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Interview vom 01. April 2016



Anna-Marlene Bicking ist die Tochter von Andreas Bicking. Der Vater ist hier bestens bekannt, spielte in den 70ern bei FUSION, danach zusammen mit Angelika Mann in der Gruppe OBELISK und als Nachfolger von Thomas Kurzhals bei STERN MEISSEN. Die Tochter tritt in die Fußstapfen des Vaters und ist ebenfalls Musikerin. Sie trafen wir gelegentlich schon als Background-Sängerin von Ute Freudenberg, doch jetzt tritt sie aus den Schatten großer Namen heraus und will mit einem eigenen Projekt auf sich aufmerksam machen.001 20160406 1962891657 Vor wenigen Wochen überraschte sie zusammen mit Stern-Combo-Sänger Manuel Schmid im Duett und dem neu aufgenommenen Klassiker "Also was soll aus mir werden", und vor ein paar Tagen rief die junge Musikerin die Leute im Land zum Mitmachen bei ihrer Crowdfunding-Aktion auf. Mit "Kunst-Pop" will sie ein eigenes Album produzieren und hat sich damit große Ziele gesteckt. Finanziert werden soll das Ganze über eben erwähnte Crowdfunding-Kampagne, die dem geneigten Spender als Gegenleistung einiges mehr als nur Musik verspricht. Das nahmen wir zum Anlass, die Künstlerin zu einem Interview einzuladen. Am vergangenen Freitag unterhielt sich Christian mit Anna-Marlene Bicking über ihre Pläne und ihre bisherige Karriere ...




Dein Profil ist sehr weit gefasst. Man findet Dich im Netz als Songwriterin für Dein eigenes Projekt, aber auch als Komponistin für Film und Fernsehen. Ebenso bist Du Bandsängerin für viele nationale Bands, machst aber auch Backgroundgesang oder bist als Arrangeurin für Musicalshows tätig. Wofür schlägt Dein Herz?
Das ist gar nicht so leicht zu sagen, weil ich so eine Vollblutmusikerin bin, dass ich wirklich alles machen möchte. Ich habe viele Leidenschaften innerhalb der Musik, denn das ist mein Beruf, mehr mache ich auch nicht. Deswegen schlägt mein Herz total für die Musik. Es ist dabei egal, ob ich auf der Bühne stehe, arrangiere, selber singe oder im Hintergrund eine Filmmusik schreibe. Alles ist toll, denn ich kann genau das machen, was mir Spaß macht.

Und jetzt kommt Dein eigenes Albumprojekt unter dem Titel "Kunst-Pop 2016", wofür Du ja zur Vorfinanzierung eine Deutschlandweite Crowdfunding-Kampagne gestartet hast. Was ist das Besondere daran?
Das Besondere ist, dass es sich hierbei nicht um ein gewöhnliches Deutschpop-Album handelt, sondern es ist ein Album, welches gemeinsam mit dem Filmorchester Babelsberg realisiert werden soll. Ich habe irgendwie große Lust, mal etwas anderes auszuprobieren. Es geht hier um Songs, die etwas experimenteller sind, trotzdem aber zum Deutschpop zu zählen sind. Durch das Filmorchester ist das Ganze tatsächlich wie ein Film zu verstehen, der da abläuft. Außerdem haben wir noch eine eigene Band dabei und letztendlich wird alles noch mit elektronischer Musik vermischt. Es werden also wirklich spannende Geschichten erzählt und miteinander verwoben. Am Ende soll es ein Experiment sein, aber natürlich haben wir auch ein Team, das genau weiß, was es tut. Wichtig ist der Gedanke, mal etwas ganz Neues auszuprobieren.

Kunst-Pop klingt in meinen Ohren für's Erste nach Plastik, Synthetik und eher unnatürlich. Ist das bewusst so gewählt oder ist das ein unerwünschter Nebeneffekt, dass das so wirkt?
Das habe ich ehrlich gesagt noch gar nicht so gesehen wie Du es schilderst. Ja es stimmt, man könnte das durchaus als Synonym für "unecht" nehmen. Aber ich fasse es eher als künstlerisch auf. Wir wollen einfach mal über die Grenzen hinausgehen, die ansonsten immer in den Kategorien, Pop, Jazz, Elektronik, Klassik oder sonstige Genres verlaufen. Ich dachte mir nun, mit dem Begriff Kunst-Pop stelle ich heraus, dass man künstlerisch freier ist und kreative Arbeit macht. Zumal auch ein Orchester dabei ist, wodurch man noch mehr eigene Wege gehen kann.

002 20160406 2069878373Ich verstehe. Aber wieso diese Idee mit der Vermischung von Stilkategorien? Was kann das der Popmusik in Deutschland geben?
Ich finde, es gibt sehr große und weite deutschsprachige Projekte in der Popmusik, die sehr einfache Musik enthalten, sehr einfach konzipiert sind. Aber natürlich muss man sehen, dass ein echter Hit auch eher einfach gestrickt ist. Ich jedoch habe Lust, nach etwas anderem zu gucken. In der Filmmusik ist alles erlaubt. Wenn man sich mal kleinere Filme anschaut, dann gibt es dort oft eine jazzige Hintergrundmusik oder eine ganz zerbrechlich klingende Klaviermusik, wie z.B. in "Die fabelhafte Welt der Amelie". Gleichzeitig gibt es dann die großen Hollywood-Produktionen, wo plötzlich riesengroße Orchester aufspielen. Es ist also alles erlaubt in Sachen Filmmusik, nur fällt das niemandem auf. In der Popmusik denken wir, zumindest hier in Deutschland, immer nur in Kategorien. Das ist klassischer Pop, das ist Mainstream-Pop, das ist Elektro-Pop usw. Und ich hatte und habe eben Lust, diese Grenzen aufzubrechen. Deshalb ist es eine Art Crossover-Album geworden mit etwas Filmmusik, etwas Pop, etwas Elektronik, gespielt von einem Filmorchester und einer Band.

Wie eben schon erwähnt, finanzierst Du das Album vor. Hast Du Deine Idee denn auch schon einer Plattenfirma vorgestellt und bist damit möglicherweise nicht auf fruchtbaren Boden gestoßen oder hast Du von Anfang an gesagt, ich will keinen dabei haben, der mir in die Arbeit reinredet?
Definitiv das zweite. Ich habe meine Idee noch keiner Plattenfirma vorgestellt mit einer Ausnahme. Wir sind nämlich selber eine kleine Plattenfirma, die für andere Künstler, aber auch für uns selbst Platten herstellt. Wir wollen das auch so beibehalten, dass deutsche Musik aus dem Singer-/Songwriter-Bereich auch wirklich auf ehrlichem Wege ans Publikum kommt und nicht erst über ein großes Major-Label laufen muss, um Erfolg zu haben. Klar, mit so einem Major-Label im Rücken bieten sich dem Künstler wahnsinnig tolle Möglichkeiten, eine große Spannweite an Publikum und riesige mediale Effekte zu erreichen. Das haben wir mit unserer kleinen Plattenfirma natürlich alles nicht, aber wir wollen einfach unsere Musik so rausbringen, wie wir Lust haben. Deshalb ist es auch ein experimentelles Album geworden. Wir sind sehr gespannt, wie die Leute darauf reagieren. Natürlich wird die Platte trotzdem Deutschlandweit in die Läden kommen. Wir werden auch eine Promotionkampagne starten, damit man auch in den Zeitungen darüber informiert wird. Voraussetzung für all das ist aber, dass die Crowdfunding-Aktion Erfolg hat (HIER geht's zur Crowdfunding-Kampagne von Anna-Marlene).

Du bist ja sehr überzeugt von dem, was Du da vorhast. Das hört man aus allem, was Du dazu sagst, deutlich heraus. Eigentlich kann ja da gar nichts mehr schief gehen, oder?
Ich werde es auf jeden Fall versuchen umzusetzen. Das ist mein Lebensprojekt, in das ich alle meine Energie stecke. Auch mein Team steckt zu 100% dahinter. Ich habe tolle Produzenten, die mir helfen. Ich habe einen orchestralen Dirigenten, das ist ein ganz bekannter und ehrenvoller Mann. Er wird das ganze dirigieren. Sollte natürlich das Crowdfunding nicht erfolgreich sein, dann muss ich das ganze Paket irgendwie kürzen. Dann muss ich z.B. überlegen, ob ich wirklich das Orchester nehme oder doch lieber ohne den großen Klangkörper arbeite. Das sind die Fragen, die mich bewegen. Alle diese Dinge kosten eben Geld und dafür ist das Crowdfunding zwingend notwendig.

Wer ist der Dirigent?
Zuerst möchte ich mal sagen, dass das Mitwirken dieses Dirigenten auf einer reinen Interessenbekundung seinerseits basiert. Er hat mir zugesagt, das Orchester zu dirigieren, wenn wir das Crowdfunding erfolgreich beenden und das Orchester buchen können. Bei dem Dirigenten handelt es sich um den bekannten Bernd Wefelmeyer. Der hat schon unzählige Filme gemacht, ist aber ein ebenso bekannter Dirigent und Konzertmeister. Bernd Wefelmeyer war es übrigens, der das Filmorchester Babelsberg ins Leben gerufen hat. Es ist mir eine Riesenehre, dass dieser Mann, der ja auch noch mein Lehrer an der Filmhochschule "Konrad Wolf" ist, wo ich gerade studiere, für meine Idee brennt und das auch wirklich machen würde. Der schrieb tatsächlich unzählige DEFA-Filmmusiken, hat sämtliche Orchester in der DDR geleitet und schreibt auch heutzutage immer noch erfolgreiche Filmmusiken, wie z.B. kürzlich für den "Medikus". Da bin ich doch sehr froh, dass er dabei sein wird.

Uns bei Deutsche Mugge ist Wefelmeyer durch seine Arbeit für und mit "Ostrock in Klassik" bekannt. Du sprachst vorhin an, dass auch eine Band dabei sein wird. Steht schon fest, wer es sein wird oder muss die Band erst noch geformt und gecastet werden?
Nein, denn das ist MEINE Band. Mit diesen Musikern habe ich schon viel zusammengearbeitet. Nun müssen wir natürlich abwarten. Erst einmal habe ich von jedem die Zusage und das Interesse, dass sie dabei sein werden. Aber wie gesagt, alles hängt jetzt von dem Crowdfunding ab. Erst dann kann ich die Termine vereinbaren und definitiv planen, in welches Studio wir gehen und welche technischen Mittel wir noch verwenden können. Das ist logischerweise alles eine finanzielle Frage. Mein Band wird jedoch auf jeden Fall dabei sein. Das sind drei Musiker, mit denen ich schon ganz lange zusammen agiere, nämlich ein Gitarrist, ein Bassist und ein Schlagzeuger. Mit denen habe ich zusammen am Jazzinstitut Berlin studiert. Wenn die dabei sind, weiß ich, dass es gut wird.

Du hast vor kurzem ein Duett mit dem Sänger der STERN-COMBO MEISSEN, Manuel Schmid, auf den Markt gebracht. Wie kam es dazu?
Ich bin ein ganz großer Fan von Ostrockmusik. Nicht alles ist toll, aber bestimmte und spezielle Sachen mag ich sehr. Zum Beispiel Holger Biege, Veronika Fischer, Uschi Brüning und eben auch die STERN-COMBO MEISSEN. Die COMBO hat schon zu DDR-Zeiten großartigen, kunstvollen Art-Rock gemacht, ausufernde Stücke geschrieben. Einer ihrer großen Hits war "Also was soll aus mir werden". Der Song hat eine wahnsinnige Message, die man unbedingt dem heutigen Publikum noch einmal vorlegen muss, wenn auch in abgewandelter Form. Das ist nämlich gerade heute ein Riesenthema bei den vielen Perspektiven, die man hat. Zumal ja heute durch das Internet und die Medien alles total anders ist als 1980, als der Song entstanden ist. Und trotzdem ist es dieselbe Message. Da habe ich mir halt gedacht, ich mache ein Duett mit Manuel Schmid, dem aktuellen und tollen Sänger der STERN-COMBO MEISSEN. Dazu wollte ich noch einen guten Produzenten gewinnen, der das mit mir zusammen neu arrangiert. Damit war die Idee geboren, den Song neu herauszubringen.

Ist die Nummer als Vorbote Deines neuen Albums zu betrachten, oder muss man es als etwas Eigenständiges sehen?
Das Duett wird defintiv auf dem neuen Album drauf sein, weil es einfach super dazu passt. Natürlich wurde es nicht mit dem Filmorchester eingespielt, dennoch ist eine spannende Neuversion geworden, wie ich finde. Es ist auch gleichzeitig die erste Singleauskopplung aus dem Album. Aber trotzdem bleibt es etwas Eigenständiges und wird auch vorerst das einzige Duett mit Manuel Schmid sein. Gerade weil ja kürzlich mit Reinhard Fißler der originale Sänger des Liedes gestorben ist, haben wir uns berufen gefühlt, den Song zu machen.



Es handelt sich dabei also um eine Coverversion. Warum fiel Eure Wahl ausgerechnet auf dieses Stück? Welche Idee hattet Ihr im Kopf, den Song soweit zu verändern wie Ihr ihn letztlich verändert habt? Im Prinzip hat die neue Version ja nur noch die Melodie und den Text, alles andere ist praktisch neu.
Das ist richtig. Auch hier haben wir uns wieder auf einen neuen Pfad begeben und ein kleines Experiment daraus werden lassen. Ich wollte wissen, funktioniert dieses Lied auch in einer ganz modernen Version? Modern bedeutet, dass die Elektronik im Song erhalten bleibt, nur dass es in einer etwas kühleren Form arrangiert wird. Ansonsten versuchten wir zu überlegen, was eben die junge Generation daran interessant finden könnte. Was könnte also von der alten Fassung in die neue übergehen und was müsste man verändern. Das Original lebt natürlich vom Variantenreichtum in der Rhythmik, von den verschobenen Rhythmen, von der verspielten Harmonik und insgesamt von einem ganz anderen Ablauf. Würde man das aber heute genauso nochmal herausbringen, wäre ich mir sicher, die junge Generation würde es sofort ablehnen.004 20160406 1353566692 Deshalb wollen wir versuchen, mit unserer Version einen möglichst großen Kreis junger Menschen auf dieses tolle Lied aufmerksam zu machen. Wir haben auch wirklich lange an der Nummer gesessen. Über mehrere Wochen hinweg haben wir uns Gedanken gemacht, was wir übernehmen und einbauen können, oder was wir vielleicht an der Melodie verändern könnten. Irgendwann dachten wir uns dann, wir machen es einfach ganz gerade und probieren es auf eine verspielte elektronische Schiene zu bringen und dennoch einen klaren Beat drunter zu haben. So entschieden wir uns am Ende und lagen damit wohl richtig, denn alle fanden es gut, vor allem auch die Leute, die den Song vorher gar nicht kannten.

Es gibt auch ein wunderbares Video dazu, das habt Ihr auch selber gemacht. Darin sieht man ein paar bekannte Gesichter. Welche Idee steckt dahinter und wer ist dafür verantwortlich?
Das hat ein Regisseur aus Berlin gemacht, der heißt Andreas Boschmann. Mit dem studiere ich zusammen Film an der Filmuniversität Potsdam. Der macht viele tolle und experimentelle Filme, vor allem Dokumentarfilme. Mit dem habe ich mich unterhalten und Andreas sagte dann: "Lass uns mal ein etwas anderes Musikvideo drehen. Darin versuchen wir nicht etwa, Euch in Szene zu setzen, sondern ganz normale Menschen werden darin die Hauptrollen spielen. Es könnte quasi jeder beliebige Berliner sein. Am Ende wird sich jeder Mensch in diesem Lied die Frage stellen: Also was soll aus mir werden?" Wir haben insgesamt acht verschiedene Protagonisten gefilmt, die in einem Raum stehen und sich diese Frage stellen. Da kam es für uns auch überhaupt nicht in Frage, dass Manuel und ich auch noch mit auftauchen, weil wir den Fokus auf das Dokumentarische legen wollten, was uns auch ganz gut gelungen ist, wie ich finde.

Die handelnden Personen in dem Video spielen sich also selbst?
Genau, die spielen ganz normal. Wir haben z.B. einen echten Bäckermeister dabei, der eine Bäckereikette hat und dort ganz ehrliche Arbeit abliefert. Deshalb konnten wir in seine Bäckerei fahren und ihn bei seiner Arbeit filmen. Er singt wiederum irgendwie das Lied. Es war sehr interessant, mit Menschen zu arbeiten, die ja normalerweise überhaupt nicht singen oder das nur hobbymäßig betreiben. Die fanden das Lied alle toll und sagten: "Ja, Ihr könnt uns in unserem normalen Umfeld drehen". Wir haben auch einen Breakdancer dabei, der natürlich zu dem Lied tanzt. Es war auch noch eine Makeup-Stylistin dabei und viele andere, die in ihrer normalen Umgebung arbeiten und dabei das Lied singen.

Du hast ja schon ein paar Namen genannt, als Du sagtest, Du fühlst Dich zum Ostrock hingezogen. Siehst Du einen bedeutenden inhaltlichen Unterschied zwischen der DDR-Musik und der Musik aus dem Westen?
Ich denke, es gibt vor allem große musikalisch-inhaltliche Unterschiede. Die Ostmusik wurde natürlich in einem ganz anderen politischen Umfeld geboren. Tatsächlich lebte ich damals noch nicht. Aber ich bin durch meine Eltern mit dieser ganzen Musik aufgewachsen und bekam schnell mit, dass die Texte der DDR-Musik wahnsinnig bunt waren und oftmals ein Versuch des Ausbruchs gewesen sind. Viele Texte waren sehr lyrisch und enthielten oft eine versteckte Message, die ja nicht immer gesagt und ausgesprochen werden durfte. Es existierte ja eine regelrechte politische Kontrolle über die Kunst. Das merkt man dann eben an diesen versteckten Texten, aber auch an der Musik an sich.005 20160406 1894248394 Der Ostrock war eine sehr üppige Musik mit tollen Akkorden und interessanten musikalischen Wendungen. Es steckte eine große Kreativität dahinter. Das merkt man z.B., wenn man sich diese bis zu 40 Minuten langen Stücke der STERN-COMBO MEISSEN anhört, die fast schon klassisch anmuten. Das ist etwas ganz Besonderes, was es im Bereich der Popmusik im Westen so nicht gegeben hat. Deshalb fühle ich mich zu dem Ostrock so sehr hingezogen. Dieser Reichtum an Harmonik und Ideen war schon großartig. Vor allem von Künstlern wie Veronika Fischer war ich sehr beeindruckt. Ihre Songs umfassen ja richtige Welten, das sind komplette Geschichten. Da werden wunderschöne Landschaften musikalisch beschrieben.

Mich beeindruckt in dem Zusammenhang vor allem, dass Du eigentlich noch viel zu jung bist, um das Ganze miterlebt zu haben und so nah an Dich ranlassen zu können. Was glaubst Du, inwieweit lebt der Reiz und die Magie dieser Szene noch in den nächsten Generationen weiter?
Das stimmt absolut, eigentlich bin ich dafür noch viel zu jung. Und dieser ganze Ost-West-Quatsch dürfte in meiner Generation schon gar nicht mehr relevant sein. Es ist schon so lange her, neue Menschen wurden geboren und wir reden inzwischen von der Globalisierung. Aber trotzdem hat man Eltern und eine Familie, die damit aufgewachsen ist. Deshalb ist man geprägt von einer Kultur aus seiner Familie und seinem Umfeld. Also kann man gewisse Sachen ruhig weitertragen. Auch wenn natürlich irgendwann diese Sachen keine Bedeutung mehr haben werden und man vielleicht in zwei, drei Generationen überhaupt nicht mehr von Ostrock oder Ost-West sprechen wird. Aber das ist normal und auch gar nicht wichtig. Dennoch bin ich der Meinung, dass man heutzutage viele Dinge noch einmal in Erinnerung rufen kann. Nicht nur die Kunst des Ostens, sondern auch andere kleine Gebräuche wie z.B. im Essen oder im täglichen Miteinander.

Du sprichst es an: familiäre Herkunft. Du wurdest in eine Musikerfamilie hineingeboren. Was und wer hat Dich so beeinflusst, dass Du letztlich auch Musikerin geworden bist?
Tatsächlich gab es da ganz viele Diskussionen, ob es wirklich die Musik sein soll und muss, die ich später mal hauptberuflich ausüben will. Ich selber war auch hin und her gerissen, habe mich dann aber irgendwann aus Überzeugung dazu entschlossen, es meinem Vater gleich zu tun, der ja nicht nur selber ein ganz toller Musiker ist und viele große Werke geschrieben hat, sondern der auch andere Musiker unterstützt, der in vielen Bands als Multiinstrumentalist gespielt hat, der als Komponist tätig war und wirklich sein Geld mit der Musik verdient. Ich dachte mir, wenn mein Vater das schafft, dann schaffe ich das mit ganz viel Mut und Fleiß auch in unserer heutigen Zeit, in der es für Musiker und Künstler allgemein nicht leichter wird. Gerade in Berlin, wo es so viele Menschen gibt, die alles super können. Hier gibt es ganz tolle Künstler - da hat man eine riesen Konkurrenz. Da ist es nicht selbstverständlich, dass man es schafft mit Musik sein Brot zu verdienen. Das war für mich aber definitiv das große Ziel, und dazu hat mein Vater auch einiges beigetragen - er ist in der Hinsicht für mich ein Vorbild. Meine Mutter, Simone Storch, ist ebenfalls eine Künstlerin im Herzen. Sie war in der DDR Schauspielerin und Sängerin, hat sich dann aber anderen Gefilden zugewandt und ist ebenfalls für mich ein großes Vorbild und Inspiration.

Die ganz große Zeit Deines Vaters, mit all der TV-Präsenz und den großen Tourneen, sprich die Zeit mit Obelisk und Stern Meißen, hast Du selbst gar nicht erlebt. Ab wann hast Du eigentlich bewusst wahrgenommen, dass Dein Vater Musiker ist, und das im Hauptberuf?
Mein Vater hat mich als kleines Kind schon oft zu Konzerten mitgenommen. Ich erinnere mich noch, ich muss ungefähr fünf Jahre alt gewesen sein, da gab es ein tolles Open-Air-Konzert von Veronika Fischer vor Tausenden von Leuten, und ich habe hinten an der Bühne auf ihn gewartet. Und da gab es einen Zeitungsausschnitt mit einem Bild, auf dem ein kleines Mädchen mit Zöpfen zu sehen war.006 20160406 2055830219 Das war ich. Irgendwann hat mir mein Vater dann mal erzählt, dass ich bei Konzerten ständig nach vorne auf die Bühne gerannt bin. Ich bin wohl nie einfach nur ruhig dahinten geblieben. Sogar mit meinem kleinen Saxophon, einem Spielzeug, habe ich mitgespielt und dachte, ich wäre ein elementarer Bestandteil der Band. Damals mit fünf (lacht). Das sind Sachen, an die ich mich nicht wirklich mehr erinnere, aber da hat es schon angefangen, dass ich damit konfrontiert wurde. Es ist richtig, dass ich die Zeiten mit Fusion, Obelisk und Stern Meißen nicht erlebt habe. Mit 15, 16 und 17 Jahren habe ich mir die Musik dann aber angehört und mich dafür auch interessiert. Ich fand sie toll und mein Vater ist auch deshalb ein Vorbild für mich.

Es gab aber abgesehen von dem Einsatz mit dem Spielzeug-Saxophon auch eine echte Zusammenarbeit zwischen Dir, Deinem Vater und Vroni Fischer, richtig?
Ja, das stimmt. Ich war ein Kind, das sehr viel gesungen hat, und mein Vater hat dann auch gemerkt, dass ich das ganz gut kann. Als ich neun Jahre alt war arbeitete mein Vater an einer Kinder-Platte. Es war das Musical "Das Kind und der Kater" von Veronika Fischer, für das er die ganze Musik geschrieben hat. In diesem Musical gab es ein Duett zwischen einem Kind und Veronika Fischer, und diese Rolle des Kindes habe ich übernommen. Das Duett heißt "Alles Schöne dieser Welt" und damit sind wir sogar in der ZDF-Hitparade bei Uwe Hübner und in einer Fernsehshow mit Frank Schöbel aufgetreten. Das war für mich als neunjähriges Mädchen damals natürlich alles wahnsinnig aufregend, mit dabei zu sein. Viele Kinder dieser Generation, auch Freunde von mir, sind mit der Musik und diesem Musical aufgewachsen. Die haben es als Kinder gehört und es ist immer lustig wenn ich dann sage, dass ich das kleine Mädchen bin, dass man dort singen hört. Das ist schon etwas Besonderes. Übrigens habe ich dann nach dieser Musical-Sache mit 10 Jahren ersten Gesangsunterricht genommen.

Dann bist Du doch schon eine "alte Häsin" im Geschäft ...
(lacht) Ich versuche mein Bestes. Ich rödel jeden Tag rum, möchte neue Sachen schreiben, bin involviert in verschiedenen Projekten und kenne auch schon so einiges. Ich habe schon in ganz vielen Bands gesungen, auch in Party-Bands, die mit handgemachter Musik stundenlang auf der Bühne gestanden haben. Ich habe auch mit aufgebaut und hinterher in der Nacht wieder mit abgebaut. Es ist inzwischen schon viel passiert, was ich im Bereich Musik machen musste und auch gemacht habe. Trotzdem kann ich nicht sagen, dass ich schon eine große Bekanntheit habe. Dem ist nicht so. Ich bin da aber zuversichtlich, dass wenn man hart arbeitet, man das irgendwann auch erreichen kann.

007 20160406 1232312815Du schreibst nicht nur die Stücke sondern produzierst sie auch im Studio selbst - in wie weit gehört das Arrangement/die Produktion zum Songwriting auch dazu?
Ich habe irgendwann mal gelernt, dass nicht nur der Song alleine zählt. Es gibt Leute, die setzen sich ans Klavier, schreiben einen Song und singen eine Melodie dazu. Fertig ist das Lied. Das ist natürlich die Basis und elementar, dass ein neuer Song entsteht. Dann habe ich mit der Zeit aber herausgefunden, auch wenn ich Radio und dabei viele tolle Songs höre, dass die Produktion und das Arrangement des Songs, wie es gemixt ist, welche kleinen Elemente verwendet werden und in welchen Räumen es aufgenommen wurde, eine genauso wichtige Rolle spielt, wie die kleine Komposition am Anfang. Ich kann auch gar nicht mehr sagen, "Nur der Song zählt", d.h. wenn Du einen guten Song hast, kommst Du auch in die Charts ... Das ist meiner Meinung nach kein wirkliches Argument. Die Fragen, "Wie ist es gemacht?" und "Wie gut ist es gemacht?" sind es, die genauso zählen. Ich habe mich damit irgendwann mal beschäftigt. Songschreiben allein reicht nicht. Man muss auch lernen, wie ein Lied gebaut wird, z.B. wie man am Computer noch weitere Instrumente hinzufügen und wie man bestimmen kann, was laut und was leise, was groß und was klein klingen soll. Das habe ich wirklich gelernt und es ist eine Schweinearbeit, denn es gibt sehr viele Programme, Bücher und auch Lehrvideos über die man sich zu den Themen "Sounddesign" und "Mixing" belesen kann. Das kann ich Leuten empfehlen, die wirklich gern stunden- und tagelang am Computer sitzen. Den Leuten, die lieber auf der Bühne stehen und draußen sein wollen, kann ich so eine Fuzzelarbeit nicht empfehlen (lacht).

Man läuft dabei ja auch ein bisschen Gefahr, dass man seine Songs tot produziert ...
Absolut! Deswegen bin ich auch absoluter Befürworter der Aussage, dass man sein Werk irgendwann abgeben soll. Wenn man der Meinung ist, man sei mit der Produktion soweit und hat einen sogenannten "Rough Mix" fertig, kann man das an einen Mixer bzw. Produzenten weitergeben, der das Werk dann nochmal weiter bearbeitet. Ich weiß, dass das Musiker unterschiedlich handhaben, aber ich bin damit immer sehr gut gefahren. Dabei kann man die Gefahr ausschließen, dass man etwas tot produziert oder den Blick auf das verliert, was man da macht.

Apropos Arrangement: Du hast ja auch da schon konkrete Vorstellungen, wie Du die einzelnen Lieder des gerade entstehenden Albums umsetzen möchtest. Woher kommen die Ideen und lässt Du Dich gar von irgendwas inspirieren?
Tatsächlich habe ich mir das so ein bisschen von den Filmen abgeschaut. Orchestrale Filmmusik finde ich wunderschön. Allein wenn man sich die Harry-Potter-Filmreihe ansieht ... Es gibt insgesamt sieben Teile, und jeder der Teile ist von der Musik her unterschiedlich. Die haben teilweise auch unterschiedliche Filmmusik-Komponisten geschrieben. Dabei kam mir die Idee, dass man ja auch mal ein Pop-Album machen könnte, auf dem man einen so wunderschönen Klangreichtum einbringen kann und auf dem man ein bisschen mehr als nur durchproduzierte 3-Minuten-Songs abliefert, sondern wo gleich auch noch so ein übergeordnetes Thema stattfindet. Da habe ich mir gedacht, ich mache dieses Album, auf dem eben nicht alle Songs drei Minuten lang sind, sondern vielleicht auch etwas länger und die wie Geschichten sind, die darin ablaufen. Es wird auch instrumentale Zwischenspiele geben, die die Songs miteinander verbinden. Ich habe mir dazu schon sehr viele Gedanken gemacht und es steht auch schon einiges. Es stehen insgesamt schon 80% der Songs und des musikalischen Materials für das Album und es funktioniert auch wirklich gut. Alle Leute, die damit jetzt zu tun haben und daran arbeiten finden, dass es eine tolle Idee ist. Jetzt ist nur noch die Frage, ob es wirklich mit dem Orchester und so, wie ich es mir vorstelle, umgesetzt werden kann und wie es am Ende ankommen wird. Es ist ein Experiment und ich möchte das einfach mal ausprobieren. Mal schauen.

008 20160406 2080849792Es ist ein riesiges Projekt, das Du da angestoßen hast. Wo willst Du auf Deinem Weg hin?
Ich möchte eigentlich gerne weiterhin das machen, was ich mache. Ich möchte gern viel Zeit mit Musik verbringen, an vielen Projekten arbeiten, auch unterschiedliche Sachen machen und ich möchte auch dahin, wo ich ohne Probleme sagen kann, "Ich bin Musikerin und ich lebe davon." Wichtig ist, dass ich mir mal einen Urlaub leisten und meine Kinder versorgen kann. Ich habe damit auch kein Problem, mal Unterricht zu geben. Das machen viele Musiker, denn es ist ja nicht so, dass man gleich von seiner Musik leben kann. Aber genau dahin möchte ich, dass ich mit den Projekten die ich mache - ob das die Filmmusik oder ein weiteres Album sind, oder einfach nur dass ich auf Tour bin - so leben kann, dass ich damit zufrieden bin und nicht dauernd auf mein Konto schauen muss. Das ist mein großer Wunsch.

Die Voraussetzungen haben sich dafür ja eigentlich komplett verändert. Ich sage mal so: Vor 30 Jahren hattest Du eine Single, die zum Hit wurde, und Du hattest damit ausgesorgt. Heute muss man als Musiker richtig hart arbeiten, um diesen Status zu erreichen oder auch nur ansatzweise in diese Nähe zu kommen. Was kannst Du jungen Musikern sagen: Gibt es heute tatsächlich noch die Möglichkeit, von seiner Arbeit als Musiker leben zu können? Ist das noch der Traumberuf wie früher?
Das mit dem Hit kann tatsächlich auch heute noch passieren. Man siehe nur das Lied, das in den letzten zwei Jahren überall rauf und runter gelaufen ist, nämlich "Atemlos" von Helene Fischer. Das ist nun wirklich ein Riesenhit geworden, den jeder Mensch in Deutschland kennt. Ich bin davon überzeugt, dass die Schreiber dieses Songs jetzt durchaus ein paar Jahre gut leben können. Aber darauf kann man tatsächlich nicht bauen. Ich kann nur empfehlen, dass Musikerinnen und Musiker, die dafür in jungen Jahren schon brennen und sagen, "Ich möchte gerne Musik machen", und damit meine ich nicht "Ich möchte berühmt sein und bei Deutschland sucht den Superstar auf der Bühne stehen", sondern dass man auch wirklich jeden Song singen, auf jeder kleinen Bühne stehen und jede Erfahrung machen will, die sich einem bietet, einfach nur dran bleiben und weitermachen sollen. Auch wenn es mal ganz schwierig wird und wenn man mal keinen Mut mehr hat. Durchhaltevermögen ist das einzige in diesem Beruf, was geht und wichtig ist. Es sei denn man wird gepusht und hat gleich am Anfang Glück. Aber diese Chance in dieser globalen Welt, wo Menschen auch aus ganz anderen Teilen der Erde ihre Musik bei uns auf den Markt bringen, ist viel zu gering. Wenn man sich auf sein Gefühl verlässt, ein guter Musiker sein und das durch ehrliche Arbeit irgendwie auch schaffen will, dann kann man das auch hinkriegen.

010 20160406 1183732297Da kommt ein 15-jähriges Mädchen mit einer Superstimme, die Dir die Schuhe auszieht, wenn sie anfängt zu singen, und fragt Dich, ob sie sich bei "Deutschland sucht den Superstar" bewerben soll ...
(lacht) Das passiert tatsächlich, sogar häufig. Vor allem kenne ich auch den Fall, dass Menschen zu mir sagen, "Ach, Du bist Sängerin?! Warum gehst Du dann nicht mal zu Deutschland sucht den Superstar?" Aber wenn die jungen Mädels das unbedingt wollen und eine Hammerstimme haben, dann sollen sie das tun. Es gibt wirklich große Talente im Alter von 14 oder 15 Jahren, wo es mir auch tatsächlich schon die Schuhe ausgezogen hat, denen ich den Tipp gegeben habe, Gesangsunterricht zu nehmen mit dem Hinweis, dass sie diese schon jetzt tolle Gesangsstimme weiter ausbilden können, um dann an Wettbewerben teilzunehmen oder sich eine kleine Band zu suchen und in Clubs zu spielen. Das ist natürlich der schwerere Weg, aber meiner Meinung nach der bessere, denn dass was nach diesen Casting-Shows passiert, ist für die meisten die daran teilgenommen haben nämlich nicht so schön. Wenn der erhoffte Erfolg nicht bestehen bleibt oder nicht kommt. Ich hoffe, ich höre mich nicht wie eine alte Oma an, aber durch hartes Arbeiten und das Sammeln von Erfahrungen kann man seine Ziele langfristig und vielleicht sogar besser erreichen.

Anna, ich könnte noch stundenlang mit Dir weiter quatschen, aber irgendwann müssen wir auch zum Ende kommen. Möchtest Du noch ein paar abschließende Worte an unsere Leser richten?
Ja, gerne! Werdet Teil von diesem Projekt "Kunst-Pop 2016". Ich kann nur sagen, dass man einiges davon hat, auch wenn man sich nur mit einem kleinen Betrag von nur 5,00 EUR daran beteiligt. Es gibt tolle Dankeschöns und man unterstützt tatsächlich was, was es in Deutschland noch nicht gegeben hat und was auch neuartig ist. So ein Album hat es tatsächlich noch nicht gegeben. Gebt auch neuer Musik eine Chance und nicht nur dem, was im Radio gespielt wird. Da gibt es ganz viel, auch von Freunden von mir, das gerade erst entsteht.

 
Interview: Christian Reder
Bearbeitung: tormey, cr
Fotos: Archiv Anna-Marlene Bicking, Archiv Deutsche Mugge




   
   
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