - dann mussten die noch ein Teil extra schleppen (lacht). Aber die Jungs waren ja groß und stark. So haben wir das 'ne gewisse Zeit durchgehalten, bis wir dann an einen Mietwagen, es war ein Moskwitsch, kamen. So etwas gab's sogar in der DDR. Die Reisen damals mit dem Zug waren allerdings eine ganz besondere Geschichte. Ich erinnere mich an mehrere Fahrten, wo der halbe Zug sang, weil wir in irgendeinem Abteil Remmi Demmi machten (lacht). Einige unserer Instrumente haben nach unserem Abschied von den Bühnen den Weg ins Deutsche Museum gefunden. Obwohl das alles gar nicht auf ganz alte Musik ausgerichtet war.

 

004 20121203 2021261433Hätte es auch Rock statt Folk sein können?
Das kann ich wieder nur für mich sagen. Man träumt schon davon, als ganz große Rocknummer, weltweit anerkannt und berühmt auf 'ner Bühne zu stehen. In vollen Stadien und so. Und dann da Frontfrau ... (lacht). Hätt' ich damals nicht Kies und Ko kennengelernt, wer weiß...? Ich wäre bestimmt auch eine prima Rockerbraut geworden (lacht) - Einbildung ist auch 'ne Bildung. Ich hab sie aber kennengelernt. Und es war schnell klar, was wir zusammen machen wollten. Wir wollten uns musikalisch auf deutsch ausdrücken und dem Ganzen einen folkloristischen, leicht irischen Touch geben. Die Szene war ja gerade im Entstehen. Von Anfang an sollten unsere Sachen Anspruch haben, speziell die Texte. Obwohl wir zunächst viele Sauf-, Tanz- und Gesellenlieder machten, ging es uns schon darum, Inhalte zu transportieren. Daher war es sehr interessant zu sehen, wie sich das alles entwickelte. Ob die Jungs lieber Rocker geworden wären, muss man sie mal fragen. Keine Ahnung. Aber letztlich sind wir sehr zufrieden mit dem, was wir gemacht haben und wie es lief. Ob wir das als Rockband oder was auch immer erreicht hätten, ist wohl sehr fraglich.

 

Nun seid ihr also Folkband. Nicht die erste, aber eine der bekanntesten. Warum wechselte Erik Kross von den älteren und ebenfalls sehr bekannten Folkländern zu Wacholder?
Erik hat, so meine ich, in Cottbus gewohnt und am Konservatorium gearbeitet. Das war 1980. Und ich war gerade für längere Zeit wegen Schwangerschaft außer Gefecht gesetzt. Vielleicht rechneten meine Männer gar nicht damit, dass ich wiederkäme. Ich hab das zwar immer gesagt, aber die Jungs dachten vielleicht, na ja – die erzählt viel, aber dann ist sie drei Jahre im Schwangerschaftsurlaub. So schneiten sie eines Tages im Krankenhaus vorbei und stellten mir zwei neue Bandmitglieder vor, Pascha und Erik ... (lacht). Wenige Wochen nach der Geburt meiner Tochter stand ich wieder auf einer Bühne. Die Plattenaufnahme zu "ein Kessel Rotes" am 01. Mai 1980 hab ich wieder mitgemacht. Das war meine erste offizielle Mugge nach der Entbindung. Aber die Jungs konnten ja gar nicht anders, als sich um neue Mitspieler zu kümmern. Weil wir ja inzwischen nur noch zu dritt waren. Unsere anderen drei Mitstreiter aus der Anfangszeit hatten sich dann doch für den Bauingenieur entschieden.

 

Pascha und Erik sind ja noch nicht die legendäre Besetzung. Da gehören für mich Almut Walther und Matthias Wegner dazu. Warum wechselte die Besetzung erneut?
Das hat dann wohl doch nicht gepasst. Die Art, Musik zu machen, die Texte und und und... Es gab die berühmten vielen kleine Dinge, die dazu führten, das Pascha und Erik wieder ausstiegen. Und dann suchten wir ganz explizit wieder einen Geiger. Das war schon die Zeit der Hammer Rehwü. Almut war mit Ko zusammen und wechselte wohl auch deshalb von "Landluper" zu Wacholder. Und unseren Geiger haben sich gewissermaßen Wenzel und Mensching gewünscht. Die suchten einen "Einstein" (lacht) für die Hammer Rehwü. Und Matthias war, als er für die Rehwü zurechtgemacht wurde, der perfekte Einstein.

 

Matthias Wegner hab ich irgendwie als clownesken Gegenpart zu Ko in Erinnerung. Stimmt der Eindruck?
In gewisser Weise wohl. Wenn Matthias mal solo durfte, was wir aber in der Regel zu verhindern wussten (lacht), dann sind sie mit ihm schon mal durchgegangen. Dann hat er gern mal Faxen gemacht. Aber eigentlich brauchten wir ihn wirklich als guten Geiger. Er spielte einfach alles, wenn es gebraucht wurde - und manchmal auch, wenn's nicht gebraucht wurde. Das geht aber allen Geigern so - ha. Also die lustige Nummer lag ihm schon, finde ich.

 

006 20121203 1148404866Wenn wir dann schon bei den Mitgliedern sind, die nicht mit auf Tour gehen, wüsste ich doch gern, was aus ihnen geworden ist und ob möglicherweise der oder die eine oder andere als Gast auf der Tour dabei sein wird.
Also geplant ist das zumindest nicht. Aber wer weiss, vielleicht drängelt sich ja doch irgendwo ein ehemaliger Wacholderzweig auf die Bühne (lacht). Was die Ehemaligen machen, weiss ich nicht von allen Mitstreitern. Einige machen unverändert Musik: Pascha im Nebenjob, Erik, Wolfram Huschke und Matthias. Der macht bei Auftritten im Rahmen seiner Veranstaltungsagentur, die er schon kurz nach der Wende gegründet hatte, bis heute neben Geigerei auch Conference. Andere, wie Almut zum Beispiel, sind in der Branche geblieben, ohne selbst Musik zu machen. So ist Almut beim Radio gelandet. Na und einige aus unserer ersten Besetzung sind doch noch Bauingenieure geworden.

 

Wird es auf der kommenden Tour sozusagen als Geburtstagsgeschenk für die Fans möglicherweise einen neuen Titel geben?
Einen ganz neuen Wacholdertitel wird es nicht geben. Wir werden unsere alten Hits spielen, quer durch die aktiven Wacholderjahre 1978 - 2001. Das ist es ja auch, was die Leute hören wollen. Und jeder von uns wird ein Lied aus seinem aktuellen Programm vorstellen, die sind dann natürlich neu. Und etwas anders ist auch, dass es kein Keyboard geben wird, dafür wieder einen Brummtopf.

 

Woher kommen überhaupt die Texte eurer Lieder?
Für uns war zunächst mal die Art der Texte sehr wichtig. Wir wollten nicht Volkslied im allgemeinen machen, sondern haben uns an Art und Aussagen von Leuten wie Hannes Wader oder Zupfgeigenhansel orientiert. Bei den ersten Muggen haben wir die sogar direkt rauf und runter gesungen. Aber zugleich haben wir uns um eigene Lieder bemüht. Das war schon ein wenig verrückt. Unsere erste und ganz wichtige Quelle war Steinitz' "Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten" von 1954. Da waren genau die Texte jenseits von "Hoch auf dem gelben Wagen" und "Am Brunnen vor dem Tore" drin, die uns gefielen und die man von Staats wegen doch nicht angreifen konnte. Es war ja die Musik des unterdrückten, revolutionären Volkes (lacht). Und zum anderen haben wir alles durchstöbert, was man sich denken kann. Ich hab von zu Hause aus, mit meinem Hintergrund mit Kirche und so, diverses "Volksliedbuchgut" (lacht - auf dieser Wortschöpfung Scarletts liegen glaub ich keine Rechte). Natürlich haben wir auch den "Zupfgeigenhansel", das berühmte Liederbuch des Wandervogels von 1909 geplündert. Später haben wir dann auch klassische Volkslieder angefasst, nachdem wir feststellten: So schlimm waren die gar nicht, wie wir sie aus Schulzeiten in Erinnerung hatten. Und dann hatte sich irgendwie jeder aus der Gruppe auf spezielle Quellen spezialisiert. Der eine jagte Kirchenbücher, der andere Heine–Bücher. Wir durchforsteten Antiquariate nach allem, was nach alten Gedichten aussah, stöberten in alten Liedsammlungen und im Volksliedarchiv. Immer auf der Suche nach sangbaren Texten. Wir wollten nicht nur Bekanntes kopieren oder imitieren. Zumal ich glaube, dass man kein Lied von damals heute so bringen kann, wie es damals klang, war schließlich keiner mit 'nem Tonband dabei. Melodien, die uns gefallen haben, oder echte Traditionals haben wir zum Teil so gesungen, wie wir sie fanden. Aber ansonsten haben wir die Texte, auf denen ja keine Rechte lagen, so verkomponiert, wie wir lustig waren. Die Musik sollte die Aussagen in den Liedern und damit das dort ausgedrückte Lebensgefühl wiedergeben. Und man konnte sich in der Form prima mit ganzen Geschichtsetappen auseinandersetzen, einem Programm sozusagen einen roten Faden geben. Wie bei unserem Heineprogramm. Die Idee dazu stammte von Wenzel und Mensching. Die arbeiteten nach der Hammer Rehwü gerade mit Karls Enkel an einem Goetheprogramm und hatten außerdem noch ein Textbuch für ein Heineprogramm zusammengestellt. Das haben sie uns angeboten. Wir haben noch ein paar Heine-Texte hinzugefügt, im Groben das Textbuch aber so übernommen wie's war und die Musik zu den Texten komponiert. Jeder suchte sich die Texte aus, die ihm besonders gefielen und vertonte sie, wie er es für richtig hielt. Rausgekommen ist sozusagen unser Einstieg in eigene Konzeptprogramme. Den Stil haben wir dann beibehalten. Zum Beispiel für unser Programm "Trotz alledem- Lieder zu 1848". Was nicht vertont vorlag, oder wo uns die Musik nicht zusagte, das haben wir umgeschrieben. Ebenso für das danach kommende Programm "Hüt‘ dich Wacholdrio", das sich mit den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts auseinandersetzt.

 

Womit wir mitten in den Programmen der Gruppe Wacholder gelandet sind. Ihr habt ja regelmäßig neue Programme auf die Bühne gestellt. Nicht alle sind auf Platte erschienen. Warum eigentlich nicht?
Das hatte auch etwas mit dem üblichen, real existierenden Sozialismus in der DDR zu tun. Wenn man nicht eine große Nummer war, durfte man sich freuen, überhaupt etwas veröffentlichen zu dürfen. Wir hatten ja sogar recht schnell, nach nur 5 Jahren (lacht) unsere erste eigene Platte "Herr Wirt, so lösche unsere Brände" - erschienen 1983. Das waren teilweise Sauf- und Gesellenlieder, deren Texte nicht ganz so vordergründig politische Aussagen und Parallelen hatten, aber auch Liebeslieder und Soldatenlieder. Die meisten Kompositionen stammten von uns. Wenn's nach uns gegangen wäre, hätten wir von jedem Programm, also jedes weitere Jahr, eine Platte gemacht. Ging aber nicht. Ob da nun jemand die Parallelen in den alten Texten zu aktuellen Zuständen erkannt hat und das für gefährlich hielt, weiß ich nicht. Wahrscheinlich gab's nicht genug Bitumen für die schwarzen Scheiben. Gesagt wurde uns, dass es auch noch andere Gruppen gäbe, die erst einmal dran seien mit Produktionen und wir warten müssen, bis wir wieder an der Reihe wären.

 

Eure zweite Amiga LP "Es ist an der Zeit" kam kurz vor der Wende. Die LP wurde von den Fans bejubelt, aber gleichzeitig warf man Euch vor, die Platte wäre nicht wirklich gut, weil sie nur alte, bekannte Titel enthielt. Wie steht Wacholder zu dieser Platte?
Amiga war 1988 die Reihe rum und wir durften wieder... Zunächst einmal ist richtig, dass das Album vor allem Titel enthielt, die wir irgendwann in unseren Programmen gesungen hatten. Wenn man so sagen will, ist die LP fast eine Best of, beinhaltet sie doch tatsächlich Titel der alten Programme, die besonders gut ankamen. Es gab aber diese Bedingung von Amiga, um überhaupt die Platte machen zu können: Diesmal bitteschön keine eigenen Kompositionen, sondern nur Traditionelles! Man muss das mal mit der ersten LP vergleichen. Da waren nur 2 oder 3 traditionelle Lieder drauf, die übrigen hatten wir selbst komponiert. Jeder von uns drei. Fünf Jahre danach sagte man uns dann: "So, Ihr seid wieder mit 'ner Platte dran, aber dieses Mal keine Eigenkompositionen. Ihr habt doch da sehr schöne, auch internationale, Traditionals … Ihr macht doch eine Platte fürs Publikum." Inzwischen hatten wir fünf Programme mit sehr, sehr vielen eigenen Kompositionen. Wir hätten mehrere Platten mit Neuem machen können… Dieses Mal durften wir nicht. Da half alles Diskutieren nicht. Entweder wollten sie keine Tantiemen zahlen, oder – ich weiß es nicht… Dass dann die Wende dazwischenkam, war ihr Pech, (macht eine Pause) aber auch unseres (lacht), weil das Album hat nämlich niemand bemerkt in der ganzen Hektik. Ich sag mal, das Album war für einen DDR Markt gemacht, wo den Leuten internationale Folklore angeboten werden sollte. So sind auf der Platte einige sehr bekannte internationale Titel, die wir teils original nachsingen. Für den Zweck wäre die Platte auch sehr gut geeignet gewesen. Aber wie gesagt… Wir hätten ebenso gern auch eine LP mit neuen, eigenen Titeln gemacht und hätten das Material auch gehabt. Trotzdem zeigt auch diese LP unsere musikalische Entwicklung und hat Texte, wie wir sie liebten. Frech und bissig mit viel Hintersinn.

 

009 20121203 1880816225Ist es dann nicht ein Widerspruch, dass Wacholder trotz der eindeutig zweideutigen Texte auf und bei vielen bekannten staatlich protegierten Platten und Veranstaltungen zu finden ist? Mir fallen das Festival des politischen Liedes, der Liedersommer der FDJ und die dazugehörigen Platten ein. Hat man Euch verkannt?
Verkannt wurden wir nicht. Im Gegenteil. Man verstand die Bezüge schon genau. Auch auf staatlicher und kulturpolitischer Seite. Aber so Recht konnte und wollte man an uns gar nicht ran. Zum einen hatten wir 'ne ganze Reihe Fans und zum anderen waren die Quellen der Texte unangreifbar. Wir haben sie ja zudem in der Regel nicht geschrieben, sondern sangen eben Lieder des unterdrückten Volkes vergangener Jahrhunderte in unserer Interpretation. Und wie unsere Texte von unseren Zuhörern verstanden wurden, das konnte man uns nicht anlasten. Und dann kann man heute wohl zu Recht sagen, dass viele, die behaupten, dies und das konnte man in der DDR nicht machen, es gar nicht erst versucht haben. Selbstzensur und vorauseilender Gehorsam funktionierten oft bestens. Was die zentralen Festivals angeht, war die Teilnahme nicht unüblich. Wir hatten ja auch eine gewisse Bekanntheit. Wir wurden erfolgreich in Rundfunk und Fernsehen von "bösen" Redakteuren gespielt und sangen unzweifelhaft politische Texte, in denen gegen die Potentaten und Gewaltigen alter Zeiten opponiert wurde. Von daher wurden wir zu den Festivals eingeladen und passten da auch durchaus hin. Dazu kam, dass es für uns, die wir ja nicht reisen durften, so ziemlich die einzige Chance war, mal mit Kollegen aus dem Westen zu spielen. Und es war immer auch eine Möglichkeit, mit den Leuten mal privat zu reden, und Nächte durch zu feiern. Auch für die Festivals gilt: Man musste sich nicht zwangsläufig vom Staat vereinnahmen lassen. Da wollten uns Funktionäre gern in FDJ-Hemd sehen. Das lehnten wir rundweg ab und haben es auch nie gemacht. Hartmut König wollte uns mal für einen Fernsehauftritt dazu verdonnern. Wir haben ihm klargemacht, dass wir in FDJ-Hemd nirgendwo auftreten. Allerdings hat es uns bei der Hammer Rehwü um ein Haar doch erwischt.

 

Was ist passiert?
In der DDR war man ja von den Bezirken als Musiker zugelassen. Und die Bezirke konnten auch ihre Zulassungen wieder zurückziehen, einen Künstler oder ein Stück verbieten. Nun war es bei der Hammer Rehwü so, dass die Musiker aus vier Bezirken kamen. Die Enkel aus Berlin, Beckert / Schulz aus Dresden und wir aus Cottbus. Dazu ein Potsdamer. Das ganze Programm war von hoher Stelle, vom Komitee für Unterhaltungskunst, abgesegnet. Wir durften sogar Plakate für die Tournee drucken lassen. Dafür sind wir brav von Pontius zu Pilatus gelaufen und hatten am Ende ein Papierkontingent und die Genehmigung für den Druck. Aber auch das hatte noch nicht viel zu sagen. Denn es gab an allen möglichen Stellen ein paar ehrgeizige Menschen, die zwar offiziell mit der Kultur zu tun hatten, aber völlig ahnungslos waren. Und die konnten gewaltigen Ärger verbreiten. Eines Tages, nachdem die Hammer Rehwü schon eine ganze Weile erfolgreich lief und Presse, Funk und Fernsehen sie lobend zur Kenntnis genommen hatten, traf uns unvermittelt das System. Im Ernst! Die Hammer Rehwü wurde in allen möglichen Zeitungen und Zeitschriften in langen Beiträgen gefeiert. Im Radio war wohl auch bereits etwas gelaufen. Da wurde wegen dieses Programms die Gruppe Wacholder mit Auftrittsverbot belegt. 011 20121203 1895341152In Cottbus saß im Publikum die Direktorin der Cottbuser Konzert- und Gastspieldirektion, beinah hätte ich KGB statt KGD gesagt... Jedenfalls saß eine dieser örtlichen Kulturgewaltigen mit ein paar unauffälligen Herren in der Aufführung und schrieb die ganze Zeit irgendetwas mit. Ganz offensichtlich missfiel ihr das Programm, aber da kam sie insgesamt nicht ran. Sie konnte nur die Cottbuser Akteure maßregeln. Und diese Chance nutze sie gründlich. Am Tag nach diesem Auftritt standen ein paar Herren vor der Tür, und befehligten die Wacholderleute zum Rat des Bezirkes zum Staatsanwalt. So trabten Kies und ich da hin - die anderen waren nicht in Cottbus und daher nicht so schnell greifbar - und wurden richtig in die Mangel genommen. An Hand von fünf Zeilen aus dem gesamten Programm bewies man uns staatsfeindliche Hetze gegen die DDR und den offenen Aufruf zum bewaffneten Widerstand gegen die Staatsgewalt. Wir haben uns schon in der Minna auf dem Weg nach Bautzen gesehen… Aufruf zum bewaffneten Widerstand hätte da wohl mehr als genügt. Nach 1 ½ Stunden entzog man Wacholder mit sofortiger Wirkung die Berufsausweise und uns wurde DDR-weit verboten, Konzerte aufzuführen. Dazu gab es die Zusage, man würde uns bei der anderweitigen Berufssuche behilflich sein. Damit waren wir entlassen. (Scarlett schweigt, um dann unter Lachen fortzufahren. Es ist, als erlebe sie diese Episode gerade noch einmal, jedoch dieses mal als Betrachter statt als Betroffene.) Kies und ich, wir haben uns vor der Tür angesehen und ohne Worte gefragt, wie geht es denn jetzt weiter? Was machen wir denn nun? Das kam dermaßen unvermittelt… Und wir waren jetzt Staatsfeinde…! Damit war zunächst die Hammer Rehwü, für die es ja eine volle Tour mit noch 20 Muggen oder so gab, gecancelt und Wacholder war eigentlich auf Lebenszeit und für überall verboten. Irgendwann haben wir uns dann ein wenig eingekriegt und haben erst mal losgerackert. Die Kollegen informieren. Gar nicht so einfach ohne Telefon. Es hatte ja nicht jeder eins. Dafür mit Fernschreiben und Telegrammen und über Freunde, die man erreichen konnte. Jedenfalls haben wir Almut, Ko und den Geier informiert, dass sie ihre Pappen abzugeben haben - unsere hat der Staatsanwalt behalten - und jetzt arbeitslos seien. Dazu haben wir Wenzel informiert, dass die Hammer Rehwü nicht laufen kann, weil wir verboten sind. Und dann haben wir alle, die wir kannten und die eventuell was bewegen konnten, in Bewegung gesetzt. Wir haben den Zentralrat der FDJ in Berlin, die Akademie der Künste, unsere Gesangslehrer, bekannte Dozenten an den Musikhochschulen, eben jeden, den wir erreichen konnten und von dem wir uns Hilfe und Ideen versprochen haben, angerufen. Die konnten zwar nicht sofort etwas tun, aber wir hatten doch Glück. Denn am nächsten Tag gab es eine große Konferenz der Chefs der Räte der Bezirke mit dem Kulturminister in Berlin. Das wusste man beim Zentralrat FDJ, wo ja nicht nur sture Funktionäre, sondern durchaus ein paar vernünftige Leute saßen. Einer von denen, die wir angerufen hatten, bestellte uns nach Berlin zum Zentralrat. Man wolle versuchen, den Minister wegen des Vorgangs am Rande dieser Konferenz direkt anzusprechen. Wir sollten unbedingt dabei sein. Also haben wir alles, was wir an Unterlagen finden konnten, zusammengesucht, sind nach Berlin gefahren, haben einen großen eigenen Bericht verfasst. Den bestätigten die Leute vom Zentralrat und wir sind zusammen zum Minister marschiert. Er hat unser Schreiben auch bekommen und in einer Pause, wir waren da schon wieder weg, wohl den Cottbuser Kumpel antreten lassen und ihn gefragt: "Was ist denn bei euch in Cottbus los? Ihr könnt doch nicht ein Projekt verbieten, das von ganz oben genehmigt ist. Merkt ihr nichts?" Der Cottbuser wurde verdonnert, die Tour zur Hammer Rehwü sofort wieder in Gang zu bringen, und sich die nächste Aufführung persönlich anzusehen. Das geschah natürlich. So saßen, ich glaube in Frankfurt/Oder war das, die Cottbuser Kulturfunktionäre geschlossen im Publikum und bildeten sich eine eigene Meinung (lacht).  Vorher hatte das ja nur diese Lise mit ihren zwei Vertrauten allein gesehen. Wir wurden dann ein paar Wochen später wieder zum Rat des Bezirkes Cottbus bestellt. Es dauerte wieder 1 ½ Stunden. Nur dieses Mal wurden wir nicht verboten, sondern es wurde uns verkündet, wie proletarisch fortschrittlich… und… Mission der Arbeiterklasse… und… bla, bla…, wie toll doch die Hammer Rehwü ist. Was sie allerdings nicht gemacht haben, 012 20121203 1708615243ein Rundschreiben an alle Bezirke zu senden, dass wir wieder spielen dürfen. Wir hatten dadurch auch immer mal wieder Probleme. Weil einzelne Veranstalter die Information zum aufgehobenen Verbot einfach nicht schriftlich hatten. Es kam immer mal wieder: "Ich denk ihr seid verboten? Wir dürfen euch doch nicht engagieren." Und schon deshalb sind wir ein Jahr später groß und offiziell beim Festival des politischen Liedes aufgetreten. Das war sozusagen unsere öffentliche Rehabilitation. Und zudem gab es den Kunstpreis der FDJ und damit viel lobende PR. Aber diese Tante, die sich vielleicht profilieren wollte, übrigens die Frau des Chefs der Cottbuser MfS-Stelle, und was sich aus den Verbot für ein paar Tage entwickelte, hat uns beruflich lange durchaus geschadet. Und dabei hatten wir noch Glück. Wenn man an den bewaffneten Widerstand denkt. (lacht). Wer weiss? Vielleicht war die Dame auch die, die dafür sorgte, dass wir immer brav zu Hause bleiben durften. Bei den Anfragen nach Wacholder aus dem Westen wurde immer mal der Oktoberclub als Ersatz geschickt. Wacholder hatte offiziell nie Zeit für Auslandsgastspiele und so sind wir erst drei Monate vor dem Mauerfall mal bis nach Selb in Bayern… Nee, halt (lacht), das darf man nicht sagen! Also nach Franken, für eine Mugge gekommen. Andererseits hat sie uns so auch eine gehörige Aufmerksamkeit beschert. Denn die Szene verfolgte das Hick-Hack schon sehr genau.

 

In den Westen durfte Wacholder nicht. Aber ich erinnere mich an eine Tour in der DDR mit der Sands Family. War das ein Ausgleich? Wieso eigentlich diese irische Folklore beim Festival des politischen Liedes und dann mit euch auf Tour?
Mit der Folklore liegst du nur zum Teil richtig. Die Sands sind ja Iren und die spielen natürlich in der irischen Art. Es ist Folk, aber keine traditionelle irische Folklore, die zwar verwendet wird, aber ohne starre Regeln. Die irischen Folkpuristen lehnen deren Art komplett ab. Ihre Musik ist, wenn man so will, die Art Folklore, die wir in deutsch machten. Nur hatten sie den Vorteil einer ganz anderen Weltsicht und der Lieder in englischer Sprache, die die Zensur hier doch nicht so bis zum I-Punkt verstanden hat. Gerade die englischen Wortspielereien, wie es sie ja auch im deutschen gibt. Sands haben in der DDR auf englisch Sachen gesungen, die es auf deutsch vermutlich nicht gegeben hätte. Die Sands waren und sind hochpolitisch und links. Schon von daher passte das durchaus. Gerade deshalb wurden sie ja in die DDR eingeladen. Und auch menschlich sind das ganz prima Typen. Wir haben uns gut mit ihnen verstanden und die DDR Touren waren ein Riesenerfolg. Da sie dann schon mal hier waren, Musiker, die auf dem Festival des politischen Liedes aufgetreten waren, linke Musiker also, war es kein Problem, mit ihnen zu touren. Eine große Sondererlaubnis oder so brauchte es da nicht extra. Das hätte mit Lindenberg oder BAP sicher ganz anders ausgesehen. Unsere Touren mit der Sands Family und Dick Gaughan aus Schottland - den darf ich nicht vergessen - wurden allerdings offiziell von oben, von der Künstleragentur der DDR organisiert, auch wenn wir die Muggen rangeschafft hatten. Sie haben's abgesegnet und der Rest lief ganz entspannt. Bis hin zu den Gagen, die man nicht verhandelte, sondern nach Einstufung bekam, egal, wie viele Leute im Saal waren. Nur eines konnten die Sands nicht verstehen. Dass wir trotz der vielen Einladungen nie mit ihnen in Irland oder irgendwo im Westen auf Tour gingen (lacht). Sofort nach der Wende haben wir das nachgeholt, sind dann mit ihnen auch durch den Westen getourt und haben sie in Irland besucht. Wir haben bis heute Kontakt.

 

010 20121203 1312499623Du sprachst gerade westdeutsche Rockgrößen an. Da fällt mir die Frage ein: Seid ihr eigentlich mal mit dem Idol des deutschen Folk, Hannes Wader, gemeinsam aufgetreten?
Ja sind wir. Wader haben wir auch beim Polfestival persönlich kennen gelernt. Nach der Wende sind wir zum Beispiel im Kloster Banz gemeinsam aufgetreten. Allerdings nacheinander.

 

Nach der Wende passierte überhaupt einiges bei Wacholder. Ihr habt vier Alben gemacht und weitere gefeierte Programme. Was sind die markanten Punkte der Bandgeschichte im zweiten Jahrzehnt?
Zunächst muss man sagen, dass es uns, anders als vielen anderen Bands nach der Wende nicht schlechter als zuvor ging. Zumindest was die Zahl der Auftritte und Konzerte anging. Und jetzt durften wir ja auch ins Ausland (lacht). Ich kann mich an den Mai 1991 erinnern, als wir jeden Tag gespielt haben und ich mit Gipsbein sogar im Fernsehen war (lacht). ZDF Teleillustrierte - da steh ich mit Gipsbein am Keyboard. Warum wir die Wende recht gut überstanden? Vielleicht, weil wir jetzt wirklich in den Westen durften, wo man uns ja ewig eingeladen hatte und wo wir jetzt erstmals auftreten konnten. Und dann hatten wir Material ohne Ende und wollten das nun auf CD bringen. So haben wir dann alle 2 Jahre eine CD gemacht. Mehr ging finanziell nicht. Das musste ja auch finanziert werden. Und dann gab es ja immer wieder tolle Sachen. Das Heine-Programm, die noch einmal aufgeführte Hammer Rehwü 1993, die Touren in Irland und Italien, die Auftritte mit diversen Musikerkollegen... Es war eine schöne Zeit. Wir hatten jede Menge Spaß, ein wenig Erfolg und haben uns immer gut verstanden. Doch irgendwann kam der Punkt, an dem wir uns sagten, der Zeitpunkt wäre ganz gut, auseinander zu gehen, bevor wir von der Bühne gejagt würden. Zu der Zeit waren wir ja seit 1993 in der jetzigen Triobesetzung unterwegs und hatten auch das ein oder andere Soloprojekt hinter uns oder steckten gerade mittendrin. Wir haben, wie Du sagtest, nach der Wende noch vier Alben produziert. Das letzte zum 20. Geburtstag - produziert von Jürgen Ehle - 1998 mit diversen Gästen. Der Rest ist Geschichte und endete mit der großen Abschiedstour. Wir waren an einem Punkt, wo aus der Gruppe heraus kaum noch musikalische Entwicklung zu erwarten war. Es musste frischer Wind rein und den konnten wir uns selbst nicht geben. Unsere Fans haben das alles vielleicht nicht so gesehen und hätten uns wohl noch etwas ausgehalten. Aber wir wollten nicht zu unserer eigenen Revivalband werden. Also machten wir nach 23 Jahren Schluss. Wir kündigten auch noch an, dass wir nicht alle Jahre wieder ein Konzert zu irgendwas geben würden. Die Entscheidung haben wir nicht bereut. Vielmehr haben wir uns voll und ganz in unsere Soloprojekte gestürzt und dort das gemacht, was mit der Band so nicht mehr gegangen wäre. Gelegentlich spielten wir dann doch mal wieder miteinander, aber nie als Wacholder und in der letzten Besetzung.

 

Wart Ihr die letzten eures Standes?
Nee, das glaub ich nicht. Wir waren lange dabei, aber die Szene hörte nicht auf zu existieren, weil Wacholder nicht mehr auftrat. Es blieben doch einige übrig und neue kamen hinzu. Bis heute gibt es gute Folkbands mit anspruchsvollen Texten. Und sogar meine alten Helden, wie Wader, Wecker und so, sind alle noch da. Hochpolitisch und aktiv. Das Meiste findet halt nicht in den Medien statt, aber die Szene lebt und hat ihre Protagonisten. Und ich denke, es wird auch immer wieder neue junge Leute geben, die diese Musik entdecken und möglicherweise meinen, sie seien die ersten. Na, und international ist die Szene ja gut im Geschäft. Wir als Wacholder haben nun nichts unternommen, um unsere Weisheiten an den Nachwuchs weiterzugeben, keine Folkschule oder so aufgemacht. Aber wenn jemand interessiert ist, kann er sich mit den Wacholder-CDs auseinandersetzen oder einen von uns fragen. Es gab ja auch Leute, die sich wissenschaftlich mit der Gruppe Wacholder auseinandersetzten und Diplomarbeiten darüber schrieben (lacht).

 

Wacholder hatte ja noch ein paar Besonderheiten. Ich erinnere mal an die Liederhefte.
(lacht) Da haben mich bereits Leute gefragt, ob wir die wieder dabei haben. Werden wir nicht! (lacht). Die Dinger sind auch so'n Kapitel. Da hab ich Stunden, Tage und Wochen an meinem alten Kopierer gestanden und kopiert, vorher natürlich die alten Hefte auseinandergenommen und saubere Vorlagen gebaut. Schweinearbeit!

 

Was waren die Hefte eigentlich? Welche Lieder enthielten sie?
Das waren die Lieder unserer Programme. Wir wurden immer wieder angesprochen von Leuten, die unsere Stücke nachspielen, singen oder lesen wollten. Die ersten sind noch zu DDR-Zeiten entstanden. Auf so 'ner Art Klopapier in A4-Format. Das war so Restpapier von irgendwelchen Zeitungen. Die ersten Liederhefte wurden in 013 20121203 2013332948Schwarze Pumpe gedruckt. So sehen die heute auch aus. Die zerfallen gerade. Doch selbst dazu – Genau! (lacht) - brauchte man eine Druckgenehmigung, die man erst kriegte, wenn ein Papierkontingent da war. Wir waren aber gar nicht die ersten mit Liederheften. Die Folkländer machten das schon vor uns. Aber die hatten mit ihrer Grafikhochschule auch ganz gute Voraussetzungen. Unsere ersten Hefte waren noch kleine Kunstwerke. So mit Handzeitungen, richtig schön... Später hat Kollege Computer schon den einen oder anderen Handgriff, wie die Aufzeichnung von Notensätzen und solche Fleissarbeiten, übernommen. Im Westen hörte das dann auch mit den Druckgenehmigungen auf (lacht). Und was machten wir? Wir druckten nicht mehr, sondern kopierten.

 

Wenn ich Dich richtig verstanden habe, wird es zur Jubiläumstour kein neues Heft geben.
Stimmt. Das war einfach organisatorisch nicht auch noch zu stemmen. Ich hab ja neben dem Wacholderausflug noch mehrere kleine andere Beschäftigungen, sprich verschiedene Programme mit Jürgen, das gesamte Management dazu, nebst eigener Plattenfirma … (lacht) Und sieben Wochen Wacholder-Tour zu planen und zu organisieren ist auch kein Nebenjob. Das Management geht von den Spielorten über die Unterbringung und Verpflegung der ganzen Tourtruppe. Natürlich auch ein kleines bisschen PR. Es ist schön, jetzt noch einmal mit Wacholder unterwegs zu sein. Wir können uns zusammen auf dem Gebiet nochmal richtig austoben. Sieben Wochen sind ja nicht ganz wenig. Aber dann ist es gut, glauben wir übrigens alle. Danach macht jeder wieder seins. Wir freuen uns wie gesagt auf die Tour und hoffen auf volle Säle mit toller Stimmung.

 

Die Freude ist ganz unsererseits. Dass die Tour gut besucht sein wird, davon bin ich überzeugt. In diesem Sinne möchte ich mich bei Dir bedanken und wünsche in den nächsten Wochen viel Spaß und unvergessliche Augenblicke.



Interview: Fred Heiduk
Bearbeitung: kf, cr
Fotos: Pressematerial und Privatarchiv Wacholder + Scarlett O.
 
 
 

   
   
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