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Es scheint eine Art Volkssport unter den Musikern geworden zu sein, ihre vor Jahrzehnten ursprünglich mal aufgelösten Bands plötzlich wieder zum Leben zu erwecken. Man fragt sich als neutraler Beobachter natürlich nach den Beweggründen und Zielen, die hinter einer solchen Entscheidung stecken. Brauchen die Herren Künstler vielleicht nur eine Aufstockung ihrer Altersversorgung? Oder war die Nachfrage der Fans auch nach so vielen Jahren immer noch so stark, dass man ruhigen Gewissens einen Neuanfang wagen konnte? Und genügt es dann, dauerhaft einen Aufguss des einst erfolgreichen Repertoires anzubieten, oder muss man auch neue Wege gehen? In Ausnahmefällen wie der nur für eine Show anberaumten Auferstehung von LED ZEPPELIN im Dezember 2007 erübrigen sich diese Fragen natürlich. Sehr oft geht eine solche Reunion unter lautem Getöse und mit Hilfe eines großen Medienspektakels vor sich. Aber es geht auch anders, wie im Falle von VAIH HU. Sie galten als eine der ersten Bluesbands der DDR und hätten sicherlich das Potential gehabt, auch über die Berliner Grenzen hinaus nachhaltige Erfolge feiern zu können. Doch das Schicksal wollte es, dass sich die Band nach knapp zwei Jahren schon wieder auflöste. Heute kennen nur noch Insider den Namen VAIH HU und erinnern sich vor allem daran, dass ein gewisser STEFAN DIESTELMANN seinerzeit die Stimme der Band war, ehe ihm das VAIH HU-Korsett zu eng wurde und er seine eigenen Wege beschritt. Das bedeutete gleichzeitig das Aus für die Band. Während der letztjährigen 1.Kundenbluesnacht in der Berliner WABE wurde die Idee zur Wiederbelebung von VAIH HU geboren, und vor wenigen Tagen, am 5.Oktober 2013, kam es dann tatsächlich zum umjubelten Reunion-Konzert der Band.001 20131101 1701812417 Deutsche Mugge hatte die Gelegenheit, sich unmittelbar vor dem Konzert in der WABE mit den drei verbliebenen Gründungsmitgliedern Axel Stammberger, Godelef "Gondel" Oßke und Rüdiger Philipp unter anderem über einige Details der VAIH HU-Geschichte zu unterhalten und zu klären, ob dieser Auftritt mehr als nur eine einmalige Sache war ...
 

 

Als ich in den Vorankündigungen auf die heutige Kunden-Blues-Nacht las, dass VAIH HU dabei sind, kam ich arg ins Grübeln, weil sich diese Band nach dem Weggang von STEFAN DIESTELMANN 1976 auflöste und seitdem von der Bildfläche verschwunden war. Wer hatte die Idee, VAIH HU fast vierzig Jahre später wiederzubeleben?
Axel: Das ist mal eine richtig gute Frage. Gondel sprach ja schon immer davon, dass wir es mal wieder versuchen sollten. Aber er ist natürlich an den Realitäten gescheitert.
Gondel: Das ist richtig. Ich lag Axel schon seit Jahren damit in den Ohren. Dann kam im letzten Jahr die 1. Kunden-Blues-Nacht, wo ich bei DON PROMILLO als Gast mitspielte. Eddy Czesnick, der MONOKEL-Manager, erzählte mir an diesem Abend, dass er eine DIESTELMANN-Gedenkveranstaltung plane. Daraufhin sagte ich ihm, dass ich mit Axel ohnehin eine VAIH HU-Reunion im Hinterkopf hätte, was für eine solche Veranstaltung ja gut passen würde. Als Eddy das hörte, war er sofort Feuer und Flamme und schob das Ganze an. Eddy hat das geschafft, was mir versagt blieb: Er hat Dich (Axel Stammberger ist gemeint, Anm. des Verf.) davon überzeugt, die Idee mit der Reunion ernsthaft anzugehen. Ich habe dann versucht, die Kontakte herzustellen. Leider nicht sehr erfolgreich. Unser Keyboarder Thomas Abendroth zum Beispiel wohnt mittlerweile in der Nähe von München, ist da familiär gebunden und kommt nicht weg. Unseren Schlagzeuger Ulrich Kersten konnten wir gar nicht erst ausfindig machen.
Axel: Das ist wirklich schade, denn der Uli war ein ganz toller Schlagzeuger. Der passte richtig gut zu uns.

002 20131101 1642012592Welche Gefühle hat es in Euch ausgelöst, sich nach fast vier Jahrzehnten wieder zu sehen und vor allem erstmals wieder gemeinsam auf der Bühne zu stehen?
Axel: Nach 38 Jahren VAIH HU-Abstinenz klopfte das Herz ziemlich aufgeregt. Allein schon das Wiedersehen mit den alten Raubeinen, mit denen man damals so intensiv zusammenhockte, fühlte sich ganz besonders an. Und dann ein erster Gitarrenton, ein erstes gemeinsames Riff, eine erste Erinnerung an Gondels damals wie heute durch unzählige Effekte gejagter Gitarrensound ... Es war ein kurzer emotionaler Moment, doch dann fing die Arbeit an im Hier und Jetzt - ein Hochgefühl bleibt.
Gondel: Es stellte sich schon bei den Vorgesprächen schnell heraus, dass zum Teil sehr verschiedene Vorstellungen bestehen nach so langer Zeit, aber mit der entsprechenden Kompromissbereitschaft kamen wir da verhältnismäßig problemlos durch. Schlimm wurde es aber durch die erst auf den letzten Drücker ermöglichten Proben. Da war bei uns Alten nichts mehr von dem früheren Flair, sich spieltechnisch voll auf die Höhe der Zeit hin zu entwickeln, dazu vielleicht noch auf dem Weg, die Musik neu zu erfinden. Da war hektisches Zusammenwürfeln angesagt, vor allem, als noch ein Oberhektiker dazukam. Ich bin die letzten Tage vor der Mugge nur noch wie Falschgeld rumgelaufen und habe verflucht, diese Geschichte angeleiert zu haben. Als es dann aber losging, war wieder alles ganz anders, schon nach den ersten Titeln merkte man: Ganz egal, was auch immer passiert, das, was hier gerade über die Bühne geht, kann niemals schlecht sein und das war vor allem der Verdienst von Olli, Nik und Joschi, was man gar nicht genug hervorheben kann, denn das gab das nötige Sicherheitsgefühl, dass wir uns so unerwartet entfalten konnten. Den Rest drückt dann am besten Dein Bild Nr. 14 vom Live-Bericht aus (siehe das nächste Foto unten rechts): Hier hat nicht etwa jemand einen lustigen Spruch gekloppt, nein, es ist vollbracht, der Druck ist raus, wir stehen in unerwarteter Weise einem jubelnden Publikum gegenüber und dieses Gefühl bricht sich hier seine Bahn! Etwas Ähnliches habe ich zumindest noch nicht erlebt.
Rüdiger: Ich mache oft die erleichternde Erfahrung, dass Künstler, die lange nichts voneinander hören und sich wieder begegnen, unkompliziert in der Kommunikation sind. Auch mit Axel und Gondel ist das so, wir müssen uns nicht großartig erklären. Nach unserem Ja zu VAIH HU wussten wir, worum es ging und was zu tun war. Dank an Gondel, der die Fäden zog. Aber es war sehr interessant, zu sehen, wie jeder seine Arbeit am Instrument macht. Es war ein aufregendes Erlebnis.

003 20131101 1694289967Ihr seid ja eigentlich alle ganz gut mit Euren eigenen Projekten und Bands ausgelastet. Wie lange habt Ihr Euch auf diesen Abend vorbereitet?
Axel: Ganze vierzehn Tage. Länger nicht. Es hat leider nur selten geklappt mit gemeinsamen Terminen. Insgesamt haben wir viermal geprobt. Mit Gala (Frank Gahler) sogar nur zwei Tage.
Rüdiger: Ich komme ja nun aus Dortmund, das war natürlich für mich deshalb besonders schwierig.
Gondel: Es lief längst nicht so, wie ich das im Hinterkopf hatte. Ich wollte, dass wir uns wieder richtig rein arbeiten. Deshalb ist das alles ein bisschen spontan und zusammengeklatscht, was wir nachher machen. Das ist sehr schade, aber es ließ sich nicht anders verwirklichen. Damit werden wir wahrscheinlich heute beim Konzert dieses Flair des Besonderen, das wir damals hatten, nicht so rüberbringen können.

Axel, Du hast VAIH HU 1975 gegründet. Einige von Euch spielten vorher ja schon bei anderen, durchaus bekannten, Bands. Wie habt Ihr Euch gefunden?
Axel: Also als Bandgründer würde ich mich nicht bezeichnen. Das hat sich einfach so ergeben. Letztlich war ich nur der, der das Gesicht und die Stimme der Band dazu geholt hat, nämlich STEFAN DIESTELMANN. Ich hatte damals eine Freundin in der Rykestraße. Genau gegenüber von ihr wohnte DIESTELMANN. Damals in den Siebzigern wurden von höherer Stelle wahrscheinlich alle Musiker und sonstigen zwielichtigen Gestalten in die Rykestraße gepfercht. Jedenfalls hatte ich den Eindruck, dass es so war. Das war dadurch so eine Art Künstlerviertel, wo sie alle versammelt waren. Man brauchte nur runter zu gehen und schon konnte man seine Kontakte knüpfen. Auf diese Art und Weise habe ich dann auch STEFAN kennen gelernt. Als ich dann von seiner unglaublichen Plattensammlung erfuhr, war ich zwei- bis dreimal die Woche mit meinem Tonbandgerät bei ihm und habe mir bis in die Nacht rein Musik überspielt. So kam STEFAN in unsere Band.
Gondel: Was die anderen betrifft, so bahnte sich das bei einem HANSI BIEBL-Konzert an. Rüdiger meinte zu mir, ob wir nicht auch so was machen wollen, er hätte sogar schon einen Gitarristen. Natürlich wollte ich das auch und so waren wir ziemlich heiß darauf, das umzusetzen. Bei der nächsten Mugge mit meiner anderen Band (mit dem Jazzmusiker Manfred Schulze - der Verf.) sprach mich der Uli (Ulrich Kersten) an, warum wir nicht etwas Eigenes auf die Beine stellen. Ich sagte ihm, dass ich genau deshalb gerade von Rüdiger angesprochen wurde. Wir traten dann alle miteinander in Kontakt und es hatte auch sofort gefunkt.

Was bedeutet der Name VAIH HU, wie seid Ihr darauf gekommen?
Axel: Erst mal möchte ich etwas klarstellen: Als Du mich wegen dieses Interviews kontaktiert hast, fiel mir auf, dass Du den Namen falsch geschrieben hast. Aber wie ich inzwischen weiß, wird der immer und überall falsch geschrieben. Es wird immer ein "H" vergessen. Die richtige Schreibweise lautet VAIH HU. Der Name kommt aus dem Osterinsulanischen und bedeutet einfach nur so viel, wie "Osterinsel". Wir haben uns damals zu DDR-Zeiten eben genau so gefühlt, als wären wir auf einer Insel und pflegen dort diese Musik, die wir spielen. Der Name passte wunderbar. Und vor allem war es kein englischer Name, was ja verboten war und eine Menge Probleme gebracht hätte.
Gondel: Unsere Musik klang ja auch überhaupt nicht nach Osten, sondern eher ein bisschen exotisch.
Axel: Findest Du? Auf keinen Fall war es sogenannter Krautrock, was wir gespielt haben. Den Begriff gab es damals überhaupt nicht, zumindest wussten wir nicht, was das ist. Das war wie mit BEETHOVEN. Alle meinen, der spielte Klassik. Nein! Das war Popmusik, was der gemacht hat! Zumindest für die damalige Zeit.

Euer musikalisches "Zuhause" war der Studentenkeller der Humboldt-Uni in Berlin. Wie seid Ihr denn da rein gekommen? Musste man Student sein, um dort proben zu dürfen?
Rüdiger: In dem Studentenkeller, der eigentlich Studentenklub hieß, fanden regelmäßig Konzerte statt. Alle möglichen Bands haben da gespielt, auch die neu gegründeten Bluesbands. In der Zeit, als wir uns gegründet haben, entstand ja gerade ein richtiger Bluesboom in der DDR. Unter anderem gab es schon die HANSI BIEBL-BAND und ENGERLING, die beide auch in diesem Studentenklub spielten. Der Leiter des Klubs interessierte sich plötzlich auch für VAIH HU und holte uns in den Klub. Auf die Art und Weise kamen wir dort rein und wir spielten viele Konzerte im Klub. Der Klubleiter wurde dann später auch unser Manager und empfahl uns weiter an andere Veranstalter, wodurch wir auf Tour gehen und in verschiedenen Städten der DDR spielen konnten. Dass wir dort in dem Klub auftreten durften, sehe ich als ein Zeichen für das Aufbegehren der Bluesbewegung und der Bluesmusik in der DDR.
Gondel: Der Klubleiter hörte halt irgendwie mal eine Mugge von uns und weil ihm das gefiel, hat er uns fest verpflichtet. Zum Studentensommer im Juli und August haben wir jeden Tag dort gespielt. Dadurch hatten wir natürlich hervorragende Probemöglichkeiten. Wir trafen uns jeden Nachmittag zum jammen. Dabei entstanden viele schöne Aufnahmen, die heute leider nirgendwo mehr vorhanden sind. Das waren sozusagen Schlaraffenlandzeiten.

Wie habt Ihr es so schnell geschafft, Kultstatus zu erreichen? War Euch überhaupt bewusst, wie beliebt Ihr als Band wart?
Axel: Na ja, wir haben zumindest damit gerechnet (allgemeines Gelächter). Es musste nur genug Zeit vergehen. Das ist so. Die Alterung erfolgt in Würde und eines Tages ist es so weit, dass man Kult ist.

Mitte der Siebziger in Ost-Berlin eine Bluesband zu gründen, war ja nicht gerade einfach, weil diese Art Musik bei den Kultur-Oberen zur damaligen Zeit nicht wirklich angesagt war. Habt Ihr irgendwelchen Gegenwind von "oben" gespürt oder ließ man Euch machen?
Gondel: Man hat uns tatsächlich machen lassen. Dazu kann ich sogar eine kleine Anekdote beisteuern. Meine Frau war zur damaligen Zeit Direktionssekretärin auf der Rennbahn in Hoppegarten. Da fanden regelmäßige Gespräche über dies und jenes statt und natürlich waren auch immer MfS-Leute dabei. Nach einem dieser Gespräche meinte der Direktor zu meiner Frau: "Mensch, die neue Band Ihres Mannes muss ja ganz toll sein!" Über diese Quelle erfuhr er also, dass wir als Band angesagt waren. Woraus auch folgt, dass sich das MfS vermutlich schon mit uns befasst hat, uns quasi eingeatmet hat.
Axel: Nun war es ja auch so, dass wir von der Thematik unserer Texte her nichts Schlimmes machten. Der Blues kam bekanntlich von der schwarzen Bevölkerung Amerikas und gegen die konnten sie ja nichts sagen. Da spielte in den 70er Jahren Rassismus eine ganz große Rolle, auch in den Liedern und die DDR konnte sich ja nicht plötzlich dagegen stellen.
Gondel: Außerdem musste der Staat ja damit rechnen, wenn sie das weiter unterdrücken, dass dann über Nacht wieder zwei Leute mit dem Schlauchboot abhauen (Anm. d. Verf.: Anspielung auf die Flucht zweier HANSI BIEBL-Musiker). Das wollte man sicher nicht. Wir haben jedenfalls keine Repressalien gespürt. Gerade durch die Geschichte mit der BIEBL-BAND, bei der sich ja, wie ich eben schon angedeutet habe, Eberhard Klunker und Olaf Wegener mit einem Schlauchboot in den Westen absetzten, hatten wir einen relativ gut geebneten Weg. Die BIEBL-BAND war danach weg und wir waren in dem Moment da.

Das Blueslager in der DDR teilte sich ja mehr oder weniger in die Berliner und die Thüringer Szene. Die Thüringer Bluesbands galten seinerzeit eher als die "wahren und authentischen" Blueser, die auch durchaus ernsthafte politische Ziele mit ihrer Musik verfolgten, während das in Berlin angeblich etwas gemütlicher und lockerer gesehen wurde. Wie habt Ihr das mit VAIH HU erlebt?
Rüdiger: Natürlich kannten wir alle JÜRGEN KERTH oder WALDI WEIZ, die ja beide aus Thüringen stammen. Alle Gitarristen aus dieser Ecke hatten dank des Vorbildes JÜRGEN KERTH einen gewissen Standard, der höher war, als der Standard der Berliner Musiker. Hier in Berlin war die HANSI BIEBL-BAND die erste, die in etwa diesen Standard erfüllte. Aber rein vom "Gitarristischen" her war KERTH so was wie der Meister. Der hat eben auf ganz viele Leute da unten abgefärbt. Charakteristisch für diese Gegend war - bis auf KERTH - ein relativ archaischer Blues, wenn man sich mal MAMA BASUTO und ähnliche Bands anhört.
Axel: Wir sind da als Band übrigens eine schöne Symbiose eingegangen, denn unser Keyboarder Thomas Abendroth kam aus Erfurt. Wir waren sozusagen die "Thüringisch-Berlinerische Freundschaftsfraktion". Aber politisch haben wir uns nicht betätigt, so wie es die Thüringer Bands hin und wieder taten.
Rüdiger: Das musste man ja auch gar nicht, da in der Hauptstadt Berlin ja viel mehr Freiheit da war. Man hat es auch daran gemerkt, dass sich die ganzen Free-Jazzer in Berlin aufhielten und auch aus der Avantgarde-Richtung sehr viele Typen in Berlin steckten.

Ihr habt überwiegend gecovert, vornehmlich Songs von den ALLMAN BROTHERS, aber auch andere internationale Bluesklassiker gespielt. Nebenher gab es aber sogar eigenes Material zu hören. Wer war damals für die eigenen Titel verantwortlich?
Gondel: Dafür waren wir alle gleich verantwortlich. Das Schöne damals war ja, dass wir alle Zeit der Welt hatten. Es gab keinen Plan, der besagte, wir müssen jetzt unbedingt dies oder jenes machen, sondern wir haben einfach drauf los gespielt. Dabei entstanden dann die besten Ideen.
Rüdiger: Der wichtige Mann, der das alles organisierte, was wir so gejammt oder als Session aufgenommen hatten, war unser Keyboarder Thomas Abendroth. Der sorgte dafür, dass da ein bisschen mehr Form rein kam, wodurch wir alle etwas mehr Verständnis für die Sachen bekamen.

1976 kam es zum Mitschnitt eines Konzertes im "Haus der jungen Talente" in Ostberlin. Wofür war die Aufnahme gedacht und was geschah mit dem Mitschnitt, denn auf Platte ist er ja nie erschienen?
Gondel: Das war so eine Reihe bei Jugendradio DT64, die hieß "Live". Aber ob unsere Aufnahmen da gesendet wurden, das weiß ich nicht. Rüdiger: Ja doch, die wurden im Radio gesendet. Meine Schwester hat sogar noch die Mitschnitte davon auf ihrem Tonband.

Im Juli 2013 wurde dieser Mittschnitt dann plötzlich auf youtube veröffentlicht, was einer kleinen Sensation gleichkam (der Clip dazu ist am Ende dieser Seite zu finden). Wer hat das Teil ausgebuddelt?
Gondel: Ich habe das Archiv angeschrieben. Die haben das gesucht und auch gefunden. Einerseits wollte ich das für mich selbst haben, andererseits sollte das als Vorbereitung auf den heutigen Abend dienen. Ich wollte den anderen eine Art Inspiration damit geben, deshalb habe ich den Mitschnitt gleich an alle verschickt.

Wie findet Ihr heute Eure Musik von damals, wenn Ihr den Mitschnitt hört?
Gondel: Ich finde es eigentlich nur traurig, dass man heute nicht mehr so arbeiten kann, wie wir es damals gemacht haben. Wir hatten damals einfach viel mehr Zeit und wir wollten auch alle nur das Eine. Diese Träume kann man sich heute nicht mehr erfüllen.
Axel: Die Musik an sich ist eine Philosophie, die wir uns immer wieder verinnerlichen. Nur die Zielgruppe ist heutzutage eine andere. Damals war es das ganze Land, die waren alle infiziert. Aber wie bei allem ist es schwer, das aufrecht zu erhalten, denn es ist alles vergänglich.

Zur Gründungsbesetzung gehörte auch STEFAN DIESTELMANN. Wie funktionierte die Zusammenarbeit zwischen Euch? STEFAN war ja doch ein recht spezieller Typ.
Gondel: Also den Chef innerhalb der Band gab STEFAN nicht, wenn Du das meinst. Er konnte ja auch gar nicht herrschen ...
Rüdiger: ... er fühlte sich bei uns aber auch nicht richtig wohl, weil er immer sein Folk Blues-Ding im Hinterkopf hatte. Das war wahrscheinlich auch der Grund für das Scheitern bzw. die Auflösung der Band.
Axel: Aber das ist ja auch eine Geschichte gewesen, die sich entwickelt hat. Je selbstsicherer STEFAN wurde, umso mehr ist er aus seinem eigenen Schatten getreten. Das musste so sein, das war zwingend.

Bereits nach zwei Jahren verließ DIESTELMANN die Band. Es hieß, er konnte seine musikalischen Intentionen mit VAIH HU nicht genügend verwirklichen. Das muss doch ein Schlag ins Gesicht für Euch gewesen sein. Wart Ihr Anderen in seinen Augen so schlecht oder gingen Eure musikalischen Vorstellungen und Ideen tatsächlich so weit auseinander, dass STEFANs Verbleib in der Band nicht mehr möglich war?
Gondel: STEFAN war nie der Typ, der sich von anderen sagen ließ: "Mach dies mal so und mach das mal so". Anfangs hat er sich ja noch untergeordnet, aber später dann immer weniger. Er wollte eben frei drauf los spielen und nicht eingezwängt sein in irgendwelche festen Arrangements.
Rüdiger: Dazu kommt, dass diese lautere Musik auch nicht STEFANs Ding war. Er suchte mehr die Akustik-Ecke. Heute würde man wohl "unplugged" dazu sagen. Ich bin ja dann, weil STEFAN mich ansprach, als Kontrabassist in seine FOLK BLUES BAND gewechselt, war anderthalb Jahre dabei und habe genau diese Musik mit ihm gespielt.
Axel: Das hat sich bei VAIH HU ja auch in diese Richtung entwickelt. Unsere Konzerte teilten sich in drei Teile, davon gehörte der Mittelteil STEFAN allein. Man merkte auch genau, wie die Leute darauf abfuhren. Die hatten so was eben noch nie erlebt, dass da einer ganz allein spielt. Man muss aber auch neidlos anerkennen, dass STEFAN ein absolutes Naturtalent war.
Gondel: Das stimmt schon, aber er war eben auch voller Gegensätze. Letztlich war niemand böse darüber, dass STEFAN sich von uns trennte, denn am Ende wollte auch niemand mehr mit ihm zusammen spielen.

Warum hat die Band sich danach aufgelöst?
Rüdiger: In erster Linie fehlte uns der Frontmann, denn STEFAN war unser Sänger und der war plötzlich nicht mehr da. Wir anderen hatten nicht das Potential, um STEFAN als Frontmann ersetzen zu können. Vielleicht hätten wir als Instrumentalband weiter machen können, aber das hätte sicher viel weniger Interesse gefunden. Nachdem STEFAN weg war, bekam Axel ja auch gleich das Angebot von VERONIKA FISCHER, bei ihr einzusteigen. Und ich hatte sofort die Chance, das Angebot, bei DIESTELMANN als Kontrabassist mitzumachen, was ich natürlich dankend annahm. Also jeder von uns hatte gleich im Anschluss andere Geschichten am Laufen. Da machte es keinen Sinn, die Band auf Teufel komm raus erhalten zu wollen.

Ich fasse mal zusammen: Rüdiger Philipp folgte kurz darauf DIESTELMANN in dessen neu gegründete FOLK BLUES BAND, Axel spielte ab 1977 bei VERONIKA FISCHER mit und Euer Drummer Ulrich Kersten gründete 1980 mit Peter Pabst die JONATHAN BLUES BAND. Habt Ihr VAIH HU nachgetrauert? Welche Perspektiven hättet Ihr gehabt, wenn STEFAN geblieben wäre?
Gondel: Gar keine! Die Atmosphäre war irgendwie ... nicht mehr schön. Ich hatte auch keine Lust mehr, wenn ich ehrlich bin.
Rüdiger: Man kann sagen, das Thema VAIH HU war nach anderthalb Jahren schlicht und einfach ausgeschöpft. Es ging nicht mehr.

Auch wenn es nicht unmittelbar zur Geschichte von VAIH HU gehört, würde mich interessieren, wie Ihr auf STEFANs Flucht in die BRD reagiert habt? Konntet Ihr seine Beweggründe verstehen?
Rüdiger: Ich bin ja einen ähnlichen Weg wie Stefan gegangen und Anfang der achtziger Jahre in den Westen ausgereist. Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass er sein Glück auch dort suchen wollte. Die Lebensumstände in der DDR waren zu dieser Zeit nicht unbedingt rosig. Wenn sie es überhaupt mal waren.
Axel: STEFANs Flucht in den Westen hat mich damals zwiespältig berührt. Zum einen hatte ich Verständnis für diesen Schritt. Ihm war die DDR zu klein geworden und nun konnte er der großen Welt zeigen, was für ein unglaubliches Talent in ihm steckte. Aber gleichzeitig vermisste ich ihn hier. Und man darf auch nicht vergessen, er musste sein Publikum, dem er mit seiner Musik und seiner Aura so etwas wie Zuversicht vermittelte, zurücklassen.
Gondel: Da überwog bei mir eindeutig die Schadenfreude gegenüber dem System, welches wieder den Verlust einer weiteren Persönlichkeit mit besonderer Beispielwirkung wegzustecken hatte. Ein solcher Schritt war für jedermann folgerichtig, der eine Möglichkeit dafür fand und in der Lage war, seine heimatlichen, familiären und sozialen Bindungen zu überwinden, denn schließlich hatte sich dieses System spätestens seit dem Prager Frühling endgültig als ruchlos und unverbesserlich erwiesen.

Letzte Frage dazu: Als der Journalist Stefan Könau im Herbst 2011 herausfand, dass STEFAN DIESTELMANN bereits seit 2007 tot war, was habt Ihr da empfunden?
Gondel: Natürlich macht so etwas betroffen, immer und in jedem Fall. Aber im Gegensatz zu Igor zum Beispiel war es bei ihm schon fast berechenbar. Er litt schon früher unter zu hohem Blutdruck, sein Leben lief auf Verschleiß. Nicht durch Lebenswandel, sondern durch seine Hyperaktivität. Wir hatten auch später noch Kontakt. Zum Heiligabend 1993 hatte er Igor und mich zu einer Mugge in einem Münchener Edelbluesklub eingeladen, zumindest verkehrte da nur gehobene Gesellschaft, und dieser Abend verlief ausgesprochen harmonisch, nicht zuletzt vielleicht durch Igors Einfluss und ich war völlig platt, wie er als Entertainer zugelegt hatte. Aber am darauffolgenden Tag, beim Kochen, beim Vorführen, mit wem er schon alles gespielt hat usw., da war wieder alles überzogen und überdreht, mehr als je zuvor. Dass es ausgerechnet mit ihm für uns so sang- und klanglos passierte, ist natürlich besonders bedrückend.
Axel: Die Nachricht über seinen Tod hat mich sehr berührt und traurig gemacht. Also ehrlich - an so was denkt man einfach nicht. Anfang der 70er Jahre waren STEFAN und ich zunächst einfach nur gleichgesinnte Freunde der Musik. In ungezählten Diskussionen, aber auch Monologen in ebenso ungezählten Stunden, lernte ich von ihm unter anderem, dass man Musik auch tiefer, als nur in Kopf und Ohr, empfangen kann. Nach der Wende dachte ich, irgendwann werde ich STEFAN besuchen - ich wusste, er lebt da irgendwo in Bayern ...
Rüdiger: Ich war bestürzt, denn er war ja noch relativ jung. Die Ursache seines Todes ??? Er war ein sehr talentierter Musiker, der sich selbst sehr liebte.

Das Interview wird zwar erst einige Tage später erscheinen, ich frage aber trotzdem mal: In wenigen Minuten beginnt die Kundenbluesnacht. VAIH HU sind als zweiter Act vorgesehen. Wie nervös seid Ihr?
Rüdiger: Ziemlich nervös. Aufgrund der wenigen Stunden, die uns zum Proben blieben, war es natürlich schwer, sich so vorzubereiten, wie wir es gerne wollten. Das war einfach ein organisatorisches Problem, weil jeder von uns irgendwo mit anderen Projekten behaftet ist. Mehr ging wirklich nicht. Und nun müssen wir sehen, wie das heute Abend trotz der knappen Vorbereitung über die Bühne kriegen.
Axel: Das erinnert mich verdammt an unseren ersten Auftritt mit VAIH HU. Das war im Frannz-Club. Wir waren natürlich sehr aufgeregt, ähnlich wie heute, aber Gondel meinte irgendwann:011 20131101 1196971039 "Wartet mal, ich habe da was. Das schmieren wir uns auf die Haut und danach funktioniert die Durchblutung besser." Was er nicht gesagt hatte: Es handelte sich dabei um Schlangengift. Wir rieben uns also schön damit ein, aber niemand von uns dachte daran, dass man sich danach nicht unbedingt mit den Händen ins Gesicht fassen sollte. Natürlich waren wir alle ruck zuck puterrot, alles brannte wie Feuer, wir hatten Tränen in den Augen und in fünf Minuten sollte unser Auftritt beginnen ... (lautes Gelächter) Das sind Dinge, die werde ich nie vergessen.

Die spannendste aller Fragen betrifft sicher die Besetzung des DIESTELMANN-Parts. Zu meiner großen Freude wird Frank GALA Gahler diesen Posten übernehmen. Warum er?
Axel: Da gibt es jede Menge Berührungspunkte zwischen STEFAN und GALA. GALA ist jemand aus der nachfolgenden Generation, der ein ebenso unglaubliches Talent hat, wie STEFAN es hatte. Solche Leute gibt es nur alle zwanzig Jahre mal.
Rüdiger: Und wichtig ist auch, dass GALA es wirklich kann! Ansonsten wäre dieser heutige Auftritt vielleicht gar nicht möglich gewesen. Ich denke, da haben wir eine gute Wahl getroffen.

Von der VAIH HU-Originalbesetzung werdet also Ihr drei auf der Bühne stehen. Welche Gastmusiker habt Ihr Euch noch eingeladen?
Gondel: Auf jeden Fall ist Dietrich Petzold dabei, der schon in DIESTELMANNs FOLK BLUES BAND die Geige gespielt hat. Und dann ...
Axel: Nun sag' schon ...
Gondel: Mein Sohn Joschka wird heute Abend die Tasten drücken. Und sein Kumpel Niklas Lukassen übernimmt den Bass. Niklas ist DER Nachwuchsbassist überhaupt, das werdet Ihr nachher erleben. Leider werden wir den nicht mehr lange in Berlin haben, denn er wird nach Amerika gehen. Beide Jungs haben übrigens gerade ihr Abitur gemacht und die Aufnahme am Berliner Jazzinstitut bestanden. Das macht einen schon stolz.
Rüdiger: Und wir dürfen natürlich Olli Becker nicht vergessen, den MONOKEL-Schlagzeuger, der uns heute aushilft. Wobei er viel mehr als nur eine Aushilfe ist. Dass Olli das überhaupt für uns macht, finden wir schon toll. Zumal Olli einer der Besten und Amtlichsten in seinem Fach ist. Wir hatten gestern eine straffe Probe mit ihm und waren richtig hin und weg.

012 20131101 1897415032Wie sieht Eure Setlist aus?
Axel: So viele eigene Titel werden wir nicht dabei haben. Vielleicht drei Nummern aus der alten Zeit, der Rest werden internationale Standards sein.

Ich habe gehört, dass Ihr mit VAIH HU 2014 eine kleine Tour starten wollt. Was ist da dran?
Rüdiger: Die Hoffnungen, dass es weitergeht, bestehen natürlich. Aber man darf nicht vergessen, wie schwer das alles zu organisieren ist. Ich wohne in Dortmund, Axel hat auch seine Projekte. Was mit den beiden Jungs wird, also Joschka und Niklas, kann man heute auch noch nicht sagen.
Gondel: Ich denke, zu großen Highlights wird sich das sicher wiederholen lassen. Wenn der heutige Abend vorbei ist, müssen wir das erst mal reflektieren und sacken lassen und uns dann eine Meinung dazu bilden.

Bis dahin bleibt der heutige Auftritt aber eine einmalige Sache, richtig?
Axel: Ja, so sieht es im Moment aus.

Dann bedanke ich mich herzlich für Eure Zeit und das Interview so kurz vor dem Auftritt und wünsche Euch als VAIH HU viel Erfolg und persönlich alles Gute!


Interview: Torsten Meyer
Bearbeitung: mb, cr
Fotos: Rüdiger Lübeck, Torsten Meyer




 

Clip: Mitschnitt des Konzerts vom 13. Juli 1976 im Berliner
Haus der jungen Talente (Rundfunk-Aufnahme). Line-Up:
Thomas Abendroth (keys, p, org), Axel Stammberger (g),
Stefan Diestelmann (harm, voc), Rüdiger Philipp (bg),
Godelef "Gondel" Oßke (g), Uli Kersten (dr) ...



 

   
   
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