Harry Jeske:

Keine Meile tut mir leid


Interview vom 2. Oktober 2007
 
 
Wer glaubt, daß wir (kf) im redaktionellen Teil von Deutsche-Mugge hauptsächlich unsere alten Heroen und Idole hochleben lassen... hat vollkommen Recht! Wir sind wahrscheinlich die nostalgisch veranlagtesten Mitarbeiter der Redaktion und wir stehen auch dazu. Da kommt uns jemand wie Harry Jeske, ehemaliger Bassist unserer ersten musikalischen Liebe Die Puhdys und darüberhinaus als deren Manager einer der wichtigsten und mächtigsten Vertreter der DDR-Rockmusik überhaupt, als "Gast des Monats" natürlich gerade recht! Die telefonische Begegnung mit der unterdessen 70 Jahre alten Legende war in mancher Hinsicht überraschend für uns. Man malt sich im Vorfeld so einiges aus, stellt sich vor, wie es sein könnte und was einen erwartet, wünscht sich freilich auch dieses oder jenes, legt sich Worte der Begrüßung und der Einführung zurecht... und stellt am Ende fest, daß das eigentlich alles für die Katz' war, denn erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Eh wir uns recht versahen, befanden wir uns mitten im gemütlichen und äußerst netten Plausch mit einem Harry Jeske, dem jegliche Form von Allüren fremd sind, der über eine ganz erstaunliche Bodenhaftung verfügt und an dem nichts, aber auch gar nichts darauf hinweist, daß man es mit einem echten Star zu tun hat. Mehr noch: Die Aussagen, Anekdoten, Erzählungen und Beschreibungen zu seiner Karriere sind beinahe schon erschreckend unspektakulär, sensationsarm und skandalfrei und in ihrer Folgerichtigkeit und Logik geradezu ernüchternd. Dennoch oder gerade deshalb wurde das Gespräch hochinteressant und spannend, bot ungewöhnlich offene Einblicke in die Alltagswelt der Puhdys im Speziellen und der Rock-Szene der DDR im Allgemeinen und ließ am Ende (fast) keine Fragen mehr offen... Aber lest selbst:
 

 
Dein erstes Instrument war - auf eigenen Wunsch hin - das Akkordeon. Was gefiel dir daran so, daß du es unbedingt lernen wolltest?
Ich hatte als kleiner Junge den Traum gehabt, Weihnachtslieder zu spielen, habe so ein bißchen am Klavier rumgefummelt... Meine Eltern waren aber dagegen, daß ich Musik mache, deshalb hat mir meine Oma ein Akkordeon geschenkt. Bei ihr habe ich dann heimlich geübt. Als ich soweit war, spielte ich zu Hause ein Weihnachtslied vor, da hat meine Mutter geweint und ich durfte nun doch Musik machen.

Wie "erfolgreich" war deine Karriere als Akkordeonspieler und inwiefern übte sie Einfluß auf deinen weiteren Werdegang aus?
Eigentlich überhaupt nicht. Ich habe noch eine Weile weiter geübt, bis ich auch sehr technisch geprägte Stücke spielen konnte und dann aufgehört.

Dann kam das Saxophon - gleiche Frage: Warum gerade dieses Instrument und wie weit hast du es damit gebracht?
Ja warum... Ich hatte schon ein bißchen Unterricht gehabt und es hat mir einfach Spaß gemacht. So hab ich dann Tenor geblasen und auch Klarinette, bei einer Firma, die Karo-As hieß. Die Truppe war wirklich gut und hat auch bei verschiedenen Wettbewerben erfolgreich abgeschnitten.

Wie bist du dann letztlich beim Baß gelandet?
Wir haben mit Karo-As desöfteren im Kulturhaus des Stahl- und Walzwerks Hennigsdorf aufgespielt. Dort war auch eine Bar und da trat eines Tages ein Golden Trio auf - drei Typen, Akkordeon, Gitarre, Kontrabaß. Und Goldi, der Akkordeonspieler, kam auf mich zu und meinte, dem Bassisten ginge es nicht so gut und ob ich nicht für ihn einsteigen könnte. Auf meinen Einwand, ich hätte noch nie Baß gespielt, sagte er, das sei kein Problem: Einfach rauf- und runterrennen, alle drei Titel den Baß einmal drehen - und die Welt wäre in Ordnung. Also habe ich das Saxophon wieder seinlassen und fortan Kontrabaß gespielt. Nach einem halben Jahr war es mir dann aber doch ziemlich peinlich, daß ich mit einem Instrument unterwegs war, das ich gar nicht spielen konnte und habe Unterricht genommen. Noten kannte ich ja schon von Saxophon und Klarinette her, aber beim Baß ist das eben alles ein bißchen anders. Ungefähr nach einem Monat konnte ich bereits halbwegs richtig nach Harmonien spielen.
Wiederum ein halbes Jahr später kam dann Peter Meyer auf mich zu: Die Uwe-Wendel-Combo aus Falkensee suche einen E-Bassisten... Wir trafen uns und haben geprobt - drei, vier Stunden Repertoire hatten wir am Ende drauf. Unser erstes Konzert in Brieselang bei Berlin ging aber über zwölf Stunden. Also schoben wir immer wieder "auf besonderen Wunsch" Wiederholungen ein (lacht). Jedenfalls hatte ich nun angefangen, Baßgitarre zu spielen und ging für drei Jahre zur Musikschule Berlin, Spezialklasse für Tanzmusik, damit das Ganze ein solides Fundament bekam. Und dort waren auch Meyer, Gunther, Quaster und Maschine...

Vor dem eigentlichen Start der Puhdys 1969 gab es bereits mehrere Bandvarianten unter dem Namen. Bitte erzähl uns etwas über diese Zeit.
Vor den Puhdys hatten wir eine Truppe mit Udo Jakob, der Schlagzeug spielte und managte. Später kamen dann Henry Kottowski und seine Frau und Herbert Dreilich hinzu. Ein knappes halbes Jahr waren wir so zusammen, haben unter anderem auch schon eine Tournee durch Rußland gemacht. Genannt haben wir uns damals Henry-Kottowski-Sextett. Wir dachten, das sei gut, weil Kott'n schon bekannt war und man sich so besser verkaufen könnte, doch es ging nach hinten los. Kottowski hielt sich plötzlich für den Chef, machte auf eigene Faust Abrechnungen, die eigentlich meine Aufgabe waren... Das war nicht akzeptabel und so haben wir uns wieder getrennt. Herbert ging zu den Alexanders und Peter und ich fingen mit den Puhdys an.

Wie kam der Name zustande?
Wir haben intensiv nach einem Namen gesucht, aber es fiel uns nichts ein. Also nahmen wir einfach die Anfangsbuchstaben unserer Vornamen und hängten, damit es besser klang, noch ein Y und ein S hinten an. Die Genossen dachten, das sei Englisch und suchten eifrig nach einer Bedeutung von "Pjudies" (lacht), aber es gab natürlich keine, weil es eben nur unsere Initialen waren. Peter (Meyer), Udo (Jakob), Harry und Dieter (Hertrampf): PUHDYS. Eigentlich ein richtiger Scheiß-Name für eine Band damals, aber nach den ersten Erfolgen interessierte das keinen mehr.

Gewissermaßen vom ersten Tage an, da die Puhdys begannen, eigene Titel zu komponieren, stand euch Wolfgang Tilgner als Texter zur Seite. Wie kam der Kontakt zu ihm zustande und wie ergab es sich, daß er euer Stammtextdichter wurde?
Also, genau weiß ich das mit dem Kontakt nicht mehr, da hat sich Meyer drum gekümmert... Es ist damals so gewesen, daß wir erstmal alles mögliche nachgespielt haben. Uriah Heep, Deep Purple, Beatles, Rolling Stones - alles was eben gerade angesagt war. Bei einem Konzert in Leipzig 1971 kam Chris Wallasch (Moderator "Schlagerstudio") auf mich zu und nahm mich zur Seite: "Harry, komm mal mit, ich muß dir was erzählen...". (Ich managte damals schon die Gruppe und Wallasch kannte mich auch, weil wir in derselben Gegend wohnten.) "Also, paß auf", sagte er, "es haben 164 Fans geschrieben, sie wollen die Puhdys im Fernsehen sehen. Ihr könnt bei mir in der Sendung mitmachen, müßt aber ein eigenes, deutschsprachiges Lied mitbringen." Das war natürlich toll für uns, Maschine setzte sich hin und schrieb die Musik zu "Türen öffnen sich zur Stadt". Wolfgang Tilgner steuerte den Text bei, aber warum gerade er das tat, kann ich nicht sagen. Das müßte Peter wissen, der den Kontakt zustande gebracht hat. Keine Ahnung, wie... Tilgner war jedenfalls irgendwie da, hat den Text gemacht und der Titel wurde aus dem Stand sehr erfolgreich, hat sich immer mit "Wer die Rose ehrt" von Renft auf dem ersten Platz abgewechselt. So fing das an und wurde gleich beibehalten, denn es funktionierte ja. Irgendwann kam dann auch noch Burkhard Lasch hinzu. Meiner Meinung nach kamen von ihm die besseren Texte, also "Alt wie ein Baum", "Bis ans Ende der Welt", "Melanie" - die paßten einfach besser zu uns, fand ich persönlich. Womit ich aber Wolfgang Tilgner nicht abwerten möchte, der war natürlich auch richtig gut.

Du hast von Anfang an die organisatorischen Belange der Puhdys koordiniert. Wurde das so festgelegt oder wie hat sich das ergeben?
Der Punkt war, daß wir uns damals von Udo Jakob trennen wollten, der - wie erwähnt - sich auch um das Management kümmerte. Damit gab es keinerlei Probleme, aber er war am Schlagzeug nicht so doll, wie wir uns das vorstellten. Also sagten wir uns: 'Wir wollen ein bißchen besser sein und suchen uns einen neuen Trommler.' Damit stand die Frage im Raum, wer denn das Organisatorische übernehmen sollte und ich sagte: "Jut, ick mach det." Hab ich einfach so gesagt. Nicht, daß ich früher schon jemals etwas in der Richtung gemacht hätte... (lacht), aber ich hab's einfach übernommen und es hat funktioniert.

Wie hat sich die Arbeit als Organisator damals dargestellt? Welche Aufgaben umfaßte das genau und wie schwierig war deren Umsetzung?
Naja, es war schon nicht einfach... Wir haben unser erstes Konzert am 19.06.1969 in Freiberg gegeben und dann dort übernachtet. Auf dem Rückweg am nächsten Tag hielten wir in jedem Dorf an, gingen ins Kulturhaus und fragten, ob wir nicht hier spielen könnten. Da uns aber keiner kannte, wollte uns auch keiner haben. Das war dann immer der Punkt, an dem Meyer sich umdrehte und rausging, während ich solange drinblieb und herumnervte, bis ich den Vertrag in der Tasche hatte. Das waren die Anfänge und die waren schon schwierig. Beim bereits erwähnten Konzert in Freiberg waren nur 40 Leute da, aber der Veranstalter fand das so gut, daß er uns gleich wieder eingekauft hat. Wir spielten damals so um die fünf Stunden zum Tanz, das wurde mit der Zeit immer besser und dann kamen auch Angebote. Das entwickelte sich immer weiter, es kam "Türen öffnen sich zur Stadt", wir liefen im Rundfunk, später folgte die Schallplatte. Unser zweiter Titel "Geh dem Wind nicht aus dem Wege" erschien auf einer Sammel-LP, dann hatten wir eine eigene... Schritt für Schritt wurden die Puhdys bekannter und meine Arbeit als Manager dadurch leichter. Natürlich wurden dabei auch mal "Flaschen transportiert" (lacht), also Veranstalter mit kleinen Souvenirs "überzeugt", wie es halt damals war. Aber das hat richtig Spaß gemacht.

Der "Durchbruch" der Puhdys kam 1973 durch eure Mitwirkung am Film "Die Legende von Paul und Paula". Wie ging das vor sich? Habt ihr euch dafür beworben oder wurdet ihr angesprochen?
Peter Gotthard hatte die Musik für den Film geschrieben, "Wenn ein Mensch lebt", "Geh zu ihr" und "Von der Liebe ein Lied" - diese drei Titel und ist dann an uns herangetreten. Er hatte uns irgendwo gehört und fand, daß wir genau die richtige Band dafür wären. Wir haben dann mit ihm zusammen geprobt, die Songs produziert und letztlich auch in dem Film mitgemacht. Der Anstoß kam also von Peter Gotthard. Lange bitten mußte er uns nicht...

Die beiden Hits aus dem Film "Geh zu ihr" und "Wenn ein Mensch lebt" sind noch heute jedem ein Begriff, der sich mit der Musik aus der DDR beschäftigt und waren damals lange Zeit nicht aus Funk und Fernsehen wegzudenken. Sie sind quasi zum Kulturgut der DDR geworden. Und doch waren sie im Grunde von westlichen Vorbildern (Slade, Bee Gees) abgekupfert worden, was nicht einer gewissen Ironie entbehrt. War euch damals eigentlich bewußt, daß Komponist Peter Gotthard "geschummelt" hatte?
Nee, das war uns nicht bewußt (fängt an zu lachen), das haben wir erst mitbekommen, als uns Fans auf "gewisse Ähnlichkeiten" zu Slades "Look Wot You Dun" (Geh zu ihr) und Bee Gees' "Spicks And Specks" (Wenn ein Mensch lebt) ansprachen. Peter Gotthard hatte bei letzterem sogar das komplette Urband genommen und einfach eine neue Melodie draufgemacht. Wir haben uns mal mit ihm darüber unterhalten und er meinte nur: "Rechtlich gesehen darf man das ja...". Letzten Endes spielt das aber auch keine Rolle. Der Erfolg war da und gab ihm Recht.

Auf dem Cover der ersten Puhdys-LP hast du so einen komischen aufblasbaren Clown in der Hand. Hatte es damit eine bestimmte Bewandtnis?
Nee, das war nur so ein Gag, hihi...

Die Platte wurde relativ schnell das, was man einen "Renner" nennt. Wie hat sich die plötzliche Popularität auf die Gruppe und ihr Schaffen ausgewirkt?
Plötzliche Popularität? Naja, zu Anfang hat man in der DDR kaum etwas bekommen, also keine LPs und so... da hat sich Peter immer ans Radio gesetzt und die englischen Texte der angesagten Titel mitgeschrieben, die wir dann in unser Programm aufgenommen haben. Natürlich war unser Ziel, irgendwann mal im Ausland auftreten zu können und unseren Horizont zu erweitern. 1973 sind wir zum ersten mal nach Belgien geflogen. Das war noch nichts weiter Besonderes, nur so eine Mugge beim Bierfest. 1974 folgte Holland, 1975 noch einmal und 1976 haben wir das erste mal in der Fabrik in Hamburg gespielt. Und da ging's dann erst richtig los. Wir sind u.a. im Musikladen aufgetreten und es war damals so: Wenn du als Ossi im Westen zu sehen warst, dann warst du plötzlich wer. Vorher war man für viele in der DDR noch relativ uninteressant, doch mit dem Auftritt im Westfernsehen stieg die Achtung auf einmal enorm. So waren die Leute bei uns halt drauf... Aber wie auch immer: Hat man Erfolg, dann freut man sich und wird natürlich weiter angespornt.

Auf dem zweiten Album war erstmals auch ein von dir komponierter Titel zu hören: "Lied für Generationen". Wie entstand er?
Der ist mir auf der Toilette eingefallen, das weiß ich noch... (lacht)

Und wie kam die noch junge Band dazu, ausgerechnet das Älterwerden zu thematisieren (das sich wie ein roter Faden auch durch die späteren Veröffentlichungen zieht)?
Das kam von den Textern. Wir haben zunächst die Musik komponiert und darauf haben die Texter geschrieben. Wir fanden das gut und deshalb haben wir's gemacht. Natürlich haben wir auch mal Texte abgelehnt, die wir nicht so gelungen fanden, andere wiederum kamen an anderer Stelle nicht durch... Ich weiß zum Beispiel noch, daß es bei "Der Außenseiter" von 1981 Kontroversen gab. Der Text von Burkhard Lasch war ursprünglich ein Schwulen-Thema. Da hat AMIGA die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen: "Um Gottes Willen! Bei uns gibt's doch keine Schwulen." Was natürlich Quatsch war, man mußte nur mit offenen Augen durch die Gegend gehen... Lasch hat den Text dann abgeändert: "Was kann er dafür, daß er anders ist als du...", so daß man durch die Blume immer noch herausfinden konnte, was er meint, ohne konkret zu werden. Vorher war das direkt auf den Punkt getextet, aber das ging im Osten eben nicht.

Da du gelernter Akkordeonspieler warst, läge es nahe, daß du die Parts mit diesem Instrument bei "Lied für Generationen" selbst eingespielt hast. Hast du?
Nein, habe ich nicht. Ich glaube, Peter hat das eingespielt. Genau weiß ich's nicht mehr.

War es deine Idee, das Akkordeon in den Song zu integrieren bzw. wie kam es überhaupt dazu? Ist ja für Rockmusik nicht gerade ein Alltagsinstrument...
Die Idee kam von Maschine. Es ist ja ein sehr melancholisches Lied, da paßte das gut rein. Fanden wir alle - also wurde es in die Tat umgesetzt. So lief es im Prinzip immer: Wir überlegten uns, wie man die Songs am besten ausgestalten könnte, einigten uns und produzierten sie. Wir haben stets probiert und getestet, was zu unseren Songs paßt, da ergab sich im Studio eben so manches. Das ist aber keine Puhdys-spezifische Eigenart, das machen alle Musiker so.

Ab der dritten LP "Sturmvogel" wurden - bis auf wenige Ausnahmen - alle Titel allgemein als Puhdys-Kompositionen aufgeführt. Warum? Hatte sich die Arbeitsweise beim Songwriting so verändert?
Ja, wir haben die Songs immer öfter zusammen gemacht, und "Puhdys" dahintergeschrieben, wenn wir alle beteiligt waren. Das war dann das Einfachste. Hat sich halt so ergeben...

Beim Song "Auf dem Wege" wurde das Gitarrensolo aus "Wie ein Pfeil" zum zweiten mal verwendet. Wieso?
Kann ich euch nicht sagen, wieso... Wie war das? Was wurde bei "Auf dem Wege" zum zweiten mal verwendet?

Das Gitarrensolo. Es ist genau dasselbe, wie bei "Wie ein Pfeil".
Echt? Hab ich gar nicht mitbekommen, tut mir leid... (lacht lauthals) Ist es wirklich genau dasselbe? Meint ihr?

Aber ja, das ist ganz sicher, 100%ig!
(lacht weiter) Weiß ich nicht, das hat Maschine in der Hand gehabt... Kann ich euch wirklich nichts dazu sagen (lacht immer noch).

Vielleicht lag es daran, daß es "Wie ein Pfeil" nicht auf eine reguläre Platte geschafft hat und Maschine das Solo "retten" wollte... na, wie auch immer. Das müssen wir an anderer Stelle klären. Weiter im Text: Unterdessen war das Renft-Verbot über die Bühne gegangen. Habt ihr das mitbekommen und hat es euch auf irgendeine Weise beeinflußt?
Ja, natürlich haben wir das mitbekommen, da ging es u.a. um einen Text über einen, der über die Elbe nach "drüben" abhauen wollte... Beeinflußt hat uns das nicht. Wir wären so ein Risiko nicht eingegangen. Warum soll man sich selber in den Arsch treten? Renft haben es wohl bewußt darauf angelegt und das war das Ende. Das mußte in die Hose gehen. Wir waren im Osten ja letztlich eingemauert, da war eine Riesen-Betonwand, da kam man nicht durch. Und auch Renft kamen mit diesem Text nicht durch, das war mir von vornherein klar.

Wie kam die Idee auf, als nächstes eine komplett englischsprachige Schallplatte mit Rock'n'Roll-Coverversionen zu produzieren? War es schwierig, sie in die Tat umzusetzen?
Die Idee ist dadurch aufgekommen, daß die Fans das wollten. Sie haben uns immer wieder darauf angesprochen und so haben wir uns entschlossen, es zu machen. Die Titel wurden mit AMIGA ausgesucht, wir hätten da nicht jeden beliebigen nehmen können. Songs über Drogen oder andere Tabuthemen gingen natürlich nicht. Also wie gesagt, man setzte sich zusammen, wählte die Lieder aus und dann haben wir sie aufgenommen. Und die Sache wurde ein großer Erfolg.

Hat es euch überrascht, daß das Album sofort zum begehrten Kult-Objekt wurde, das selbst in ansonsten ostrockfreien Plattenschränken Einzug hielt?
Ich muß sagen, das hat uns schon sehr überrascht! Im allgemeinen wurden immer um die 300.000 LPs hergestellt, mehr ging angeblich nicht, weil das Vinyl Devisen kostete und davon gab es in der DDR nicht allzu viel. Von "Rock'n'Roll Music" wurden aber erheblich mehr Exemplare gepreßt, das ging an die Million! War wohl ein gutes Geschäft...

Ihr wart die erste Rockband der DDR, die auch in der BRD und Westberlin auftrat und dort Fuß faßte. Wie kam das zustande und wie seid ihr "drüben" angekommen?
Die Schlüsselfigur war Peter Schimmelpfennig vom Pool-Verlag in Westberlin. Wolfgang Martin vom Rundfunk der DDR sagte eines Tages zu mir, er hätte da einen Typen aus Westberlin kennengelernt, der "Geh zu ihr" unheimlich dufte fände und es unbedingt im Westen herausbringen wolle. Ich sag: "Na wunderbar, her mit der Telefonnummer!" Das war kurz bevor wir 1975 nach Holland fuhren. Auf dem Rückweg haben wir in Hamburg Station gemacht und da habe ich Schimmelpfennig angerufen. Wir haben uns dann gleich in Hannover getroffen und über die Sache geredet. Ich gab ihm den Tip, einfach bei AMIGA anzurufen und das tat er wenig später auch. AMIGA war natürlich gleich Feuer und Flamme und kurz darauf kam er zu Verhandlungen nach Ostberlin und kaufte letztlich eine LP. Die versuchte er anschließend, im Westen an den Mann zu bringen. Es dauerte aber ein halbes Jahr, bis er uns bei HANSA unterbrachte. So fing das an und dann lief es. Er kaufte weitere LPs von uns ein, später dann auch City und Karat und letztlich holte er so ziemlich den ganzen Ostrock rüber. Zumindest die Platten, reisen durften ja nicht alle...

Für dich als Organisator muß das doch ziemlich aufregend gewesen sein, oder...?
Klar war das aufregend!

Wie stark konntest du auf die Dinge Einfluß nehmen?
(überlegt) Hm, mal mehr, mal weniger, das kann man nicht so eindeutig sagen... Einfluß nehmen konnten wir schon, aber wenn etwa der Rundfunk gesagt hat: "Das spielen wir nicht!", dann spielten sie es eben nicht. Das betraf zum Beispiel den Titel "Ich will nicht vergessen". Den wollten sie nicht bringen, wegen "Deutschland" und "...die Leute drüben und hier...". Der Text war von Burkhard Lasch und der ist deswegen zum Rundfunk gefahren und hat sich dafür stark gemacht, daß jeder Diskjockey den Titel wenigstens einmal in der Woche spielen darf. Aber das nützte nichts, wenn die Politik einmal "Nein!" gesagt hatte, dann hieß das auch "Nein!". Da konnte man nichts dran ändern.

Das bezog sich eigentlich mehr auf die West-Angelegenheit... also, wie frei war man, wenn man die Grenze passiert hatte und wieviel wurde "von oben" vorgeschrieben?
Vorschriften gab es eigentlich nicht, aber wir konnten auch nicht großartig Einfluß nehmen. Wenn wir ein Gastspiel drüben hatten, habe ich bei der Künstleragentur die Pässe abgeholt und dann fuhren wir halt los. Es hat uns keiner gesagt, daß wir uns nicht mit West-Typen treffen dürfen oder so. Gewünscht war das zwar nicht, aber es ergab sich automatisch. Maschine und Peter hatten Verwandte dort, meine Tochter lebte auch im Westen, bei ihr haben wir dann mal übernachtet. Das ist ganz normal. Wenn wir zurückkamen, mußten wir immer so einen Zettel ausfüllen, ob wir uns mit Leuten von drüben getroffen haben und so. Da schrieben wir einfach "Nein" rein und fertig. Ich meine, die wußten doch sowieso, was ablief, wir standen ja ständig unter Beobachtung. Wie hätte man denn auch ein Konzert spielen können, ohne mit den Leuten da zu sprechen? Das konnte man nicht ernst nehmen. Natürlich haben wir abends mit den Leuten zusammengesessen, ein paar Fans noch dazu, haben was getrunken und diskutiert.
Es gab da zum Beispiel diese sozialistischen Parteigruppen im Westen. Die waren ja so verrückt - die wollten uns erzählen, wie toll es bei uns in der DDR doch ist. Aber wenn man dann fragte, warum sie nicht einfach rüberkommen, war die Begeisterung nicht mehr ganz so groß. Die wollten ja trotzdem reisen und alles kaufen können... da hat man sie ganz schnell rangekriegt. Es existierten Camps am Wandlitz-See, wo die Wessis Urlaub gemacht haben - na klar, die haben alles bekommen, Essen, Trinken und und und... da standen die natürlich drauf. Ganze Jugendgruppen wurden dorthin eingeladen, aber die Wahrheit erfuhren sie natürlich nicht. Das war am Ende alles Lug und Trug.

Welchen Einfluß hatten die West-Tourneen auf euren weiteren Werdegang?
Eigentlich keinen, bei uns ist alles so geblieben, ganz normal. Wir waren ja auch keine Trinker, sondern haben mehr bei Kaffee und Kuchen zusammengesessen, wie die alten Weiber (lacht)..., haben geprobt wie immer. Bei uns hat sich da nichts verändert. Ich mein klar, vor unserem ersten Konzert in der Fabrik in Hamburg hatten wir schon ein bißchen Schiß. Wir wußten ja nicht, wie's funktionieren würde. Die Auftritte in Holland konnte man nicht werten, die hatten in Diskotheken vor wenigen Leuten und ohne Promotion stattgefunden. Das war in Hamburg schon etwas anderes, aber als wir dann den ersten Titel gespielt hatten und die Leute brüllten, wußten wir, wir haben gewonnen. Udo Lindenberg war auch da, mit dem haben wir danach noch zusammengesessen. Das war ein guter Start. Es war auch einer da, der aus der DDR abgehauen war und in München bei der BRAVO arbeitete. Der ist extra nach Hamburg geflogen und hat 4000 Fotos von uns gemacht! So kamen wir in die BRAVO und dann ging das immer mehr los. Das war schon gut, aber wir haben uns menschlich nicht verändert. Karrieremäßig ging es aber schon vorwärts. Wie bereits erwähnt: Wenn man im Westen bekannt war, dann war man automatisch besser als vorher, obwohl man ja gar kein anderer war (lacht). So dachte die große Masse des Volkes und hat uns mit anderen Augen gesehen, wodurch es für uns leichter und besser wurde.

Nachdem ihr einige Jahre quasi konkurrenzlos die Rockszene in der DDR angeführt hattet, schwangen sich nun zunächst City, dann Karat auf vergleichbare Positionen und überholten euch zeitweise sogar. Wie habt ihr das empfunden?
Als ganz normal. Es kann ja nicht auf Dauer so sein, daß es nur eine Gruppe gibt, die Erfolg hat. Es müssen zwangsläufig auch andere kommen, die mal vor einem liegen. Außerdem war das gar nicht so neu für uns, denn mit Renft war es ähnlich. Ich hatte ja vorhin schon gesagt, daß "Türen öffnen sich zur Stadt" und "Wer die Rose ehrt" sich auf dem ersten Platz immer wieder gegenseitig ablösten. Und Konkurrenz ist etwas Gutes, davon profitieren alle. Letztlich hat uns ja keiner etwas weggenommen, wir waren doch weiterhin erfolgreich. Sicher, wenn jetzt plötzlich nur noch andere auf den vorderen Plätzen gewesen wären und wir gar nicht mehr, hätte uns das wohl weniger gefreut (lacht), aber so war das zum Glück nicht. Ein Beispiel: Da war mal die Gruppe Kreis mit "Doch ich wollt es wissen" in allen Hitparaden auf dem ersten Platz und sie waren die Größten. Aber danach kam nichts mehr, da waren sie weg vom Fenster. Wir dagegen hatten jedes Jahr ein, zwei Hits, wir blieben immer oben. Das war der Unterschied.

Trotzdem seid ihr in vielerlei Hinsicht Vorreiter geblieben, beispielsweise ging auch das erste Live-Doppelalbum auf euer Konto. Wie kam es dazu?
Eine ganz natürliche Entwicklung. Die Zeit war reif dafür und dann passierte es einfach. Jemand hatte die Idee dazu und dann wurde es gemacht. Wir haben auch andere Dinge getan, die es vorher noch nicht gab. Da war zum Beispiel die Meinung im Komitee für Unterhaltungskunst, daß man den Westen nicht nachmachen dürfe in Sachen Merchandising, Bandnamen auf Kugelschreibern und sowas... Kurz danach hatte jeder in diesem Komitee einen Puhdys-Kugelschreiber in der Hand, hahaha... die hab ich einfach machen lassen. Oder ich bin in Sportgeschäften herumgerannt und habe T-Shirts gekauft und die bedrucken lassen. Das war im Westen üblich, aber bei uns nicht. Und ich hab es trotzdem gemacht und hatte richtig Spaß dabei.

Apropos live: Die Bühnenchoreographie der Puhdys war mittlerweile schon legendär - jeder von euch fiel auf seine Weise auf. Etwas ungewöhnlich fanden wir es aber schon immer, daß du dich meist in einer abseits der sonstigen Action gelegenen Bühnenecke auf das bloße Spielen deines Basses beschränktest. Das wirkte immer ein wenig introvertiert, außerdem hast du dich auch klamottentechnisch extrem von den anderen unterschieden. Steckte da eine tiefere Philosophie dahinter und welche? Oder war das einfach nur Zufall, der zur Gewohnheit wurde?
Nein, da steckte nichts dahinter, das war einfach so. Ich rede zwar am Telefon wie ein Wasserfall (Allerdings! Anm. d. Verf.), bin aber ansonsten eher ein ruhiger Typ, so daß mir der Quadratmeter auf der Bühne vollkommen ausreichte (lacht). So herumspringen wie Maschine wär' mein Ding nicht gewesen. Und das mit den Klamotten - das hat sich einfach ergeben, da war nichts abgesprochen. Nur einmal hat uns das Komitee für Unterhaltungskunst in so weiße Anzüge gesteckt, für die LP "Sturmvogel". Das hat aber eigentlich gar nicht zu uns gepaßt. Natürlich, als wir das erste mal in Holland waren, haben wir uns mit Klamotten eingedeckt, die man bei uns nicht bekam, Jeans und so. Aber da hatte jeder seine eigenen Vorlieben. Klar hat Maschine mal gesagt: "Mensch Harry, kauf dir doch mal eine schöne schwarze Jacke!" oder andere haben Vorschläge gemacht, doch nie im Sinne einer Choreographie.

Nach zehn Jahren in unveränderter Besetzung verließ Gunther Wosylus die Puhdys. Was hatte dazu geführt?
Gunther war eigentlich schon immer ein bißchen ein Alleingänger. Wenn wir noch fast auf der Bühne standen, saß er schon im Auto und war weg. Er war nie so im Team integriert wie wir anderen. Dann kam dazu, daß er mehr mit seiner Familie machen wollte - es paßte einfach nicht mehr und so einigten wir uns nach 10 Jahren des Bestehens auf eine Trennung. Einen Nachfolger hatten wir uns auch schon auserkoren: Wir wollten Michael Schwandt von Karat haben! Und der hatte sogar schon zugesagt, aber das Komitee für Unterhaltungskunst machte uns einen Strich durch die Rechnung. Man könne Karat nicht kaputtmachen und so. Fand ich Quatsch, Karat hätte dann einfach jemand anders genommen. Wir jedenfalls wollten gerne wieder so einen großen, gut aussehenden Schlagzeuger haben, da hätte Michael gut gepaßt. Hat aber nicht sollen sein. Mit Klaus Scharfschwerdt fanden wir dann einen sehr guten Trommler. Der war zwar ein bißchen klein (lacht), aber wir dachten, wir können ihn ja ein bißchen strecken. Aber mittlerweile dürfte es dafür wohl zu spät sein (lacht lauter).

Mit "Far From Home" gab es 1981 eine zweite LP in englischer Sprache, diesmal allerdings mit "Coverversionen" eigener Titel. Welche Idee steckte dahinter? Wie zufrieden wart ihr mit dem Ergebnis?
Die Idee kam wieder von unseren Fans und von Peter Schimmelpfennig. Er kannte einen Texter aus Bremen (Wolfgang Michels), der unsere Texte dann ins Englische übersetzte. Anschließend hat Colin Richardson aus London mit Maschine und Quaster vier Wochen lang geprobt, bis sie die englischen Texte gut rüberbringen konnten, dann wurde aufgenommen und im Studio "Ridge Farm" in London gemixt. Wir fanden das ganz gut, allerdings haben Leute, deren Muttersprache Englisch war, nicht viel verstanden... Wir haben uns viel Mühe gegeben, aber es war natürlich nicht einfach, weil uns die Vorkenntnisse fehlten. Trotzdem: Zum ersten mal eine englische Platte mit eigenen Titeln machen zu können, hat uns gefreut.

Nach der LP "Computer-Karriere" habt ihr den bisherigen Jahresrhythmus bei neuen Aufnahmen aufgegeben. Was waren die Gründe dafür?
Vielleicht gingen uns die Ideen ein bißchen aus... weiß nicht. Aber triftige Gründe gab es dafür nicht.

Auf "Neue Helden" von 1988 war einiges anders als gewohnt. Vor allem gab es keine Texte mehr von Wolfgang Tilgner oder Burkhard Lasch. Sie stammten von einem gewissen Kowarski, einem Pseudonym, hinter dem sich kein geringerer als Kurt Demmler verbarg, der allerdings bis dahin noch nie für euch gearbeitet hatte. Zweiteilige Frage: Warum kam es erst so spät zu einer Kooperation mit ihm und warum unter so "geheimnisvollen" Umständen?
Warum so spät? Keine Ahnung, das hat sich eben so ergeben. Wahrscheinlich wollten wir einfach mal etwas anderes versuchen und Demmler war bekannt und renommiert. Also warum nicht? Das Pseudonym war seine Idee, er wollte das so haben und wir haben uns darüber keine Gedanken gemacht.

"Neue Helden" war eine Co-Produktion zwischen AMIGA und Koch-Records aus München. Wie kam es dazu?
Das war auch einfach ein Versuch. Die Sache mit Schimmelpfennig lief nicht mehr so und Koch hatte sich angemeldet und wollte uns haben. Das war damals eine große Nummer, großes Studio und so, auch in Österreich. Also haben wir uns gesagt... das heißt, AMIGA hat ja auch kräftig mitgemischt: Warum nicht mal etwas anderes probieren? Wir haben gedacht, das wär' der große Hit, war es aber eigentlich nicht. So toll ist es letztlich dann nicht gelaufen. Aber das ist ja immer so: Verläßt man die eingefahrene Schiene, bleibt am Ende die Frage, ob das gut so war. Doch was soll's, hinterher kann man leicht sagen: "Hätten wir mal..."

Warum hatte das Album zwei verschiedene Cover und welches war das Original?
Das Original war das mit den beiden Babys, dem sowjetischen und dem amerikanischen. Das wollte AMIGA aber nicht haben. Wir dagegen schon, denn wir fanden es ganz witzig. Letztlich erschien es dann nur im Westen und hier kam so ein grünes Blatt aufs Cover...

... das reichlich unauffällig aussah.
Genau, ja... Gefährlich richtig!

Was führte zu der Entscheidung, 1989 den Abschied der Puhdys bekannt zu geben? War es Zufall, daß kurz danach die Wende kam oder habt ihr sie vorausgesehen und euch gerade deshalb aus der Öffentlichkeit zurückgezogen?
Nein, das war kein Zufall. Zu dem Zeitpunkt hatten wir alle bereits "Nebenjobs", Peter und Maschine betrieben ein Studio, ich hatte auch eins und Klaus und Quaster vermieteten eine Lichtanlage an FDJ-Veranstaltungen. Die LP "Neue Helden" war nicht besonders gut gelaufen und das Interesse ließ allgemein ziemlich nach. Das war so die Zeit, als viele über Tschechien und Ungarn abhauen wollten und es im Lande einfach um ganz andere Sachen ging, als um Musik. Das Problem hatten nicht nur wir... Da sagten wir uns: "Mensch, wir haben alle ein Auskommen und sind nicht darauf angewiesen, auf Teufel komm raus unsere Musik an den Mann bringen zu müssen. Laßt uns eine Goodbye-Tour machen und dann aufhören." Gesagt - getan, wie immer halt. Wir einigten uns darauf und führten es durch. Im Nachhinein betrachtet war das eine sehr gute Entscheidung, denn so brauchten wir uns nicht über die Wende zu quälen. Die anderen Bands mußten... und das war sehr schwierig. Die Leute flogen nach Spanien, Griechenland und so und waren eben ganz woanders - da war die DDR-Musik überhaupt kein Thema mehr. Man ging lieber zu Uriah Heep und all den anderen West-Stars und kaufte auch lieber deren Platten. Das war alles interessanter und aufregender, was ja irgendwo auch verständlich ist. Erst so 1991, 1992 ging das wieder los, als viele Ossis sich erinnerten, daß manches ja gar nicht so schlecht gewesen war. Da hat mich ein Veranstalter aus der Nähe von Dresden angerufen, ob wir nicht bei einem Sommerfest ein Konzert spielen wollen. Zu der Zeit haben wir alle mehr oder weniger in der Luft gehangen, denn es war ja alles vorbei. Lichtanlage, Studio... das gab's im Westen alles besser und billiger. Also sagten wir zu und der Veranstalter ließ 500 Karten drucken, weil er meinte, das sei ausreichend. Dann kamen aber über 2000 Leute und es mußten Bierdeckel als Entrittskarten verkauft werden (lacht). Ein Neustart nach Maß! Es kamen sofort andere Veranstalter nach und 1993 haben wir bereits wieder 80-90 Konzerte gespielt.

Hattet ihr beim Comeback den Eindruck, wieder bei Null beginnen zu müssen?
Nee, überhaupt nicht! Das fing gleich volles Rohr wieder an. Es war eben wirklich Glück, daß wir zur Wendezeit nicht präsent waren. Zu uns konnten die Leute nicht kommen und schimpfen, denn wir waren einfach nicht da. Das war ideal. Plötzlich waren die Puhdys zurück und Bumms! - ging's wieder los.

Du hast in dieser "Neuzeit" der Puhdys wieder komponiert und erstmals auch gesungen, zunächst den Titel "Alles war so neu". Was hat dich dazu gebracht, dich als Sänger zu versuchen? Und warum wurde daraus am Ende dann doch das von Maschine vorgetragene "Keine Meile tut mir leid"?
Es war zu der Zeit so, daß Maschine immer häufiger fast alles alleine machte, was die Musik betraf. Da dachte ich mir: 'Probierste auch mal!' Warum... weiß ich nicht. Ich hab's vorgespielt, alle fanden's gut und dann haben wir's gemacht. Vielleicht hätte ich das schon viel früher mal tun sollen, aber ich habe dazu nie Zeit gehabt. Ich kümmerte mich ums Management, um den LKW, um die Lichtanlage ... auf Deutsch gesagt: Jeder Scheißdreck blieb an mir hängen, da war für anderes kein Platz. Das konnte ich höchstens nebenbei mal machen. Aber dann war's eben doch soweit und es ist etwas entstanden. Maschine war aber der Meinung, den Text, den ich gesungen habe - "Alles war so neu" - könne man nicht richtig singen, das würde nicht gut klingen. Also wurde ein neuer Text geschrieben - "Keine Meile tut mir leid" - , den fand Maschine gut und hat ihn auch gleich gesungen. Das ergab sich einfach so. Ist schwer zu sagen, warum... (lachend) Immer fragt ihr: Warum?

Naja, ähem...
Nein, nein, ist kein Problem. (lacht weiter) Aber für vieles gab es eben keine besonderen Gründe, es passierte einfach.

Die Puhdys arbeiteten sich peu a peu wieder nach oben, doch als sie dann tatsächlich nochmal richtig durchstarteten, warst du nicht mehr an Bord. Was führte zu deinem Ausstieg?
Ich hatte ein großes Problem: Die Ménièrische Krankheit. Das ist so etwas ähnliches wie ein Gehörsturz, nur viel schlimmer. Ich konnte nicht mehr sitzen, hatte Gleichgewichtsstörungen, danach kam drei bis fünf Stunden Erbrechen und dann lag ich zwei Tage flach. Die Ärzte hatten schon mindestens fünf Jahre vorher zu mir gesagt: "Harry, hören Sie auf! Irgendwann fallen Sie auf der Bühne um." Es wurde immer schlimmer, wenn ich drei Tage unterwegs war, hatte ich dann zu Hause einen Kopf "Meter mal Meter", als hätte mir einer mit dem Hammer vor die Birne gehauen. Also habe ich mich schweren Herzens entschlossen aufzuhören. Es fiel mir wirklich schwer, ich habe mindestens zwei Jahre lang daran zu knabbern gehabt. Aber mir war klar: Hätte ich es nicht getan, wäre ich wahrscheinlich tatsächlich umgefallen.

Es war sicher nicht leicht, plötzlich nicht mehr Teil dessen zu sein, was du jahrzehntelang mitgeprägt hast, oder? Die Puhdys hatten doch bis dato quasi dein ganzes Leben bestimmt...
Ja logisch! Wie schon gesagt: Es ging mir sehr nahe. Ich hatte mein halbes Leben damit verbracht, hatte mein Hobby zum Beruf gemacht... aber die Gesundheit war dann doch wichtiger. Ich wäre nicht mehr hier, hätte ich mich anders entschieden. Mittlerweile komme ich damit klar, auch mit der Krankheit, die ich hatte bzw. immer noch habe. Aber es ist inzwischen wesentlich besser und ich kann es kontrollieren. Ursachen sind Lautstärke, Streß, Hektik, Psyche, Nerven. Und Lautstärke war's bei mir. An meinem rechten Ohr stand immer Maschines Box und er spielte stets eine tierisch laute, verzerrte Gitarre. Als ich das den Ärzten erzählte, wußten sie sofort, daß das das Problem war. Aber man kann das Maschine nicht vorwerfen, schließlich hätte ich mich ja auch einfach woanders hinstellen können... bin also selber schuld.

Goldene Henne 1997: Wußtest Du tatsächlich nichts von dem Lied "Bye Bye Harryvederci"?
Nein, davon wußte ich in der Tat nichts.

Es gab einige Turbulenzen um deine Person hinsichtlich des Konzerts zum 30. Geburtstag der Puhdys. Warum warst du letztlich nicht dabei?
Weil ich der Meinung war, daß so eine Geschichte aus zehn, zwölf Konzerten hätte bestehen müssen. In allen großen Städten der ehemaligen DDR, also Dresden, Erfurt, Magdeburg usw. Ich meine: Warum sollen nur die Fans in Berlin die Bananen kriegen und die anderen nichts? Einfach nochmal eine Tour in Originalbesetzung machen, wie alle anderen großen Bands der Welt auch. Das war meine Idee, aber das wollten die anderen nicht.

Hast du noch Kontakt zu deinen ehemaligen Kollegen und könntest du dir vorstellen, beim 40. Bühnenjubiläum noch einmal mit den Puhdys auf der Bühne zu stehen?
Das könnte ich mir sehr gut vorstellen! Kontakt habe ich hauptsächlich noch mit Peter Meyer, denn wir haben zusammen einen Musikverlag. Deshalb telefonieren wir öfter miteinander. Maschine habe ich bei der Goldenen Henne mal wieder getroffen und quatschte eine Weile mit ihm, bei Klaus war ich vor kurzem auch... Also, es gibt da kein Problem, ich habe nichts gegen die ehemaligen Kollegen. Ich bin ja nicht ausgestiegen, weil ich keine Lust mehr hatte oder mit ihnen nicht mehr zurechtkam. Das hatte ausschließlich die beschriebenen gesundheitlichen Gründe.

Du warst auch nach deinem Ausstieg noch aktiv, es erschienen ein Buch und mehrere CDs, u.a. das Märchen von Haiko, dem Haifisch. Bitte erzähl uns etwas zu diesem Projekt: Wie entstand es, was hast du damit erreicht?
Ich war in Thailand im Urlaub, lag in der Sonne, hatte die Augen zu und dachte irgendwie an einen Fisch. Einfach so, ohne Hintergrund. Ich machte die Augen auf und da lief so ein kleiner Piepel mit Fahrrad den Strand entlang. Da machte es bei mir "Klick": Ein Fisch auf einem Fahrrad! Ein Haifisch! Haiko, der Haifisch! Ich besorgte mir Postkarten und habe mithilfe eines Bildwerfers einen niedlichen Haifisch entworfen. Davon habe ich T-Shirts anfertigen lassen. Dann schrieb ich Musik und Texte und habe das Ganze in Deutschland produziert. Der Vertrieb über ZYX Music lief aber überhaupt nicht. In Mecklenburg-Vorpommern wurde "Haiko der Haifisch" rauf- und runtergespielt, die Leute wollten es gerne haben, konnten es aber im Laden nicht finden. Wenn man etwas einfach in eine Schublade legt und diese dann zumacht, kann man das ganz leicht absterben lassen. Ich weiß nicht warum ZYX das gemacht hat, ich kann es nicht verstehen. Bei mir ging es dann los mit Ausland, ich war viel unterwegs und die Sache ist eingeschlafen. Aber jetzt wird "Haiko, der Haifisch" wieder aufgeführt, zu Weihnachten das erste mal in Österreich. Und im Theater in Wismar soll es auch auf die Bühne kommen.

Wann und warum hast du dich entschieden, fortan auf den Philippinen zu leben? Wie hat sich der Umzug auf dein Leben ausgewirkt?
Also, ich bin ja nicht wirklich umgezogen. Wir haben ein kleines Häuschen da, sind ein halbes Jahr hier, ein halbes Jahr dort, mal mehr, mal weniger. Der Grund ist eine Philippinin, die ich kennengelernt habe.
Es ist wunderschön dort, schön warm... wir haben eine Menge Tiere da, Vögel (Hühner, Puten, Enten), Zicken, 'nen Affen... Das macht großen Spaß, Tiere sind ja auch ehrlicher als Menschen. Die sind immer so, wie sie sind. Im Gegensatz zu uns Zweibeinern.
Die Filipinos sind unheimlich freundlich, nicht so muffig wie die Deutschen. Den Frust, der bei uns herrscht, hat man dort gar nicht. Da gibt es Leute, die total arm sind und einen trotzdem noch zum Essen einladen. Das ist toll. Das Klima ist auch gut, ich komme damit super klar. Die Luftfeuchtigkeit ist zwar etwas höher als hier, so 80%... jeder verträgt das nicht, aber mir macht es nichts aus. Ich fühle mich dort unheimlich wohl...

... und man wird sicher auch ruhiger.
Aber absolut!

Seit kurzem ist eine neue Best Of-CD von dir auf dem Markt. Was erwartet den Hörer?
Zum einen sind da eigene Titel von meiner Solo-CD "...und tschüss" enthalten, zum anderen Songs, die im Laufe der Zeit mit anderen Interpreten entstanden sind, zum Beispiel "Leidenschaft" von Tina, Kirsten Kühnert, die ehemalige Frau von Lippi, mit "Ich bin kein Blatt im Wind" oder Doktor D., unser früherer Bandarzt, singt "Das tapfere Schneiderlein". Dann ist da auch ein neues Lied drauf, "Die Welt", das singe ich auf Deutsch und unser adoptiertes philippinisches Mädel Roxan noch mal auf Englisch. In dem Titel geht es, grob zusammengefaßt, um Gesundheit. Die Puhdys sind ebenfalls mit dabei... Die CD heißt "Das alles bin ich" und genauso ist es auch.

Wie siehst du mit dem heutigen Abstand deine Zeit als Puhdys-Musiker? Gibt es Dinge, an die du dich immer wieder gerne erinnerst? Und solche, die du am liebsten aus deiner Vita streichen würdest?
Also, ich würde eigentlich alles noch mal genauso machen. Klar gab es mal Sachen die besser oder schlechter waren, das ist normal. Aber die Probleme waren anderer Natur: Die Autos, mit denen wir gefahren sind, der Barkas oder der Wartburg, waren ja laufend kaputt, darüber hat man ständig geschimpft... doch das nahm man letztlich gerne in Kauf. Die Zeit war wirklich unglaublich schön, ich werde sie niemals vergessen und möchte keine Sekunde davon missen.
Eine lustige Sache fällt mir gerade ein: Wir spielten in der Tschechei, da schaute ich nach rechts und auf einmal war Gunther weg, war einfach nicht mehr da und sein Schlagzeug auch nicht. Der Bühnenboden war zusammengebrochen und Gunther spielte plötzlich eine Etage tiefer. Das Konzert wurde abgebrochen und Quaster und ich wollten am nächsten Tag mal nachsehen, was eigentlich los war - auch wegen der Versicherung - da hat man uns nicht mehr reingelassen. Wahrscheinlich war die ganze Bühne total morsch... Aber gelacht haben wir dann doch drüber, obwohl es für Gunther und Quaster, der ebenfalls in der Versenkung verschwunden war, sicher im ersten Moment nicht so witzig war (lacht).
Oder in Rußland hat man uns mal eingeladen, das waren so Kosaken, die unheimlich Kohle hatten. Da stand der Kaviar büchsenweise auf dem Tisch, dazu der beste Sekt und Wodka und wir haben mit Teelöffeln Kaviar gegessen, wie die größten Herren. Irgendwie skurril, aber dennoch ein Erlebnis, hehehe...

Was hast du in Zukunft vor? Gibt es etwas, was du unbedingt gerne noch machen möchtest, wozu du aber bisher noch nicht gekommen bist?
Vor allem möchte ich noch ein bißchen in der Weltgeschichte herumreisen. Nach Australien noch mal, vielleicht auch mal nach China... Ich bin zwar schon viel gereist, aber das würde ich gerne noch weiter vertiefen, denn das sind Sachen, die einem keiner mehr wegnehmen kann.

Eines bliebe abschließend noch zu klären: Vor etwa 28 Jahren schrieb einer von uns (Name der Redaktion bekannt) als kleiner Junge (Ups...!) einen Brief an die Puhdys und lud euch darin zu seinem Geburtstag ein...
(prustet los) Hahahahahaha... (verschluckt sich) hust, hust...

... Warum seid ihr nicht gekommen!?
(lacht herzhaft weiter) Das weiß ich auch nicht mehr, das ist ja 28 Jahre her... Hahaha!

Es kam nie eine Antwort...
(immer noch lachend) Mensch, das ist so ewig her, ich kann es wirklich nicht mehr sagen...

Heißt das etwa, ihr hättet es ernsthaft in Erwägung gezogen!?
Ach Gott, wir sind so oft eingeladen worden, von X Leuten, von Mädels und und und... Wenn wir das alles hätten machen wollen, hätten wir ja keine Zeit mehr gehabt, Musik zu machen...

Stimmt auch wieder. Aber soweit denkt man halt nicht, "Wenn man klein ist...". So wäre der Kreis denn geschlossen. Wir danken sehr herzlich für dieses Gespräch!
Kein Problem, gern geschehen.

 
Interview: Knechtel Family
Vorbereitung: cr, kf

 
 

   
   
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